Bundesverwaltungsgericht hebelt Vertrauensprinzip aus

Das Bundesverwaltungsgericht verurteilt zwei Online-Casinos, weil sie das Sozialkonzept nicht gesetzeskonform umgesetzt haben sollen. Das Absurde daran: Sie hatten im grossen Ganzen nichts anderes getan, als Konzepte umgesetzt, die von der Eidgenössischen Spielbankenkommission ESBK eben noch durchgewunken worden waren.

Wenn ein Bürger beim Staat nachfragt, wie er sich rechtskonform zu verhalten habe und sich an diese Auskunft hält, dann sollte nach Bundesverfassung das Vertrauensprinzip gelten. Sprich: Der Private kann nicht belangt werden, wenn er sich so verhält, wie vom Staat verlangt. Das sollte umsomehr gelten, wenn der Staat bei einer Konzessionsvergabe die Geschäftsprozesse des Konzessinärs geprüft und für gut befunden hat. Tut es aber nicht immer, wie zwei heute publizierte Fälle belegen.

Handeln nach Treu und Glauben

Dieses sogenannte Vertrauensprinzip ist ein zentrales Element des Rechtsstaates und erschliesst sich aus Art. 5 Abs. 3 und Abs. 9 der Bundesverfassung. Art. 5 Abs. 3 postuliert, dass staatliche Organe und Privat nach Treu und Glauben handeln, Art. 9 postuliert den Anspruch «jeder Person» darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.» Darunter wird auch verstanden, dass eine staatliche Behörde nicht denselben Sachverhalt einmal als gesetzeskonform, am nächsten Tag als gesetzwidrig betrachten kann.

Genauso hatte sich allerdings die Eidgenössische Spielbankenkommission ESBK verhalten, als sie im Jahr 2021 zwei Online-Casinos büsste, weil diese nach Auffassung der ESBK ihre Sorgfaltspflichten verletzt hatten. Das Bundesverwaltungsgericht hat nun zwei Beschwerden gegen den Treuebruch der ESBK zurückgewiesen, wie aus den heute publizierten und in weiten Teilen wortgleichen Urteilen B-372/2021 und B-369/2021 des Bundesverwaltungsgerichts zu entnehmen ist. Die Richter Martin Kayser (SP), Christian Winiger (SP) und Eva Schneeberger (FDP) hebeln damit nach Ansicht verschiedener von INSIDE-JUSTIZ befragter Juristen in eklatanter Weise das Vertrauensprinzip aus.

Der Fall: Teledata-Abfragen: Ausreichend oder nicht?

Konkret geht es um die Frage, an welchem Punkt ein Online-Casino genauere Abklärungen über einen Kunden machen muss, um sicherzustellen, dass der Spieler nicht über seinen wirtschaftlichen Verhältnissen spielt: sprich: in die Spielsucht abgleitet.

In einem der Fälle hatte das Online-Casino gemäss Urteil bereits in der Konzessionseingabe im Jahr 2019 dargelegt, bei Erreichen welcher Kriterien die wirtschaftlichen Verhältnisse geprüft werden. Solche Kriterien waren z.B. Nettoverluste von CHF 40’000 innerhalb von 12 Monaten oder eine hohe Einzahlung nach einer Spielpause. Eine solche «Red Flag» führte zu einer «Früherkennung», zu der es offenbar gehörte, bei Teledata einen Betreibungsregister-Auszug einzuholen. War dieser «sauber», blieb der Kunde zum Spiel zugelassen.

Tatsächlich hohe Summen verspielt

Das diese Form der «Früherkennung» möglichweise nicht weit genug geht, erscheint nach den Sachverhaltsschilderungen des Gerichts nachvollziehbar. So dokumentieren beide Gerichtsurteile Fälle, bei denen ein Spielerinnen und Spieler hohe Nettoverluste von – im krassesten Falle – bis über CHF 480’000 erlitten hatten, in anderen Fällen deutlich über CHF 100’000.  Im zweiten Gerichtsfall wird von einem Spieler berichtet, der über 24 Stunden lang ununterbrochen gespielt haben soll.

Ja, aber

Dass Behörden und Gerichte – erst recht im Zeitalter des um sich greifenden «Nanny-Staates» – zum Schluss kommen, hier müsse früher und genauer hingeschaut werden und diese Rechtsauffassung durch das BGS auch gedeckt ist, ist allerdings nicht der Punkt.

Der von den Casinos praktizierte Früherkennungsprozess war gemäss Urteilsbegründung in einem der Fälle offenbar bereits vor der Konzessionsvergabe Bestandteil von Gesprächen zwischen dem Online-Casino und der ESBK gewesen, wurde aber schliesslich von der Spielbankenkommission als geeignetes Mittel zur Abklärung anerkannt. Auf dieser Basis erteilte der Bundesrat auf Antrag der ESBK die Konzessionserweiterung für den Betrieb des Online-Casinos.

