Wenn die ASU oder MEK frühmorgens klingelt

ASU ist eine Spezialabteilung der Eidgenössischen Steuerverwaltung. In Steuerstrafsachen kommt sie zum Einsatz und darf Zwangsmittel wie Hausdurchsuchung und Beschlagnahme durchführen. Dabei wird billigend in Kauf genommen, dass die Vereinbarkeit mit der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK kaum gegeben ist. Ein Steuerpflichtiger, der in die Fänge der ASU gerät, sollte annehmen können, dass sein Verfahren objektiv sowie sachlich angemessen geführt wird. Tatsächlich ist das Verfahren aber längst zu seinem Nachteil vorgespurt. Und wehe, die MEK Helvetia kommt zum Einsatz. Zwei Einsatztruppen der offiziellen Schweiz in der Kritik.

Die Beamten der Abteilung Strafsachen und Untersuchung, kurz ASU, kommen meistens frühmorgens in Zugstärke vorbei und durchwühlen alles. Wie sich ein der Redaktion bekannter Fall aus der Nordschweiz  zeigt. Dabei schleppen die Beamten alles an Akten und Daten ab, was in irgendeiner Weise verdächtig erscheint. Das Problem dabei: Bei der ASU handelt sich nicht um ein staatsanwaltschaftliches Organ, sondern um eine integrierte Abteilung der eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) und beschäftigt nach eigenen Angaben rund 20 Personen. Die Ermächtigungen zur Untersuchung erhält die ASU durch die Vorsteherin des Finanzdepartements, derzeit also Bundesrätin Karin Keller-Suter.

Zweifel an der Unabhängigkeit

Die ASU wird immer dann tätig, wenn eine kantonale Steuerdirektion eine schwere Steuerwiderhandlung vermutet, beispielsweise wenn eine grössere Steuersumme hinterzogen wurde. Eine schwere Steuerwiderhandlung ist gesetzlich aber kein Tatbestand. Eine konkrete Zahl, wie hoch der allfällig hinterzogene Steuerbetrag zu sein hat, damit die ASU eine Untersuchung einleitet, ist bis heute nicht geklärt. Das Gesetz selbst findet dazu keine klaren Worte.

Sobald ein Verdacht vorliegt, klärt die kantonale Steuerdirektion ab, ob genügend Beweismittel für eine Strafuntersuchung vorhanden sind. Kommt es in einem Fall von schwerer Steuerwiderhandlung zur Strafuntersuchung wird die ASU eingeschalten, die die Untersuchung leitet. Im Zuge dieser Untersuchung ist es ihr möglich, Zwangsmitteln wie Hausdurchsuchung oder Beschlagnahmung von Vermögenswerten anzuordnen. Genau an diesem Punkt tritt nun aber die Frage nach der Unabhängigkeit der untersuchenden Instanz auf. Die klagende Instanz, also das kantonale Steueramt mit dem BSTV, ist gleichzeitig auch das untersuchende Organ. Damit ist das Verfahren zum Nachteil des Beklagten aufgegleist und das Potenzial für staatliche Willkür geschaffen. Bei einer klaren Gewaltenteilung sollte die Ermittlung nicht durch ein Bundesamt geführt werden, sondern durch eine unabhängige Staatsanwaltschaft.

Konflikt mit der Menschenrechtskonvention

Das Steuerstrafrecht steht darüber hinaus in einem scharfen Spannungsfeld zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ), was von den Steuerbehörden und den nationalen Gerichten bis heute ausgeblendet wird . Dabei bricht Völkerrecht das Staatsrecht. Menschenrechte, welche überall bei jeder Gelegenheit reklamiert werden, gelten gerade in der Steuerfahndung wenig oder in der Praxis gar nichts. Die inländischen Gerichte verweisen in Verfahren einfach pauschal auf Art. 190ff DBG zur Legitimierung der ASU. Die EMRK bleibt unbehandelt beiseite, dabei gilt die sogenannte Schubert-Praxis (BGE 144 I 126 E. 2ff.) längst abgeschafft. Die EMRK ist im höherrangigen Recht verankert und geht der schweizerischen Rechtslegung vor.

Es lohnt sich, einen Blick auf die Rechtsstaatlichkeit und EMRK-Verträglichkeit einer solchen Untersuchung zu werfen. Nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jeder Bürger Anspruch darauf, dass seine Sache von einer unabhängigen Instanz untersucht wird. Dies gilt nicht nur für das Gerichtsverfahren, sondern auch für das gesamte Vorverfahren. Dieser Anspruch erscheint nur logisch und konsequent, wird aber in den MWST-Strafverfahren wie auch im Verfahren nach Art. 190ff DBG (Besondere Untersuchung in schweren Steuerhinterziehungsfällen) in krasser Weise billigend ausgeblendet. Ins Bild passt auch, dass die Verfahrensleiter unter Ausserachtlassung der Informations-, Teilhabe- und Beteiligungsrechte der Betroffenen mit Dritten (z.B. Kantonale Steuerämter) kommunizieren. Der Redaktion liegen diverse Fälle vor, die genau solche «Kommunikation» aufzeigt. Dem MWST-Strafdienst und der ASU gehen jegliches Distanzgefühl abhanden; man versucht gar nicht erst „Unabhängigkeit“ im Verfahren zu gewährleisten.

