Bratwurst verbieten wegen Klimaschutzgesetz? Professoren verneinen direkte Massnahmenkompetenz für Bundesrat

Gibt das Klimaschutzgesetz, über das die Schweizer Stimmbevölkerung am 18. Juni abstimmt, dem Bundesrat neue Kompetenzen? Kann er in Eigenregie drastische Massnahmen setzen, beispielsweise Benzin oder Diesel verbieten, wenn die Klimagas-Ziele, die im Gesetz definiert sind, nicht erreicht werden?

 

Ja, sagt die SVP und befürchtet einen Demokratieabbau. Nein, sagen fünf Schweizer Professoren für Verwaltungsrecht in der heutigen NZZ. Allerdings mit einem Aber.

Die fünf Verwaltungsrechtsprofessoren, die in der NZZ zu Wort kommen, sind Alain Griffel (Universität Zürich), Markus Kern (Universität Bern), Andreas Kley (Universität Zürich), Andreas Glaser (Universität Zürich) und Felix Uhlmann (Universität Zürich).  Gemäss der Zeitung sind sie sich einig, dass das neue Gesetz dem Bundesrat keine direkte Kompetenz einräume, auf der Grundlage des neuen Gesetzes Massnahmen zu setzen.

Direkte Massnahmenkompetenz lediglich innerhalb der Bundesverwaltung

Mit einer Ausnahme: Bei der Umsetzung der Ziele in der Bundesverwaltung nach Art. 10 KlG. Hier sehe das Gsetz eine weitergehende Verordnungskompetenz vor, wird Professor Markus Kern in dem Artikel zitiert. Tatsächlich hält Absatz 3 des besagten Artikels denn auch explizit fest, der Bundesrat lege für diese Zielerreichungh die notwendigen Massnahmen fest. – Ziele, die notabene noch ambitionierter – böse Zungen sagen: illusorischer – sind, als die anderen: So müsste die Bundesverwaltung gemäss Gesetz bereits bis 2040 «mindestens Netto-Null-Emissionen» aufweisen.

Ansonsten: Ordentlicher Gesetzesweg

Für alle anderen Massnahmen müsse der Bundesrat den ordentlichen Gesetzgebungsweg gehen, die einhellige Meinung der angefragten Vertreter der Lehre. Professor Griffel sieht gleichwohl einen Unterschied zu heute, nämlich der, dass der Bundesrat mit dem Gesetz verpflichtet sei, Vorschläge zur Reduktion des CO2-Ausstosses zu unterbreiten. Auch wenn es Griffel in der NZZ nicht explizit sagt, dürfte er sich dabei auf Art. 11 zur Umsetzung der Ziele berufen, wo genau das steht. Griffel macht aber sehr deutlich, dass weder dieser noch ein anderer Gesetzesartikel dem Bundesrat erlauben würde, schärfere Massnahmen in eigener Kompenz auf Verordnungseben zu erlassen.

Ja, aber

Und dennoch scheint verschiedenen der angefragten Professoren nicht ganz wohl zu sein, allerdings nicht aufgrund des Buchstabens des Klimaschutzgesetzes. Andreas Kley verweist auf das Thema Notrecht. Kley war in den letzten Monaten immer wieder eine mahnende Stimme und äusserte Kritik am leichtfertigen Gebrauch von Notrecht durch den Bundesrat – beispielsweise im Rahmen von Corona, aber auch beim kürzlichen «Bankendeal» – der mehr oder minder staatlich verordneten Übernahme der Credit Suisse durch die UBS. Kley befürchte, so die NZZ, dass der Bundesrat dereinst auch im Bereich Klimawandel mit Notrecht agieren könnte.

Kleys Bedenken werden von Professor Glaser geteilt. Der Bunderat verfüge über ein mittlerweilen «unübersichtliches Set aus Notrechtsvollmachten», die er «je nach Situation überraschend» anwende. Auch Glaser bezieht sich dabei auf die CS-Rettung und die Vergabe der dortigen Kredite.

Bei alledem scheinen alle Vertreter der Lehre aber eins: Die Rechtmässigkeit eines Eingriffs gestützt auf Notrecht wäre ganz klar nicht gegeben. Das Zitat dazu von Professur Uhlmann: «Soweit die Theorie.»

Art. 3 Ziel der Verminderung von Treibhausgasemissionen und der Anwendung von Negativemissionstechnologien

1 Der Bund sorgt dafür, dass die Wirkung der in der Schweiz anfallenden von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 Null beträgt (Netto-Null-Ziel), indem:

  1. die Treibhausgasemissionen so weit möglich vermindert werden;

und

  1. die Wirkung der verbleibenden Treibhausgasemissionen durch die Anwendung von Negativemissionstechnologien in der Schweiz und im Ausland ausgeglichen wird.

