Rohstoffhändler Kolmar: Verfasser von Public Eye-Artikel freigesprochen – Urteil nur aufgrund des Nachweises des guten Glaubens

Der Gerichtsentscheid des Regionalgerichts Bern-Mittelland unter Gerichtspräsidentin Andrea Gysi (Bild unten)  war in den meisten Schweizer Zeitungen nur eine Randnotiz, trotzdem wurde darin ein wichtiges Urteil zum Schutz der Pressefreiheit gefällt. Das Gericht hat diese Woche die Autorinnen und Autoren eines Berichts über den Rohstoffhändler Kolmar Group mit Sitz in Zug vom Vorwurf der üblen Nachrede freigesprochen. Die NGO’s Public Eye und Trial International veröffentlichten im März 2020 einen Artikel, in dem sie der Kolmar Group vorwarfen in illegalen Gasöl-Schmuggel aus Libyen nach Malta verwickelt zu sein.

Gemäss Darstellung der Nichtregierungsorganisationen soll Kolmar (Bild oben links, Kolmar Group CEO Ruth Sandelowsky und rechts, Raf Aviner , CEO Kolmar Americas)  in Malta von einer Drittpartei geplünderten Diesel aus Libyen gekauft haben. Der Bericht ist das Ergebnis einer mehr als einjährigen Untersuchung, die in der Schweiz, auf Malta und Sizilien durchgeführt wurde. Er dokumentiert die Verwicklung der in Zug ansässigen Kolmar Group AG in den Handel mit libyschem Gasöl zwischen 2014 und 2015, als sich das Land inmitten eines Bürgerkriegs befand. Die Ermittler konnten insbesondere die Routen von drei Öltankern von der libyschen Küste zurückverfolgen, die ihre Ladung zweiundzwanzig Mal in Lagertanks entluden, die der Zuger Händler in Malta gemietet hatte. Gemäss den sichergestellten Dokumenten wurden diese Erdölprodukte von einem grenzüberschreitenden Gasölschmuggelnetz verkauft, das libysches Gasöl aus einer Raffinerie, die von einer in Menschenrechtsverletzungen verwickelten bewaffneten Gruppe kontrolliert wird, unterschlagen hat. Der subventionierte Kraftstoff, der für die lokale Bevölkerung bestimmt war, wurde von libyschen Fischerbooten zu Öltankern transportiert, die nach Malta fuhren.

Ehre verletzt?

Im Mai 2020 reichte TRIAL International eine Strafanzeige bei der Bundesanwaltschaft (BA) ein, kurz darauf folgte eine Mitteilung der Meldestelle für Geldwäscherei (MROS), die sich laut BA auf „einen identischen Zusammenhang“ bezog. Im Zusammenhang mit diesem Sachverhalt wurde im November 2020 eine Strafuntersuchung gegen Unbekannt wegen „Verdachts auf Kriegsverbrechen durch Plünderung“ (Art. 264g, Abs. 1 Bst. c StGB) eröffnet. Diese Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen.

Die in  Zug ansässige Kolmar Group fühlte sich durch die Vorwürfe im Bericht in der Ehre verletzt und erstattete Anzeige gegen die drei Verfasser:innen. Die Anwälte von Kolmar bezeichnen den Bericht als «äusserst ehrverletzend». Der zuvor gute Ruf der Firma sei dadurch schwer beschädigt worden. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat nach Prüfung der Vorwürfe Anklage erhoben, die zum Prozess führte, der im Januar stattfand.Diese Woche  gab die Gerichtspräsidentin das Urteil bekannt. 

Das Fazit der Gerichtspräsidentin lautete: „Der Artikel wurde nach langen und sorgfältigen Recherchen verfasst.“ Sie ging dabei jede einzelne von Kolmar monierte Textstelle im Bericht durch. Sie prüfte, ob die Rechercheure gute Gründe dafür hatten, zu schreiben, was im Bericht steht. Der Bericht stützte sich auf diverse Quellen und Dokumente, welche durchaus kritisch hinterfragt wurden. Die Kolmar Group AG hat nie auf die wiederholten Fragen und Bitten um eine Stellungnahme der NGOs geantwortet. Einem der Beschuldigten wurde sogar eine Entschädigung zugesprochen, weil er durch das Verfahren in seiner Arbeit als freier Journalist eingeschränkt war. Zudem hielt das Gericht gemäss Public Eye fest, die Berichterstattung sei im öffentlichen Interesse erfolgt. Public Eye teilte in ihrer Medienmitteilung über das Urteil mit: „Es bestätigt, dass investigative Recherchen und die Enthüllung unbequemer Fakten keine Straftat, sondern ein Grundpfeiler demokratischer Gesellschaften sind. Dieses Prinzip der Medienfreiheit gilt es ungeachtet aller Hindernisse zu verteidigen.“

