Rechtsgutachten zum Ausschluss vom Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung (ALE) wegen arbeitgeberähnlicher Stellung; insbesondere in Bezug auf die Beteiligung an einer Mehrheit von Firmen; unter besonderer Berücksichtigung von BGer v. 19.09.2012, 8C_143/2012.
Im Arbeitslosenversicherungsrecht werden Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung bei der Kurzarbeitsentschädigung (Art. 31 Abs. 3 lit. C AVIG), bei der Schlechtwetterentschädigung (Art. 42 Abs. 3 AVIG) und bei der Insolvenzentschädigung (Art. 5 1 Abs. 2 AVIG) vom Anspruch auf Entschädigung ausgeschlossen. Dabei kann eine arbeitgeberähnliche Stellung auf drei Gründen beruhen:
- auf der Eigenschaft als Gesellschafter (a),
- auf einer finanziellen Beteiligung am Betrieb (b) oder
- auf der Teilhabe an der Betriebsleitung (c).
Für die Arbeitslosenentschädigung nach Art. 8 AVIG fehlt ein entsprechender Vorbehalt. Der Gesetzgeber hat hier aber nicht etwa vergessen, eine Regelung vorzusehen. Er hat sich bewusst dafür entschieden, dass im Grundsatz auch Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung einen Anspruch auf Entschädigung haben (vgl. Botschaft des Bundesrats, BB1 1980 III 591).
Erstmals wurden ALE wegen arbeitgeberähnlicher Stellung im BGE 123 V 234 abgewiesen, seither hat sich eine Rechtsprechung entwickelt, welche den Kreis der Personen mit arbeitgeberähnlicher Stellung, die keinen Leistungsanspruch haben, immer mehr ausgeweitet hat. Auf die Spitze getrieben wurde diese Rechtsprechung mit BGer v. 19.09.2012, 8C_143/2012. Ohne weitere Klärung des Sachverhalts wurde der Leistungsanspruch abgewiesen – allein aufgrund der Tatsache, dass der arbeitslos gewordene Versicherte auch an einer anderen Firma finanziell beteiligt war. Es wurde unterstellt, dass eine «personelle Verflechtung zweier Betriebe» vorliege; so könne sich der Versicherte durch seine Stellung in der «verwobenen Beteiligungskonstruktion» beliebig entlassen und wiedereinstellen. Auch mit der Löschung der Funktion als Gesellschafter bzw. Geschäftsführer bestünde die Möglichkeit, dass der Versicherte seine Stellung innerhalb der Finnen weiterhin missbrauche.
Für den Versicherten im Fall 8CJ43/2012, wäre es ein Einfaches gewesen, die ihm unterstellte Missbrauchsgefahr zu widerlegen. Er wurde zu diesem Beweis aber gar nicht zugelassen. Geschweige denn, dass die Organe der Arbeitslosenversicherung (ALV) irgendein Indiz hätten anführen können, dass der Versicherte tatsächlich die Vorschriften der ALV hätte umgehen wollen. Das Bundesgericht stellte auf die pauschale Vermutung ab, dass der Versicherte beliebig innerhalb eines «Konglomerats von Firmen» von der einen Firma in eine andere hätte wechseln können bzw. nach seinem Gutdünken in der einen oder anderen Firma tätig geworden wäre und sich da oder dort (wieder neu) einen Lohn ausbezahlt hätte.
Laut Rechtsgutachten kann sich das Urteil aber kaum auf eine rechtliche Grundlage abstützen, insbesondere erscheint die Bestimmung von Art. 3 1 Abs. 3 lit. c AVIG, die für die Kurzarbeitsentschädigung gilt, in diesem Fall wenig tragfähig. Der Missstand, der im Bereich der Kurzarbeitsentschädigung bekämpft werden soll, ist, dass ein Versicherter über die Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers verfugt, er also darüber entscheiden kann, ob Kurzarbeit eingeführt wird und dass er diese Freiheit zum Schaden der ALV missbraucht. Der Missstand im Bereich der ALE wird in der Rechtsprechung darin gesehen, dass der Versicherte (in arbeitgeberähnlicher Stellung) über die Dispositionsfreiheit verfugt, die es ihm erlaubt, sich jederzeit selbst wiedereinzustellen. Verfugt der Versicherte indessen gar nicht oder nicht mehr über die «verpönte» arbeitgeberische Dispositionsfreiheit, liegt die Missbrauchskonstellation, für die Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG geschaffen wurde, nicht vor.