Fünf Jahre später kommt nun das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, eine Teledata-Auskunft sei nicht ausreichend als Abklärungsschritt und die ESBK habe die Online-Casino 2021 zurecht (in dem einen Fall mit einer Sanktion von über CHF 1.7 Mio. Franken) gebüsst, weil es die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Spieler zu wenig intensiv geprüft hatte.

Und das Vertrauensprinzip?

Beide Casinos argumentierten, die ESBK habe ja höchstselbst alle Sozialschutz-Konzepte geprüft und für gut befunden. Warum also sollte sich das Casino nicht auf den Vertrauensschutz berufen können?

Dazu schreiben die St. Galler Richter zunächst selbst: «In der Tat wäre es wünschenswert gewesen, wenn die Vorinstanz ihre Vorbehalte gegen die Teledata-Abfragen bereits anlässlich ihrer Vorprüfung des Konzessionsgesuchs in unzweideutiger Weise geäussert hätte.» – Wie das Gericht dabei von einer «Vorprüfung» spricht, verwundert, wenn gleichzeitig der Sachverhalt darauf schliessen lässt, dass zumindest eines der Casinos sein Sozialkonzept nachbessern musste, bevor es die Konzession erhielt. Mit anderen Worten: Es geht nicht um eine Vorprüfung, sondern eine Prüfung.

Und weiter: «Ob in der Erteilung der Konzession durch den Bundesrat ein implizite Genehmigung des Sozialschutzkonzeptes zu erblicken ist und ob sich dadurch oder allenfalls durch das Verhalten der Vorinstanz ein Anspruch auf Vertrauensschutz ergibt, kann aber – wie nachfolgend aufgezeigt wird – offenbleiben.»

Die wundersame Verrenkung

Und das wiederum begründet das Bundesverwaltungsgericht damit, dass auch ein «Früherkennungskonzept» die gesetzliche Bestimmung von Art. 80 des Bundesgesetzes über Geldspiele «nicht derogieren (also ausser Kraft setzen, die Red.) könne.

Nur: Für die Konzessionseingabe muss ein Casino-Bewerber gemäss Recherchen von INSIDE-JUSTIZ bei mehreren Betreibern eben nicht nur ein «Früherkennungskonzept» einreichen, sondern seine gesamten Spielerschutz-Prozesse in allen Details darlegen, bis hin zu den Schritten, die schliesslich zu einer Spielsperre führen, wie sie in dem besagten Art. 80 BGS vorgesehen ist, wenn «die Spielbanken (…) aufgrund eigener Wahrnehmungen oder aufgrund von Meldungen Dritter wissen oder annehmen müssen, dass sie (gemeint: die Spielerinnen und Spieler, die Red.) a. überschuldet sind oder ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen; oder b. Spieleinsätze tätigen, die in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen und Vermögen stehen.

Dafür spricht auch eine Bestimmung aus der Spielbankenverordnung, die in Art. 82 festhält: «Die Spielbank gibt zu jeder im Sozialkonzept festgelegten Massnahme an, wie, mit welchen Mitteln und welchen Instrumenten sie umgesetzt werden soll.»

Mit anderen Worten: Der ESBK mussten sehr wohl sämtliche Prozesse und Kriterien bekannt gewesen sein, welche von den beiden Online-Casinos angewendet werden, um die Spielerschutz-Bestimmungen aus dem BGS bis hin zur Spielsperre umzusetzen. Wie das Bundesverwaltungsgericht deshalb zum Schluss kommen kann, der ESBK sei kein Vorwurf zu machen, die Konzepte zunächst gutgeheissen und die Casinos wenig später für exakt diese Konzepte zu büssen, wird von verschiedenen von INSIDE-JUSTIZ angefragten Experten als im höchsten Ausmasse abenteuerlich bezeichnet.

Keine klaren Vorgaben

Noch befremdlicher wirkt das Urteil bei der Frage, was denn ein Online-Casino konkret vorkehren müsste, um die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Das Bundesverwaltungsgericht mag sich dazu ebenso wenig festlegen wie die Vorinstanz, die ESBK. Die drei St. Galler Richter schreiben: «Die Vorinstanz legt nicht konkret dar, welche Indizien ihrer Auffassung nach einen Anfangsverdacht im Sinne von Art. 80 Abs. 1 BGS begründen, bei deren Vorliegen die Spielbank einen Spieler provisorisch sperren muss, bis er durch geeignete Dokumente diesen Verdacht widerlegt hat. (…)Es kann nicht Sache des Bundesverwaltungsgerichts sein, diese Indizien, insbesondere auch etwa massgebliche Grenzen für Nettoverluste innert bestimmter Zeitperioden konkret festzulegen, solange die fachkundigere Erstinstanz sich dazu nicht geäussert hat.»

Im Klartext: Wie wissen genauso wenig wie die ESBK, wie es richtig gehen müsste. Wir wissen nur: So wie es das Casino gemacht hat, war es falsch. Und: Wir möchten jederzeit wieder zum Schluss kommen können, ein Casino zu büssen, wenn es uns gefällt. – Rechtssicherheit geht anders.