2 Nach dem Jahr 2050 muss die durch die Anwendung von Negativemissionstechnologien entfernte und gespeicherte Menge an CO2 die verbleibenden Treibhausgas­emissionen übertreffen.

3 Der Bund sorgt dafür, dass die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 gemäss den festgelegten Zwischenzielen vermindert werden:

  1. im Durchschnitt der Jahre 2031–2040: um mindestens 64 Prozent;
  2. bis zum Jahr 2040: um mindestens 75 Prozent;
  3. im Durchschnitt der Jahre 2041–2050: um mindestens 89 Prozent.

4 Die Verminderungsziele müssen technisch möglich und wirtschaftlich tragbar sein. Soweit möglich müssen sie durch Emissionsverminderungen in der Schweiz erreicht werden.

5 Der Bund und die Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten dafür, dass spätestens bis 2050 in der Schweiz und im Ausland Kohlenstoffspeicher im notwendigen Umfang für die Erreichung des Netto-Null-Ziels zur Verfügung stehen. Der Bundesrat kann Richtwerte für die Anwendung von Negativemissionstechnologien festlegen.

6 Für die Erreichung der Ziele nach den Absätzen 1 und 2 werden die Emissionen aus in der Schweiz getankten Treibstoffen für internationale Flüge und Schifffahrten mitberücksichtigt.

Art. 4 Richtwerte für einzelne Sektoren

1 Zur Erreichung der Verminderungsziele nach Artikel 3 Absätze 1 und 3 sind die Treib­haus­gas­emissionen in der Schweiz in den folgenden Sektoren gegenüber 1990 mindestens wie folgt zu vermindern:

    1. im Sektor Gebäude:
      1. bis 2040: um 82 Prozent,
      2. bis 2050: um 100 Prozent;
    2. im Sektor Verkehr:
      1. bis 2040: um 57 Prozent,
      2. bis 2050: um 100 Prozent;
    3. im Sektor Industrie:
      1. bis 2040: um 50 Prozent,
      2. bis 2050: um 90 Prozent.

    2 Der Bundesrat kann nach Anhörung der betroffenen Kreise im Einklang mit Absatz 1 Richtwerte für weitere Sektoren, für Treibhausgase und für Emissionen aus fossilen Energieträgern festlegen. Dabei berücksichtigt er die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Verfügbarkeit neuer Technologien sowie die Entwicklungen in der Europäischen Union.

    Art. 10 Vorbildfunktion von Bund und Kantonen

    1 Bund und Kantone nehmen in Bezug auf die Erreichung des Ziels von Netto-Null-Emissionen und auf die Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels eine Vorbildfunktion wahr.

    2 Die zentrale Bundesverwaltung muss bis zum Jahr 2040 mindestens Netto-Null-Emissionen aufweisen. Dabei werden neben den direkten und indirekten Emissionen auch die Emissionen berücksichtigt, die vor- und nachgelagert durch Dritte verursacht werden.

    3 Der Bundesrat legt die für diese Zielerreichung notwendigen Massnahmen fest. Er kann Ausnahmen im Zusammenhang mit der Sicherheit des Landes und dem Schutz der Bevölkerung vorsehen. Er informiert die Bundesversammlung regelmässig über den Stand der Zielerreichung.

    4 Die Kantone für ihre zentralen Verwaltungen und die bundesnahen Betriebe streben an, ab 2040 mindestens Netto-Null-Emissionen aufzuweisen. Der Bund stellt ihnen für die Wahrnehmung ihrer Vorbildfunktion die notwendigen Grundlagen zur Verfügung.

     

    Art. 11 Umsetzung der Ziele

    1 Der Bundesrat unterbreitet der Bundesversammlung nach vorgängiger Anhörung der betroffenen Kreise und unter Berücksichtigung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse rechtzeitig Anträge zur Umsetzung der Ziele dieses Gesetzes:

      1. für die Periode 2025–2030;
      2. für die Periode 2031–2040;
      3. für die Periode 2041–2050.

    2 Er unterbreitet der Bundesversammlung die Anträge nach Absatz 1 grundsätzlich im CO2-Gesetz vom 23. Dezember 20115.

    3 Die Anträge des Bundesrates sind auf eine Stärkung der Volkswirtschaft und auf Sozialverträglichkeit ausgerichtet.

    4 Bund und Kantone setzen sich im Rahmen ihrer Zuständigkeiten in der Schweiz und im internationalen Verhältnis für die Begrenzung der Risiken und Auswirkungen des Klimawandels entsprechend den Zielen dieses Gesetzes ein.

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