Bisherige Rechtsprechung
Die Praxis zum Ausschluss vom Anspruch auf Entschädigung wurde 1997 begründet, als das Eidg. Versicherungsgericht entschied, dass ein Arbeitnehmer in arbeitgeberähnlicher Stellung dann keine Arbeitslosenentschädigung beanspruchen kann, wenn ihm die Arbeitgeberin (in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft) zwar gekündigt habe, er aber nach wie vor als Alleinaktionär und einziger Verwaltungsrat dieser Gesellschaft amte. Ein solches Vorgehen laufe auf eine rechtsmissbräuchliche Umgehung der Regelung von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG hinaus, welche ihrem Sinn nach der Missbrauchsverhütung diene und dem Umstand Rechnung trage, dass der Arbeitsausfall von arbeitgeberähnlichen Personen praktisch unkontrollierbar ist, weil sie diesen aufgrund ihrer Stellung bestimmen oder massgeblich beeinflussen können (BGE 123 V 234 E. 7, ARV 1997 Nr. 31 S. 173).
Seither wird der Anspruch auf ALE verneint, solange der Versicherte die Entscheidungen des Arbeitgebers weiterhin massgeblich beeinflussen kann. Damit soll auch für den Bereich der ALE vermieden werden, dass der Versicherungsschutz missbraucht wird. Auch hier wird die Gefahr darin gesehen, dass der Versicherte in arbeitgeberähnlicher Stellung sich selber die notwendige Bescheinigung ausstellt. Da der tatsächliche Arbeitsausfall schwer kontrollierbar ist, besteht ein gewisses Missbrauchspotenzial. Da es im einzelnen Fall schwierig sein kann, einen tatsächlichen Missbrauch festzustellen, soll einzig darauf abgestellt werden, dass der Versicherte bzw. Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, missbräuchlich zu handeln, indem er über die Einführung von Kurzarbeit zu entscheiden. Es einzig geprüft, ob der Versicherte über die unternehmerische Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers verfügt.
Mit anderen Worten: Weil es in der Dispositionsfreiheit des Arbeitgebers liegt, Kurzarbeit einzuführen und bei Erfüllen der einschlägigen Voraussetzungen den anspruchsbegründenden Sachverhalt für Kurzarbeitsentschädigung zu verwirklichen, ist er von vornherein vom Anspruch auf Entschädigung ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung ist der Ausschluss der in Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG genannten Personen vom Entschädigungsanspruch absolut zu verstehen. Amtet ein Arbeitnehmer als Verwaltungsrat, so ist eine massgebliche Entscheidungsbefugnis im Sinne der betreffenden Regelung ex lege gegeben (BGE 123 V 237 E. 7a; BGE 122 V 273 E. 3), und zwar selbst dann, wenn seine Kapitalbeteiligung klein ist und er nur über die kollektive Zeichnungsberechtigung verfügt (ARV 1996 S. 48).
Zweck der Norm von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG ist der Ausschluss von Versicherten in arbeitgeberähnlicher Stellung, die in Ausnützung der arbeitgeberischen Dispositionsfreiheit missbräuchlich eine Entschädigung erlangen könnten. Damit wird die Anwendung der Norm auf die Periode begrenzt, in welcher der Versicherte über die Dispositionsfreiheit verfügt.
Dem Wortlaut nach ist Art. 31 Abs. 3 AVIG zwar auf Kurzarbeitsfalle zugeschnitten. Auch in Fällen der Arbeitslosigkeit kann aber wie bei der Kurzarbeit eine Konstellation vorliegen kann, in der eine Arbeitstätigkeit nur vorübergehend aufgegeben bzw. unterbrochen wird. Dies ist insbesondere dem Versicherten möglich, der an der Leitung des Betriebes oder daran finanziell beteiligt ist und somit über eine Wiedereinstellung (mit)entscheiden kann. Auch wenn also eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses vorliegt – und sich damit die Frage von Kurzarbeit eigentlich gar nicht stellt, da diese nur bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis möglich ist -, soll Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG angewendet werden: Die Rechtsprechung hält die Kündigung in diesem Fall für unbeachtlich, weil der Arbeitnehmer aufgrund seiner weiterhin bestehenden Befugnisse in der Arbeitgebergesellschaft – sich jederzeit wiedereinstellen könnte. Das Bundesgericht geht also davon aus, dass bei der Arbeitslosigkeit eine der Kurzarbeit ähnliche Konstellation vorliegt, solange aufgrund der dem Versicherten zukommenden arbeitgeberischen Dispositionsfreiheit dieser für seine Wiedereinstellung sorgen kann.
Die angeführte Praxis, wurde in den vergangenen Jahren stark ausgeweitet (Gächter/Leu, Arbeitgeberähnliche Personen in der Arbeitslosenversicherung, SZS 2014, S. 93). Nach der Rechtsprechung genügt die blosse Gefahr des Missbrauchs (Rubin, Assurance-chomage et service public de lemploi, Genf/Zürich/Basel 2019, N 84; vgl. auch Gächter/Leu, Arbeitgeberähnliche Personen in der Arbeitslosenversicherung, SZS 2014, S. 93). Es wird allein auf den formellen Status als arbeitgeberähnliche Person abgestellt, selbst wenn klar ersichtlich ist, dass im konkreten Fall kein Missbrauch angestrebt oder wahrscheinlich ist (Gächter/Leu, Arbeitgeberähnliche Personen in der Arbeitslosenversicherung, SZS 2014, S. 93). Auch die Aufgabe aller bisherigen Funktionen, die einen Versicherten als arbeitgeberähnliche Person erscheinen lassen, reicht nicht zur Begründung des Anspruchs auf Entschädigung, solange ein fortbestehender faktischer Einfluss als arbeitgeberähnliche Person noch nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann (BGer v. 04.06.2014, 8C_191/20 14).
