Bündner Justizkommission führt Verfahren gegen beschuldigten Richter – Absetzung aber frühestens im Februar 2023

Ein Richter wird der Vergewaltigung bezichtigt – und verbleibt trotzdem im Amt. Das sorgt aktuell für rote Köpfe in Graubünden – und für Unverständnis im Rest der Schweiz. Und dann plötzlich die überraschende Wende.

Vielen ausserhalb der Schweizer Ferienecke fällt es schwer zu verstehen, was da im Bündnerland gerade vor sich geht. Bei INSIDE JUSTIZ häufen sich E-Mails und Leserkommentare, welche die Wahrnehmung der Vetternwirtschaft innerhalb der Behörden und der Strafverfolgungsorgane bestätigen und von eigenen, ähnlich gelagerten Erlebnissen berichten.

Ein Stein des Anstosses ist die Tatsache, dass der mutmassliche Vergewaltiger nach wie vor als Richter amtet. Wie das SCHWEIZER FERNSEHEN gestern berichtet, soll er zwar ins Home Office verbannt worden sein und keinen Kontakt mehr zu Praktikantinnen und Aktuarinnen haben dürfen, offiziell suspendiert oder «im Amt eingestellt», wie dieser Vorgang im Verwaltungspersonalrecht heisst, wurde er nicht.

Kommission für Justiz und Sicherheit als Dunkelkammer

Zuständig dafür wäre die Kommission für Justiz und Sicherheit des Bündner Grossen Rates, die bislang allerdings nichts in diese Richtung unternommen hat. Seit dem 1. September sitzt der Kommission die 25-jährige SP-Vize-Kantonalpräsidentin und Rechtsstudentin Julia Müller vor. Auf Anfrage von INSIDE-JUSTIZ verlässt sie schon im November lediglich verlauten, die Kommission beschäftige sich eingehend mit dem Fall. Was das heisst, mag sie auch letzte Woche noch nicht konkret ausführen.

Unvermittelt eine Medienmitteilung

Dann publiziert die Kommission am Dienstagnachmittag überraschend eine Medienmitteilung, die allerdings mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet. «Verfahren gegen Verwaltungsrichter läuft», heisst es dort im Titel. Und weiter, die Kommission für Justiz und Sicherheit habe «im Zusammenhang mit den Vorfällen am Verwaltungsgericht – gleich nach der Ermächtigung für das Strafverfahren – Ende August 2022 – selbst ein Verfahren im Hinblick auf allfällige Entscheide des Grossen Rats gegen den beschuldigten Richter eröffnet und arbeitet seither intensiv an dem Fall.»

Was die Kommission mit diesem «Verfahren» bezwecken will, schreibt die Kommission allerdings nicht. Soll der beschuldigte Richter – endlich – im Amt eingestellt werden, wie es im Amtsjargon heisst? Beispielsweise, bis die Strafuntersuchung abgeschlossen oder ein rechtskräftiges Urteil vorliegt?

Fasst die Kommission nun eine Amtsenthebung ins Auge?

Oder will die Justiz-Kommission den Richter gleich des Amtes erheben? In der Medienmitteilung lässt die Kommission alles offen und schreibt lediglich, dass der Grosse Rat sowohl für Amtsenthebung wie auch Amtseinstellung zuständig sei und die Kommission die Geschäfte für den Grossen Rat vorbereite.

Den Ablauf regelt das Gerichtsorganisationsgesetz

Ein Blick ins Gerichtsorganisationsgesetz des Kantons Graubünden zeigt, dass beides möglich wäre. Artikel 69 des Gesetzes legt fest, dass der Grosse Rat zuständig sei «für Disziplinarmassnahmen, mit welchen Richterinnen und Richter des Kantons-  und des Verwaltungsgerichts zeitweilig im Amt eingestellt oder ihres Amtes enthoben werden.»

Artikel 63 des Gerichtsorganisationsgesetzes sieht als Voraussetzung für ein Einschreiten der Aufsichtsbehörde einen «ordnungswidrigen Zustand» vor, Artikel 64 konkretisiert, dass vor einem Entscheid eine Untersuchung und Anhörung der betroffenen Person durchzuführen sei.

Rechtliches Gehör eröffnet

Was gemäss Medienmitteilung offenbar aktuell der Fall ist: «Derzeit läuft die Gewährung des rechtlichen Gehörs. Nach Ablauf dieser Frist bzw. nach Eingang einer allfälligen Stellungnahme wird die KJS die nächsten Entscheide fällen und gegebenenfalls dem Grossen Rat in der Februarsession 2023 einen Bericht und Antrag unterbreiten», heisst es in der Mitteilung weiter.