Opfer ESTV?

Faktisch ermittelt das „angebliche Opfer“ ESTV einfach in eigener Sache. Es verwundert daher nicht, dass solche Untersuchungen von einem interessengeleiteten Automatismus der jeweils handelnden Beamten getragen werden. Naiv ist, wer hier von einem fairen, objektiv nachvollziehbaren Verfahren spricht. Das Verfahren ist von Anfang an zum Nachteil der Betroffenen vorgespurt. Das Bundesgericht hat sich bis heute weder zur EMRK-Verträglichkeit noch zu den Voraussetzungen ihres Einsatzes geäussert.

ASU und MWST-Strafdienst sind unter keinen Umständen unabhängig und verletzen Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Dass sich nämlich die ASU und MWST-Strafdienst in Widerspruch zu ihren eigenen Arbeitshypothesen zu Gunsten des Betroffenen setzen, erscheint allenfalls theoretisch denkbar.

Es stünde dem Rechtsstaat Schweiz gut an, endlich die gesetzliche Grundlage für ein faires, unabhängiges und EMRK-taugliches Steuerstrafverfahren zu schaffen. Bis dahin kann jedem Betroffenen nur der dringende Ratschlag erteilt werden, im Falle einer ASU oder MWST- Strafuntersuchung konsequent die Aussage zu verweigern, sich auf keinen Fall materiell einzulassen und sich konsequent auf die EMRK-Widrigkeit des Verfahrens zu berufen.

Es verwundert insgesamt, dass bisher in Beschwerdeverfahren kaum je auf die EMRK-Widrigkeit solcher Verfahren hingewiesen wurde. Mit Spannung wird der erste Entscheid des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zur EMRK-Verträglichkeit erwartet. Wir erwarten ihn im Laufe des Jahres, wenn der Bund endlich dazu Stellung genommen hat.

Die beiden «Sondereinheiten» der ESTV und des Zolls

Die Abteilung Strafsachen und Untersuchungen (ASU) der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) spielt eine zentrale Rolle in der Durchführung von Strafverfahren, die sich nach den Regeln des Verwaltungsstrafrechts richten. Ihre Aufgaben umfassen die Mitwirkung bei der Gesetzgebung im Bereich des Steuerstrafrechts sowie die Durchführung von Ermittlungsverfahren bei schweren Steuerwiderhandlungen in Zusammenarbeit mit den kantonalen Steuerverwaltungen. Dabei fokussiert sich die ASU nicht nur auf die direkte Bundessteuer, sondern auch auf die Verrechnungssteuer und Stempelabgaben, wo sie gegen Steuergefährdung, Steuerhinterziehung und Abgabebetrug vorgeht.

 Die Arbeit der ASU steht auch im Kontext internationaler Steuerregelungen, etwa bei Verletzungen der Meldepflichten nach dem Automatischen Informationsaustausch (AIA). Zudem bietet das Schweizer Steuerrecht die Möglichkeit der straflosen Selbstanzeige, die seit 2010 besteht. Diese ermöglicht es Steuerpflichtigen, sich selbst anzuzeigen, um einer Strafe zu entgehen, solange sie die hinterzogenen Steuern nachzahlen. Diese Regelung wird durch die kantonalen Steuerverwaltungen umgesetzt, wobei die ASU eine koordinierende Funktion einnimmt, um Mehrfachselbstanzeigen zu verhindern.

In den Medien wird die Arbeit der ASU teilweise kontrovers diskutiert. 2018 ordnete ESTV-Direktor Adrian Hug eine konzertierte Durchsuchung der Büros der Turtle Management in Zürich, Zug und Lugano an. Die Turtle Management ist Family Office und Service-Dienstleister für Jean-Claude Bastos und sein Quantum-Global-Firmenkonglomerat,  die Verwalter des angolanischen Staatsfonds FSDEA waren. 2019 hat dann die Bundesanwaltschaft alle Untersuchungen gegen Jean-Claude Bastos und seine Firma Quantum Global Group eingestellt.

 Rechtsmissbräuchliche Vorgänge

Verschiedene Gerichte haben sich dann gegen die Steuerbehörden und deren Vorgehen ausgesprochen. So hat das Kantonsgericht Zug in vier Urteilen festgestellt, dass die Vermögenswerte von Quantum nicht hätten beschlagnahmt werden dürfen. Zudem sei die Begründung für den Arrest – nämlich, dass der Hauptzweck der Quantum-Gruppe in der Steuerumgehung liege – «weder substanziiert noch belegt». Das Bezirksgericht Zürich hob in einem weiteren Urteil hervor, dass die Steuerbehörde «rechtsmissbräuchlich» gehandelt habe. Diese hatte bei der Arretierung der Quantum-Konten im Mai eine Frist verpasst. Dadurch wäre die Beschlagnahmung an sich aufgehoben worden.