Diverse weitere Urteile stehen noch aus

Das Regionalgericht anerkannte aber, dass die Vorwürfe im Bericht ehrverletzend gewesen sind. Der Freispruch sei allein aufgrund des Nachweises des guten Glaubens erfolgt. Die Kolmar Group teilte deswegen mit: „Da das Regionalgericht Bern-Mittelland die Autoren des Artikels nicht wegen übler Nachrede verurteilt hat, legt die Kolmar Group Berufung bei der nächsthöheren Instanz ein.“ Die Firma schätze die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen und Journalisten für das Funktionieren der Demokratie sehr. Allerdings müsse diese Arbeit innerhalb des gesetzlichen Rahmens stattfinden, was nach Einschätzung der Firma hier nicht der Fall gewesen sei. Darauf meldete sich Raphaël Mahaim. Er ist im Verfahren der Anwalt von Public Eye und Nationalrat der Grünen und erklärte:  «Die Aussagen von Kolmar in der Stellungnahme widersprechen dem, was das Gericht heute entschieden hat“.

Public Eye freut sich über den Entscheid. Schreibt aber in einer Stellungnahme, dass die Sache damit nicht ausgestanden sei. Es sei noch die zivilrechtliche Klage gegen die Autor:innen des Berichts hängig. In diesem Verfahren klagt der Rohstoffhändler auf die Summe von 1.8 Millionen Dollar Schadensersatz. Die NGO teilte mit: „An diesem Doppelverfahren zeigt sich der massiv gestiegene Druck auf Medien und NGOs.“ Das Zivilverfahren wird in diesem und im kommenden Jahr fortgesetzt.

Zuletzt fand auch  ein Strafverfahren der Bundesanwaltschaft gegen Unbekannt statt, in dem es um den Verdacht auf Kriegsverbrechen durch Plünderung geht. Neben der Anzeige der Nichtregierungsorganisationen erhielt die Bundesanwaltschaft zwischen 2020 auch Informationen von der Meldestelle für Geldwäsche (MROS), welche sich mit denen der Organisationen decken. Die Kolmar-Group erachtet diese Vorwürfe aber als nicht gerechtfertigt. Die Kolmar-Group betont im Mail an unserer Redaktion in einem generellen Hinweis: „Public Eye insinuiert in ihrer Kommunikation, dass die im März 2020 erhobenen Vorwürfe gegen Kolmar Group valide seien, weil nun das Gericht in Bern die Autorenschaft freigesprochen hat. Dies ist jedoch nicht korrekt. Die Autorenschaft hat den Wahrheitsbeweis für die – notabene: massiven – Vorwürfe vor Gericht nicht erbracht. Unbestritten ist auch, dass die beanstandeten Textpassagen in strafrechtlichem Sinne ehrverletzend sind. Nur der Gutglaubensbeweis wurde durch die Autorenschaft erbracht, was in keiner Art und Weise besagt, dass die im März 2020 erhobenen Vorwürfe inhaltlich korrekt sind.“

Immer mehr Verfahren zeigen, dass Schweizer Gerichte zunehmend mit Fällen konfrontiert werden, in denen Klägerinnen und Kläger den Entzug von Publikationen zu Themen von öffentlichem Interesse anstreben. Es ist zu erwarten, dass weitere solche Fälle vor Gericht kommen werden, wie zum Beispiel der bevorstehende Prozess zwischen SWISSAID und dem Tessiner Goldveredler Valcambi. Als Reaktion auf diese Entwicklung wurde die Schweizerische Allianz gegen Rechtsverletzungen gegründet, um auf die negativen Auswirkungen dieser für die Meinungsfreiheit und die Demokratie gefährlichen Praktiken aufmerksam zu machen. 

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