Damit hat der Versicherte in arbeitgeberähnlicher Position nur noch einen Anspruch, wenn er den Betrieb entweder schliesst und sein Ausscheiden damit definitiv ist oder wenn der Betrieb zwar aufrechterhalten wird, der Versicherte aber jene Eigenschaft verliert, wegen welcher sie bei Kurzarbeit vom Anspruch auf Kurzarbeitsentschädigung ausgeschlossen wäre.
In der Lehre ist die Anwendung von Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG auf den Anspruch auf ALE nicht unumstritten geblieben. Bedenken geäussert werden, wenn der Zweck, welcher dieser Norm zugrunde liegt, unbesehen auch im Bereich der ALE angewendet werden soll. Es ist aber wichtig, dass die ursprüngliche Zwecksetzung, für welche die Norm in Kraft gesetzt wurde, auch dort beachtet wird, wo die Norm auf andere Bereiche – insbesondere die ALE – übertragen wird.
Das Rechtsgutachten kann hier heruntergeladen werden.
Felix Frey, advokatur rechtsanker
Ein Staatsdiener in der Arbeitsmarktpolitik
Felix Frey ist ein erfahrener Rechtsanwalt in Zürich, der bei der Kanzlei advokatur rechtsanker tätig ist. Er verfügt über umfangreiche Erfahrungen im Bereich Sozialversicherungsrecht. Seine Kanzlei befindet sich an der Ankerstrasse 24 in Zürich. Seit 1997 hat er die Zulassung als Anwalt;
Er arbeitet bei einer grossen Wirtschaftskanzlei (Schellenberg Wittmer) und am Bezirksgericht Zürich (Strafrecht und Privatrecht) und war als Jurist im Rechtsdienst der Direktion für Ressourcen des EDA, Bern tätig. sowie beim Rechtsdienst der SVA Zürich (Beratung und Prozessführung in den Bereichen AHV, IV, EL, EO, FamZ und Prämienverbilligung. Zudem ist er Rechtskonsulent für verschiedene Organisationen im Non-Profit-Bereich (seit 2012).
Seine akademische und berufliche Laufbahn ist durch eine starke Fokussierung auf rechtliche Beratung und Vertretung im öffentlichen und privaten Sektor gekennzeichnet, mit einer speziellen Expertise im Sozialrecht und im Umgang mit komplexen rechtlichen Fragestellungen in sozialen Versicherungen.
Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung sollen rascher Arbeitslosenentschädigung erhalten
Stabile Arbeitsmarktsituation führt zu positivem Jahresabschluss
Mit 13 zu 12 Stimmen verabschiedete die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit ihren Entwurf in Erfüllung der Pa. Iv. Silberschmidt. Unternehmerinnen und Unternehmer, welche Beiträge an die Arbeitslosenversicherung bezahlen, sollen auch gegen Arbeitslosigkeit versichert sein (20.406) zuhanden des Rates.
Sie hatte davor die Ergebnisse der Vernehmlassung zur Kenntnis genommen. Als Reaktion auf eingegangene Stellungnahmen aus dem Kulturbereich beschloss die SGK-N mit 13 zu 12 Stimmen, die Mehrheitsvariante um eine Bestimmung zu ergänzen, welche für Personen mit häufig wechselnden oder befristeten Arbeitsverhältnissen gewisse Ausnahmen vorsieht. So müssen diese nicht mindestens zwei Jahre im entsprechenden Betrieb gearbeitet haben, um Zugang zu Arbeitslosenentschädigung zu erhalten.
Zudem sind sie von der Rückzahlungspflicht bei Wiedereinstellung im gleichen Betrieb ausgenommen. Weiter beschloss die Kommission einstimmig, eine Evaluationsklausel in die Vorlage aufzunehmen. Der Bundesrat muss damit fünf Jahre nach Inkrafttreten der Revision die Umsetzung, Wirksamkeit und finanziellen Konsequenzen der Vorlage überprüfen und allenfalls Anpassungen vorschlagen.
Insgesamt hält die SGK-N mit 13 zu 12 Stimmen an der Mehrheitsvariante aus der Vernehmlassung fest und zieht diese der Variante «Beitragspflicht nur für bezugsberechtigte Personen» vor. Verschiedene Minderheiten stellen ihre Anträge aus der Vernehmlassung im Rat erneut zur Debatte.