GwG-Vorschriften ad absurdum geführt

Ein weiterer Kritikpunkt in einem der Urteile ist ein Fall, bei dem ein Spieler im Hinblick auf mögliche Geldwäscherei nicht hinreichend abgeklärt worden sei. Der Mann hatte gemäss dem Urteil Bankauszüge vorgelegt, um seine finanzielle Situation zu dokumentieren. Nicht ausreichend für das Bundesverwaltungsgericht: «Solche Vermögensnachweise geben jedoch keinen Aufschluss über die Herkunft der ausgeführten Vermögenswerte im Sinne von Art. 16 Bst. c GwV ESBK.»

Was das Bundesverwaltungsgericht mit keinem Satz erwähnt: Damit ein Geldbetrag überhaupt auf einem Schweizer Bank-Konto liegen darf, sind bereits die Banken in der gesetzlichen Pflicht, zu klären, dass die finanziellen Mittel nicht aus einer Vortat nach dem Geldwäschereigesetz stammen.

17 Tage sind zu lange
Des Weiteren kritisiert das Bundesverwaltungsgericht im Urteil gegen eines der Casinos, dass dieses die Geldwäscherei-Abklärungen des ihm – gemäss den Unterlagen – seit vielen Jahren als Stammgast bekannten Spielers nicht «unverzüglich» durchgeführt hatte. Tatsächlich waren seit der fraglichen Überweisung und der Einleitung der Abklärungen 17 Tage vergangen. Das sei zu viel, schreibt das Gericht, das seinerseits für die Beurteilung der Beschwerde gegen die Verfügung der ESBK 1037 Tage benötigte.

 

***

Zugegeben: Man mag die Vorkehrungen der beiden gebüssten Online-Casinos gegen die Spielsucht durchaus für ungenügend betrachten, wenn mehrere Spielerinnen und Spieler ohne weitergehende Abklärungen über hohe Summen bis in den sechsstelligen Bereich spielen konnten, ohne dass von den Casinobetreibern genauere Auskünfte über ihre wirtschaftlichen Verhältnisse verlangt worden waren und sich diese mit Bonitätsauskünften genügten.

Das ist hier aber nicht der Punkt.

Verfahrensrelevant ist vielmehr, dass die betroffenen Casinos dabei nichts anderes taten, als was ihre Sozialkonzepte vorgesehen hatten. Sozialkonzepte, die von der Eidgenössischen Spielbankenkommission ESBK vor Erteilung der Online-Konzession durch den Bundesrat geprüft worden und gemäss den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in einem Falle sogar mit den Betreibern diskutiert worden waren.

Wenn dann dieselbe Behörde, die 2019 grünes Licht gibt und die gesetzlichen Vorgaben durch die Sozialkonzepte als erfüllt betrachtet, zwei Casinobetreiber im Jahr 2021 dafür sanktioniert, weil die von der Behörde selbst abgenommenen Konzepte nunmehr die gesetzlichen Anforderungen nicht mehr erfüllten, dann kann von Rechtsstaatlichkeit und Vertrauensprinzip nicht mehr die Rede sein.

Und wenn dann das Bundesverwaltungsgericht in der Besetzung Martin Kayser (SP), Christian Winiger (SP) und Eva Schneeberger (FDP) dieses Verhalten der ESBK auch noch durchwinkt, dann kann man eigentlich nur noch die Hoffnung haben, dass die betroffenen Casinos das Urteil weiterziehen – falls notwendig, bis nach Strasbourg. Denn das dürfte nötig sein, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Schweizer Bundesjustiz in ihren Urteilen vor allem die eigene Klientel, sprich: die staatlichen Akteure in ihrem Handeln schützt. Und mag das noch so stossend gewesen sein.

Die neuen Urteile zeigen aber auch in Bezug auf das GwG, dass nicht nur die gesetzlichen Bestimmungen zur Geldwäschereibekämpfung selbst, sondern auch deren gerichtliche Anwendung, jedes Augenmass verloren haben. Schon die Tatsache, dass Bankinstitute und Finanzintermediäre heute als Hilfs-Sheriffs der Strafverfolgungsbehörden jede Transaktion melden müssen, die ihnen nicht ganz koscher erscheint, ist eine Abkehr von der Unschulds- zur Schuldvermutung.

Wenn das Bundesverwaltungsgericht nun verlangt, dass ein Casinobesucher bald bei jedem höheren Einsatz in Echtzeit erst noch ein Dokument beibringen muss, das die legale Herkunft seines Geldes beweist, dann ist es nicht verwunderlich, wenn das Hauptziel der Casinogesetzgebung nicht mehr funktioniert und immer mehr Spieler wieder in Auslands- und illegale Online-Casinos abwandern.

Und nicht nur das: Bei der letzten Neuvergabe der Schweizer Casino-Konzessionen hat sich kaum ein neuer Interessent für eine Konzession beworben, schon gar kein ausländischer. Die Konzession für Schaffhausen konnte mangels geeigneter Betreiber gar nicht erteilt werden.

Kein Wunder angesichts solcher Behörden und Richter.

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