Verschiedene Artikel haben sich in den letzten Jahren mit diesem Thema beschäftigt. So auch im Beobachter unter dem Titel: «Zahlen: ja, profitieren: nein». Eine S.F. aus Basel zahlte 16 Jahre lang brav und korrekt ihre Beiträge an die Arbeitslosenversicherung (ALV). F. war nicht nur Inhaberin einer in der Werbebranche tätigen GmbH, sondern auch deren einzige Angestellte. Als die Geschäfte schlecht liefen, meldete sie sich im Juni arbeitslos. Geld bekommt sie allerdings nicht: Sie sei keine gewöhnliche Angestellte, sondern habe eine „arbeitgeberähnliche Stellung“, begründete die Basler Arbeitslosenkasse die Ablehnung ihres Antrags. (Bild rechts: Boris Zürcher, Seco)
„Es macht Sinn, dass jemand, der sein eigener Chef ist und selbst entscheiden kann, ob er arbeitet oder nicht, kein Arbeitslosengeld beziehen kann. Sonst besteht eine gewisse Missbrauchsgefahr“, sagt Thomas Gächter, Professor für Sozialversicherungsrecht an der Universität Zürich. Er kritisiert aber, dass der Leistungsausschluss nicht klar geregelt ist. Im Gesetz ist er zwar für die Kurzarbeits-, die Schlechtwetter- und die Insolvenzentschädigung vorgesehen, nicht aber für den eigentlichen Kern, die Arbeitslosenentschädigung. Das Bundesgericht hat die entsprechende Klausel aber seit 1997 in mehreren Urteilen auch auf die Arbeitslosenentschädigung angewendet. „Seither hat das Parlament das Gesetz zwar zweimal revidiert, den umstrittenen Punkt aber nie auch nur diskutiert, geschweige denn verabschiedet“, sagt Gächter. Normalerweise würden die Interessenverbände für eine gerechtere Lösung kämpfen. Doch beispielsweise der KMU-Verband interessiere sich nicht für das Thema:
In der Berner Zeitung kommt OFKS.ch-Präsident François Cochard (Bild oben links) zu Wort. «Er ist bis vor Bundesgericht gegangen. Genützt hat es nichts. François Cochard hatte mit drei Kollegen eine Firma gegründet, die ein erfolgreiches Musikfestival organisierte. Wie jeder Angestellte zahlte er jeden Monat seinen Beitrag an die Arbeitslosenversicherung. Nach dem Unglück bei der Loveparade in Duisburg wurde Cochards Festival plötzlich nicht mehr genehmigt. So stand er plötzlich auf der Strasse und meldete sich bei der Arbeitslosenversicherung. Doch die lehnte den Antrag ab, weil Cochard eine «arbeitgeberähnliche Stellung» habe und deshalb keine Unterstützung bekomme. So steht es im Gesetz, und so wird es von den Gerichten ausgelegt. François Cochard ging durch alle Instanzen, konnte aber auch das Bundesgericht nicht davon überzeugen, dass er tatsächlich Anspruch auf Leistungen hat.
Die wenigsten wissen, dass sie nichts erhalten
Die Regelung hat einen Grund: Weil Arbeitgeber sich selbst entlassen können, befürchtete der Gesetzgeber einen Missbrauch der Arbeitslosenversicherung und schloss Personen, die Einfluss auf Unternehmensentscheidungen haben, von den Leistungen aus – auch deren Ehepartner. Dies dürfte in der Schweiz Tausende von Personen betreffen, vom Gewerbetreibenden und seiner Partnerin, die entweder voll mitarbeitet oder auch nur ans Telefon geht, bis hin zu Start-ups, deren Angestellte gleichzeitig Eigentümer und Verwaltungsräte sind. Sie haben Einfluss auf Firmenentscheide und erhalten deshalb keine Arbeitslosenentschädigung. Die wenigsten wissen, dass sie für die Versicherung zahlen, aber nichts davon haben.
So erging es auch Christian Gerig (Bild unten links) , dessen Filmverleih Konkurs anmelden musste. Da mit dem Konkurs eigentlich seine arbeitgeberähnliche Stellung endete, hätte er auch Anspruch auf Versicherungsleistungen gehabt. Das RAV bejahte diesen Anspruch zunächst. Gerig war aber noch Verwaltungsrat in anderen Firmen. Deshalb ging er letztlich leer aus. Obwohl diese Firmen nicht mehr aktiv waren, stellte sich die Arbeitslosenversicherung auf den Standpunkt, Gerig könne ja wieder dort arbeiten.
Auch FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt erkannte die Ungerechtigkeit im System: «Mehrere hunderttausend Personen zahlen in die Versicherung ein, ohne sie zu beanspruchen. Das ist ungerecht», sagt er gegenüber Blick. Natürlich gehe man mit einer Firmengründung ein unternehmerisches Risiko ein. «Aber wenn man scheitert, braucht es ein soziales Netz, das die Leute auffängt.»
Bereits 2017 hatte GLP-Nationalrat Jürg Grossen nach Gesprächen mit Cochard dem Bundesrat vorgeschlagen, das Gesetz anzupassen. Doch die Regierung sah und sieht keinen Änderungsbedarf: Die ALV sei eine Arbeitnehmerversicherung, für die Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung die Voraussetzungen nicht erfüllten. 2019 wurde Grossens Motion zu Altpapier, weil das Parlament sie nicht innert zwei Jahren behandelte.
Auch weil den 600’000 KMU in der Schweiz die ALV-Beiträge ohne Gegenleistung abgezogen werden, steht die ALV finanziell sehr gut da. Und diese prall gefüllte Kasse will Finanzministerin Karin Keller-Sutter nun (etwas) plündern. An die vielen Opfer der unrechtmässigen Regelung wird kein Gedanke verschwendet.
Bund will in die Kasse der ALV greifen
Um das drohende Milliardenloch im Bundeshaushalt zumindest teilweise zu stopfen, will der Bund seinen Beitrag an die Arbeitslosenversicherung von 2025 bis 2029 senken. Der Bund soll in den nächsten fünf Jahren 1,25 Milliarden Franken weniger in die Arbeitslosenversicherung einzahlen und so zur Sanierung des Bundeshaushalts beitragen. Der Nationalrat hat am Dienstag als Erstrat einer entsprechenden Vorlage des Bundesrates zugestimmt. Der Nationalrat hat das entsprechende Bundesgesetz über Massnahmen zur finanziellen und administrativen Entlastung ab 2025 in der Gesamtabstimmung mit 129 zu 62 Stimmen gutgeheissen.
Die Mehrheit war wie die zuständige Kommission der Ansicht, dass die vorgesehene Kürzung einen wesentlichen Beitrag zur Behebung der strukturellen Defizite ab 2025 leistet. Die Massnahme könne ohne Auswirkungen auf die Leistungen der ALV umgesetzt werden und sei angesichts der hohen ausserordentlichen Beiträge des Bundes an die ALV im Rahmen der COVID-Pandemie vertretbar.
Die Reduktion könne ohne Leistungsanpassungen umgesetzt werden, da die ALV über genügend Eigenmittel verfüge, sagte Finanzministerin Karin Keller-Sutter. Bei anhaltend guter Arbeitsmarktlage werde das Eigenkapital des ALV-Fonds in den kommenden Jahren trotz Kürzung der Bundesbeiträge weiter wachsen. Sollte sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt stark verschlechtern, verhindere eine Schutzklausel, dass die ALV in eine finanzielle Schieflage gerate.