US-Supreme Court stürzt bisheriges Abtreibungsrecht

Der US Supreme Court macht ernst. Das oberste US-Gericht hat am Freitag entschieden, dass es den US-Bundesstaaten wieder erlaubt sein soll, in der Frage von Abtreibungen frei zu legiferieren und solche auch vollständig zu verbieten. Das Urteil sorgt bei den Liberalen für Entsetzen.

Überraschend kam der Entscheid der obersten US-Richter gestern nicht. Bereits im Mai war ein Urteilsentwurf durchgesickert, der vorsah, was der Supreme Court nun entschieden hat. Dass nämlich das Leiturteil «Roe v. Wade» aus dem Jahr 1973 (und später noch einmal bestätigt in «Planned Parenthood of Southeastern Pa.v. Casey» nach praktisch 50 Jahren einer einigermassen liberalen Regelung in der Frage gekippt wird. Im ersteren Leiturteil hatten die Richter darauf erkannt, dass aus dem Recht auf Privatsphäre, das die Richter damals aus verschiedenen Zusatzartikeln der Verfassung ableiteten, auch ein verfassungsmässiges Recht auf Abtreibung bestehe. In Casey-Fall hatten sich die Richter dann insbesondere auf den 14. Zusatzartikel der US-Verfassung gestützt.  die Grundlage für das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch bilde. 

Keine Verfassungsnorm für Abtreibung

In dem neuen Urteil hält nun der Supreme Court fest, aus diesen Rechtsquellen lasse sich nirgends ein Recht auf Abtreibung herauslesen – auch nicht aus der in der Verfassung garantierten „Freiheit“. Was Gericht wörtlich: «Das Gericht muss sich vor der natürlichen menschlichen Neigung zur Verwirrung hüten,  was der 14. Verfassungszusatz tatsächlich schützt, und mit der Leidenschaft des Gerichts die Ansicht darüber schützen,  welche Freiheiten die Amerikaner tatsächlich genießen sollten.» Das Gericht sei deshalb zurückhaltend dabei, Freiheitsrechte zu bestätigen, die nicht ausdrücklich in der Verfassung niedergelegt seien.

Keine Tradition der Abtreibung

Im weiteren beschreibt das Urteil dann, dass das Recht auf Abtreibung auch nicht auf eine langjährige Tradition in den USA zurückgehe, sondern vielmehr lange Zeit als widerrechtlich angesehen und auch mit Strafe bedroht war. Man könne deshalb nicht argumentieren, das Recht auf Abtreibung sei, wenn auch nicht in der Verfassung explizit genannt, so doch mindestens ein historischer Teil des Freiheits-Begriffs der USA.

Mit dem Verweis auf andere Grundsatzurteile, die im Verlaufe der Geschichte gekippt wurden, wies der Supreme Court dann auch den Anspruch auf Rechtssicherheit zurück, nachdem seit nunmehr 50 Jahren in den USA eine liberale Haltung in der Abstimmungsfrage gelebt worden war.

Supreme Court verbietet Abtreibungen nicht, überlässt die Frage aber den Gliedstaaten
Wichtig für das Verständnis des Entscheids ist, dass der oberste Gerichtshof mit seinem Entscheid Abtreibungen nicht verbietet. Er hält lediglich fest, dass die US-Gliedstaaten frei sind, in der Frage zu legiferieren. Beobachter gehen davon aus, dass das allerdings dazu führen wird, dass wohl rund die Hälfte der Bundesstaaten die Abtreibung in einer mehr oder weniger scharfen Form verbieten werden.
Der Staat Mississippi beispielsweise, auf dessen Staatsgebiet der Fall spielt, über den das Gericht entschied, verbietet die Abtreibung ab der 15. Schwangerschaftswoche und lässt eine solche später nur noch zu, wenn Gefahr für das Leben der Mutter besteht oder sich herausstellt, dass das heranwachsende Kind mit massiven Gendefekten belastet wäre. Andere Staaten verfolgen aber wesentlich striktere Regeln und verbieten beispielsweise auch Abtreibungen, wenn das Kind durch eine Vergewaltigung gezeugt wurde. Neu werden auch solche staatliche Regelungen möglich sein.
Politische Folgen
Die Abtreibungsfrage spaltet in den USA seit vielen Jahren die Menschen und dürfte zusammen mit der Diskussion um die Einschränkung des Waffenerwerbsrechts einer der Kristallisationspunkte sein in den Differenzen zwischen konservativen Republikanern und liberalen Demokraten. Das neue Urteil dürfte diesen Graben nicht zuschütten, sondern noch vertiefen. Ob das Urteil bei den Zwischenwahlen im Herbst Konsequenzen haben wird, ist allerdings schwierig zu prognostizieren. Klar ist nur, dass es die Republikaner insbesondere auch unter Trump verstanden, das früher ausgewogene Verhältnis unter den Richtern, was die politische Gesinnung angeht, im Supreme Court deutlich auf ihre Seite zu ziehen. So hat Trump nicht weniger als 3 neue Richterinnen und Richter für den Supreme Court ernannt. Das Urteil vom Freitag spiegelt dieses neue Machtverhältnis klar.

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