Bürgerlicher Sittenzerfall

Der Sittenzerfall schreitet voran, mit unseren Eliten an der Spitze der Bewegung. Jüngstes Beispiel: Das Büro des Nationalrates hat ausgerechnet auf den Tag des Zürcher Sechseläutens eine Sitzung anberaumt und sich davon nicht vom Argument abbringen lassen, am 1. Mai werde regelmässig auf Druck der Linken auch keine Sitzung abgehalten. Wenn nun aber die Bürgerlichen in Zürich ihre Zeufter-Parade abhalten, gibt es kein Pardon, Verzeihung: keine Sitzungsverschiebung. Der erste Akt im Drama «Verrohung der Sitten».

Das stürzt im zweiten Akt nun etliche und nicht nur Zürcher Nationalrätinnen und Nationalräte in einen tiefen Gewissenskonflikt. Die zürcherisch-zwinglianische Arbeitsethik und die eigenen parteipolitischen Grundsätze lassen selbstredend keinen Spielraum offen: Arbeit kommt vor dem Feiern oder neudeutsch: «Play hard, Party hard». Erst wird geliefert, dann gefeiert. Wo kämen wir denn da hin, wenn Angestellte einfach frei entscheiden würden, mal eben frei zu feiern, um an einem Fest teilzunehmen? Arbeitsrechtlich undenkbar, die schriftliche Verwarnung zwingend. Zumindest überall dort, wo noch nicht die neue Wokeness und Gen Z-Managerinnen übernommen haben.

Nun sind zwar vor dem Gesetze alle gleich, Politiker aber doch noch etwas gleicher. Die bei den letzten Wahlen hochkant gescheiterte Zürcher FDP-Ständeratskandidatin Regine Sauter (stattdessen immer noch Nationalrätin, Verwaltungsrätin, Stiftungsrätin oder Beirätin), bekennt auf 20minuten.ch freimütig, die Parlamentssession schwänzen und stattdessen feiern zu wollen. Als Begründung gibt sie an, sie habe ansonsten wenig Absenzen im Parlament. Man stelle sich vor, ein einfacher Mitarbeiter eines Unternehmens würde mit ebendieser Begründung einfach an Gründonnerstag nicht zur Arbeit erscheinen oder am Dienstag nach Ostern noch einen zusätzlichen arbeitsfreien Tag hinterher schieben? Und als ob es nicht noch schlimmer ginge, bekennt Sauter dann auch noch freimütig, sie habe ob des Schwänzens «keineswegs ein schlechtes Gewissen». Ja Danke, werden sich da die Lehrpersonen im Land sagen. Und wie soll‘ ich jetzt meine Schutzbefohlenen noch für ihr Schulschwänzen zusammenfalten, wenn die Eliten nicht einmal mehr ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommen?

Der Fairness halber soll erwähnt sein, dass sich auch Sauters genauso hochkant gescheiterter SVP-Ständeratskandidat Gregor Rutz zum Schwänzen bekennt. Auch er ist bekannt dafür, gerne mit dem Finger auf die zu zeigen, die ihrer Verantwortung nicht nachkommen. Aber «Walk your talk» gilt eben auch bei ihm nur für die anderen.

Parteikollege Bruno Walliser oder FDP-Jungstar Andri Silberschmidt gehen immerhin kommunikativ etwas geschickter vor und sagten gegenüber 20minuten.ch, sie hätten sich noch nicht definitiv entschieden. – Was ausgedeutscht etwa heisst: Wir schauen jetzt erst mal, wie gross der Shitstorm über die bekennenden Schwänzer herabregnet, bevor wir uns auch dafür entscheiden.

Immerhin, in einer Ecke der Schweiz herrscht noch Anstand und Moral: Und zwar in Appenzell – wo sonst. Der Ausserrhoder Nationalrat David Zuberbühler hat seine Teilnahme am Sechseläuten wieder abgesagt: «Das erwarten meine Wähler von mir, schliesslich kann im Rat jede einzelne Stimme entscheidend sein, wie sich das etwa beim Armeebudget gezeigt hat», lässt sich Zuberbühler in der Zeitung zitieren. Dass er «hässig» sei, lässt sich bei ihm aber durchaus gut verstehen: Schliesslich ist Appenzell heuer Gastkanton am Sechseläuten, und anders als für die arbeitsfaulen Zürcher Parlamentarier, für die auch nächstes Jahr wieder Sechseläuten ist, wäre das für ihn eine einmalige Angelegenheit gewesen.

Zum Trost für Zubi halten wir fest: Wer so selbstlos den Dienst an der Allgemeinheit über persönliche Interessen stellt, qualifiziert sich für höhere Weihen.  Zubi for President!

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