Bündner „Justizskandal“ endet mit Einstellungsverfügung

Der ausserordentliche Staatsanwalt Andrej Gnehm hat das Strafverfahren gegen den Bündner Kantonsgerichtspräsidenten Norbert Brunner eingestellt. Der Bündner Gerichtsposse, vor Monaten von der Online-Zeitschrift DIE REPUBLIK zum Skandal hochgeschrieben, endet damit unspektakulär. Ganz unproblematisch bleibt die Geschichte dennoch nicht.

 

Zur Erinnerung: Brunner war von einem Richterkollegen vorgeworfen worden, er hätte ein Urteil in einer Erbschaftsangelegenheit nachträglich und eigenmächtig abgeändert und damit eine Urkundenfälschung begangen, dazu standen weitere mutmassliche Delikte im Amt im Raum. Hintergrund war, dass der Gerichtspräsident bei der Ausfertigung eines Urteils, über welches das Richterkollegium entschieden hatte, auf ein Dokument stiess. In diesem wies ein Erbe das Gericht an, dass, falls er mit seiner Klage erfolgreich sein würde, die zugesprochene Summe nicht ihm, sondern seinem Anwalt auszuzahlen sei. Der beschuldigte Gerichtspräsident änderte oder ergänzte das Urteil deshalb entsprechend: Der Erbe obsiegte nach wie vor, nur die „Zahlstelle“ wurde angepasst. – Die anderen Richter hatten das Dokument, das sich bei den Verfahrensakten befand, offenkundig nicht gelesen.

„Whistleblower“ Schnyder entsorgt

Richter Peter Schnyder, der an dem Entscheid beteiligt war, machte Brunner in der Folge heftige Vorhalte und reichte eine Strafanzeige gegen ihn ein. Das Gericht selbst sah mehr im Handeln Schnyders als in der Arbeit des Gerichtspräsidenten das Problem und beantragte der Justizkommission des Bündner Grossen Rates, Schnyder abzuwählen. Die Kommission kam dem zwar nicht nach, empfahl Schnyder im Juni 2020 aber nicht mehr zur Wahl. Das Plenum folgte und Schnyder verlor damit sein Richtermandat.

Gleichzeitig stellte die Kommission bei Brunner eine „sehr ernsthafte“ Amtspflichtverletzung fest, hob die Immunität des Gerichtspräsidenten auf und ebnete damit den Weg für eine Strafuntersuchung, für die der Zürcher Staatsanwalt Andrej Gnehm als ausserordentlicher Staatsanwalt eingesetzt wurde.

Jahrelange Praxis – kein Vorsatz erkennbar

Und dieser kommt nun nach seiner Befragung zum Schluss, es liege kein strafwürdiges Verhalten vor. Als Grund dafür nennt er die Abläufe am Kantonsgericht Graubünden, die seit Jahren dergestalt gehandhabt würden, dass das Richterkollegium jeweilen nur einen materiellen Grundsatzentscheid fälle und es dann dem Schreiber oder dem Vorsitzenden überlasse, das Urteil auszuarbeiten. Und offenbar gehört dazu auch, dass ein solches schliesslich verschickt wird, ohne dass es von allen Mitgliedern des Spruchkörpers noch einmal gelesen und „abgesegnet“ wird. Brunner, so Genehms Einschätzung, habe deshalb im vollen Glauben gehandelt, das Richtige zu tun, womit es am Vorsatz der Tatbegehung fehlt.

Allerdings rügt Gnehm sehr wohl die Praxis des Kantonsgerichts und rät, diese Delegationspraxis dringend zu überdenken.

 

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Der vermeintliche Bündner Justizskandal endet also mit einer Einstellungsverfügung. Das war wohl von Anbeginn an nicht anders zu erwarten, auch wenn in TV- und Zeitungsbeiträgen einige Experten einen anderen Ausgang insinuiert hatten – wobei offen bleiben muss, wie genau sie die Umstände überhaupt studiert hatten. Gleichwohl bleibt ein ungutes Gefühl, denn die Untersuchung durch den ausserordentlichen Staatsanwalt hat jetzt am Beispiel Graubündens schwarz auf weiss bestätigt, was in Juristenkreisen als offenes Geheimnis gilt: An vielen Gerichten herrscht der Schlendrian. Im Falle des höchsten Bündner Gerichts werden in aller Regel, so das Resultat der Untersuchung, nicht einmal die Urteilsdispositive durch den Spruchkörper fertig ausformuliert. – Geschweige denn die argumentative Herleitung. Und ganz offensichtlich hatten vorliegend die erlauchten Richter nicht einmal die Akten sauber studiert – sonst hätte ihnen nämlich das Schreiben, mit dem der Kläger eine Zahlungsanweisung an seinen Anwalt mitteilt, nicht entgehen dürfen. Wie oft werden wohl Aktenstücke auch an anderen Schweizer Gerichten schlicht nicht zur Kenntnis genommen? Aufgrund der Recherchen und Gespräche der INSIDE JUSTIZ Redaktion ist zu vermuten, dass der Kanton Graubünden keinen Einzelfall darstellt und diese Praxis auch an anderen Gerichten gelebt wird.

 

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