 Doch sperrte die Steuerbehörde die Konten kurzerhand erneut – und zwar mit einer inhaltlich nahezu mit derjenigen vom vorigen Mal identischen Begründung. Damit verunmöglichte sie der Quantum-Gruppe, gerichtlich gegen die Beschlagnahmung vorzugehen. Dieses Vorgehen war laut den Richtern rechtsmissbräuchlich. Kurios mutet die Rechtfertigung der Steuerbehörden für dieses rechtsstaatlich bedenkliche Vorgehen an: Die «besondere Aufmerksamkeit» der Presse rund um den Fall hätte es ihnen schlicht und einfach nicht erlaubt, untätig zu bleiben. Ein Fall von vielen, bei der die Steuerbehörden sich nicht ans Gesetzt gehalten haben.

 MEK Helvetia

 Eine weiterer «Sondertruppe», die oft mit zweifelhaften Methoden vorgeht (auch hier sind der Redaktion mehrere Fälle bekannt), ist das «Mobile Einsatzkommando Helvetia» (MEK Helvetia) des Schweizer Zolls, die für zeitlich und geografisch aufwändige Observationen, Durchsuchungen und Sicherheitsaufgaben zuständig ist. Diese Einheit rühmt sich ihrer «diskreten Operationen» «Das sind die Rambos von General Bock», kommentiert ein Fachmann im Verteidigungsdepartement die Truppe des damaligen Zolldirektors Christian Bock auf der Onlineplattform «Watson». Sie ist dafür mit modernster Ausrüstung ausgestattet, einschliesslich Sturmgewehren mit Schalldämpfern. Sie schlagen meist im Morgengrauen  blitzartig zu und nehmen dabei Verdächtige fest. Bei einem der Redaktion bekannter Fall wurde zum Beispiel in Basel ein Mann und seine Familie vor ihrem Haus gekidnappt, deren Augen verbunden und stundenlang durch die Gegend gefahren. Während dessen haben MEK-Mitglieder die Räume des Geschäftsmannes geplündert und in ein Lagerhaus geschafft. Szenen wie aus einem Film über mexikanische Kartelle.

 Das MEK Helvetia (seit 2006 im Einsatz) besitzt keine eigenständigen Ermittlungsbefugnisse besitzt, sondern wird im Rahmen der Unterstützung für andere Einheiten der Zollverwaltung oder auf Anfrage anderer Behörden tätig. Ihre Tätigkeiten und Einsätze bleiben meist im Verborgenen, und nur selten werden Details über ihre Operationen öffentlich gemacht. Einzig bei einer SRF-Reportage und in einer Reportage eines Fachmagazins (K-ISOM) gab es einen Einblick in die martialische Arbeit der MEK. Im deutschen Fachmagazin steht u.a. «anders als kantonale und städtische Polizeiformationen sei sie im ganzen Land aktiv», so das deutsche Heft. Das Heft konnte den Trupp auch beim Abseilen aus Militärhelikoptern ablichten. Die Ausrüstung der bis an die Zähne bewaffneten Zoll-Truppe ist im Heft detailliert in Wort und Bild beschrieben, die Herstellerfirmen ihres Arsenals werden werbewirksam genannt. Die Spezialeinheit als vom Steuerzahler finanzierte Werbeträger für Firmen aus aller Welt.

Rechtsgrundlage?

Das MEK habe «auch Zugang zum Material-Pool des KSK der Schweizer Armee, dem Kommando Spezialkräfte». So verfüge die Truppe über «verschiedene Militärausrüstung wie KSK-Tarnanzüge, Sturmgewehr 07 und vieles mehr». Nicht lumpen lässt sich die Truppe auch in Sachen Mobilität. «Der Fuhrpark umfasst zahlreiche Autos – von der Luxuskarosse bis hin zum kleinen unscheinbaren PKW sowie Lieferwagen», kann das Magazin vermelden. Diese dienten in «verschiedenen Ausführungen als Beobachtungsfahrzeuge». 2020 hat das MEK 63 Einsätze durchgeführt, ein Jahr zuvor waren es 88. Solche Einsätze erstreckten sich in der Regel über mehrere Tage oder Wochen. Die Einheit stehe «praktisch täglich zugunsten der EZV und Partnerbehörden im Einsatz».

Wie gross die Einheit ist und was sie konkret kostet, will der Zoll «aus einsatztaktischen Gründen» nicht sagen. «Der Hauptteil des finanziellen Aufwandes ergibt sich aus den Personalkosten. Weitere Kostenträger, wie Bewaffnung, Fahrzeuge und Kommunikation, werden über das Beschaffungsbudget abgerechnet und daher nicht separat ausgewiesen.» Kritisch sehen Kantonsvertreter die MEK. Bei «Watson» heisst es: «Der Zoll brauche «keine teuren Rambos, um Türen einzutreten», sagt einer. Dafür gebe es genug sehr gut ausgebildete Spezialeinheiten bei Kantonen und Bund. Auch Politiker werden aktiv. Umstritten ist etwa, ob es eine ausreichende Rechtsgrundlage gibt. Mitarbeit Marc Huber

Profilfoto von Tamara Pfammatter

Tamara Pfammatter – Direktorin bei Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV

 

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