Heisst: Auch eine Suspendierung des Richters ist frühestens im Februar zu erwarten. Bis dann wird fast ein Jahr seit dem Eingang der Strafanzeige vergangen sein. Und: Eine Einstellung im Amt kann gemäss Gesetz für maximal 6 Monate verfügt werden. Bei dem schleppenden Gang der Bündner Behörden dürfte kaum damit zu rechnen sein, dass innerhalb dieser Frist ein rechtskräftiger Entscheid aus dem Strafverfahren gegen den beschuldigten Verwaltungsrichter resultiert.

Gleich eine Amtsenthebung?

Sollte die KJS, was sie in der Medienmitteilung offen lässt, gleich auf eine Amtsenthebung hinarbeiten, sind die Voraussetzungen dafür in Artikel 7 des Gerichtsorganisationsgesetzes geregelt. Ein solcher Schritt kann gemäss lit. a.) erfolgen, wenn ein Richter die Amtspflichten vorsätzlich oder grobfahrlässig schwer verletzt hat, wenn er nach lit. c) wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt wurde oder nach lit. d) «aus anderen schwerwiegenden Gründen als Mitglied eines Gerichts (…) nicht mehr zumutbar erscheint.» Dieser Auffangtatbestand müsste aufgrund der Anzüglichkeiten, die sich der Verwaltungsrichter geleistet hat und die von ihm auch nicht bestritten werden, eigentlich ausreichen. Allerdings: Einer vorzeitigen Amtsenthebung müssten drei Viertel der Mitglieder des Grossen Rates zustimmen.

 

LESEN SIE AM DONNERSTAG AUF INSIDE JUSTIZ:

Viele kritische Fragen auch bei der Kommission für Justiz und Sicherheit

 

5 thoughts on “Bündner Justizkommission führt Verfahren gegen beschuldigten Richter – Absetzung aber frühestens im Februar 2023

  1. Es ist halt immer so eine Sache. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass das Verwaltungsgericht und insbesondere die anderen männlichen Richter, die dort arbeiten, klarstellen wollen, dass sie nicht die Täter sind. Die Frage ist, warum INSIDE JUSTIZ und die anderen Medien den Namen des Richters nicht nennen – schliesslich ist er als gewählter Richter eine Person des öffentlichen Lebens und wir sollten doch als Staatsbürgerinnen und -bürger wissen dürfen, welche unserer Richterpersonen sich so verhalten. Ich mag‘ mich erinnern, dass das Bundesgericht damals im Falle von Armeechef Roland Näf die namentliche Nennung guthiess und es als überwiegendes öffentliches Interesse sah, dass wir wissen, welchen Charakters der erste Soldat im Staat ist.

    1. Liebe Leserinnen und Leser
      Die Frage, in welchen Fällen wir Namen nennen, ist auf unserer Redaktion eine vieldiskutierte Frage. Die Abwägungen werden immer im Einzelfall und im Team gemacht. Vorliegend gab es verschiedene Gründe, die für eine Nennung sprachen: Zum einen ist der Richter eine Person des öffentlichen Lebens, der immer wieder, früher und auch heute noch, öffentliche Aufgaben und Ämter gesucht hatte. Zudem hat er die mutmassliche Tat im Amt begangen, und er ist ein hoher Amtsträger. Auch das Argument, dass ohne Namensnennung andere Richter an dem Gericht ungerechtfertigt in Verdacht geraten könnten, haben wir erwogen.
      Gegen eine Veröffentlichung spricht, dass auch für den beschuldigten Richter bis zur rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung gilt. Als Medienbetrieb sind wir der Unschuldsvermutung zwar nicht direkt aus der Verfassung unterworfen, aber auch die journalistischen Standesregeln postulieren sie als Grenze der journalistischen Arbeit. Das Bundesgericht hat zudem postuliert, dass bei einem Straftäter, der medial vorverurteilt wurde, dieser Umstand bei der Strafe zwingend als mildernder Umstand angerechnet werden muss. Zudem gehen wir davon aus, dass im vorliegenden Fall keine Notwenigkeit besteht, weitere potentielle Opfer vor dem mutmasslichen Täter zu warnen und wir seinen Namen deshalb publizieren sollten.
      Drohungen von Anwälten oder Betroffenen, bei einer Namensnennung rechtliche Schritte gegen die Redaktion einzuleiten, fliessen in steter Praxis nicht in unsere Erwägungen ein.

  2. Wer heute den Artikel in der Südostschweiz gelesen hat, kann nun, wenn er noch die Homepage des Verwaltungsgerichtes heranzieht, zweifelsfrei für sich selber herausfinden, wie besagter Richter oder Täter heisst. Es wird geschrieben, der beschuldigte Richter habe den Präsidenten und Vizepräsidenten sowie die beiden Richterinnen über das Strafverfahren informiert. Das Verwaltungsgericht besteht aus fünf Richtern/Richerinnen. Also bleibt nur noch eine Person übrig. Ich schreibe jetzt den Namen nicht, aber jeder kann sich diesen so herleiten.

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