Diese Woche wurde in der Sondersession des Nationalrats über das Verbandsbeschwerderecht beraten. Das Parlament stimmte für die Einschränkung. Dies bedeutet, dass Verstösse gegen Umweltrecht bei kleineren Bauprojekten zukünftig wohl seltener vor Gericht verhandelt werden. Das stärkt die Meinung der Bewilligungsstellen und schwächt die rechtliche Prüfung durch Gerichte.
In der Schweiz haben 29 Natur- und Heimatschutzorganisationen die Berechtigung gegen Bauprojekte Beschwerde einzureichen. Verbände wie Pro Natura, Greenpeace oder die Franz Weber Stiftung können zu diesem Mittel greifen, wenn sie vermuten, dass Projekte gegen geltendes Recht verstossen. Die gesetzlichen Grundlagen und die Berechtigungsvoraussetzungen finden sich im „Verbandsbeschwerderecht“. Sinn und Zweck dieses Rechts ist es den Umweltschutzverbänden die Rolle als „Anwälte der Natur“ zuzuweisen. Sie nehmen somit die Interessen der Natur wahr und sorgen dafür, dass die Bewilligungsbehörden nicht allein entscheiden, sondern im Zweifelsfall Gerichte überprüfen, ob gegen geltende Umweltgesetze verstossen wird. Die Schweiz hat sich in der Aarhus-Konvention, die insgesamt 46 Staaten aus Europa unterschrieben haben, bereits 1998 dazu verpflichtet, die rechtliche Stellung von Naturschutzverbänden zu stärken.
Zuletzt wollte die FDP 2008 das Verbandsbeschwerderecht einschränken, nachdem es unter anderem bei einem Neubau des Zürcher Hardturmstadions mehrere Einsprachen gab. Die Initiative „Schluss mit der Verhinderungspolitik!“ scheiterte damals krachend. 66 Prozent der Stimmbevölkerung stellten sich dagegen. Der damalige Bundesrat Moritz Leuenberger, der die Meinung des Gesamtbundesrats vertrat, sagte in einer Rede vor der Abstimmung, was bei einer Einschränkung auch drohe: „Damit das Umweltrecht eingehalten wird, müsste das Bundesamt für Umwelt bei zahlreichen Projekten selber Beschwerde führen. Sonst laufen wir Gefahr, dass das Umweltrecht konstant verletzt wird. Diese zusätzliche Aufgabe würde dem Staat und damit dem Steuerzahler zusätzlichen Aufwand und damit zusätzliche Kosten verursachen.“
Keine Verbandsbeschwerde bis 400 Quadratmeter
Die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat hat nun am Mittwoch diese Woche eine Einschränkung dieses Rechts beschlossen. Der Nationalrat reagierte damit auf einen Vorstoss zur Gesetzesänderung von Mitte-Fraktionspräsident Philipp Matthias Bregy. Er hatte ursprünglich verlangt, dass bei Bauprojekten mit einer Geschossfläche von unter 600 Quadratmetern keine Verbandsbeschwerde mehr möglich sein soll, „um zu verhindern, dass ein grosser, finanziell potenter Verband sich in kleine Projekte von einfachen Bürgerinnen und Bürgern einmischt“, wie er betonte. Die Umweltkommission des Nationalrats hat diese Fläche auf 400 Quadratmeter reduziert.
Monika Rüegger von der SVP sprach von einer „unverhältnismässigen Einmischung der Verbände“. Susanne Vincenz-Stauffacher von der FDP wies darauf hin, dass „bereits die Möglichkeit, ein Projekt mittels Einsprachen auszubremsen, eine eigentliche Verhandlungsmacht gibt“. Mitte, FDP und SVP stimmten beinah geschlossen für die Vorlage mit dem Namen „David gegen Goliath“. Dass Streitparteien in einem Rechtsstreit häufig unterschiedlich gut mit finanziellen Mitteln ausgestattet sind, ist jedoch nichts Neues. Die Gesetzesänderung sieht zudem vor, dass Projekte in geschützten Ortsbildern, Biotopen oder ausserhalb der Bauzonen nicht von der Vorlage betroffen sind.
Linke kam nicht an
SP, Grüne und Grünliberale stellten sich gegen die Gesetzesänderung. Das Verbandsbeschwerderecht müsse uneingeschränkt bestehen bleiben, sagte Nadine Masshardt von der SP. Sie betonte, dass das Verbandsbeschwerderecht zentral für die korrekte Umsetzung des Umweltschutz- und Raumplanungsrechts und damit eine wichtige Stütze des Rechtsstaats sei. Aline Trede von den Grünen wies zudem darauf hin, dass die Verbände im vorletzten Jahr 54 Beschwerden eingereicht haben, wovon 26 ganz oder teilweise gutgeheissen wurden. Wie viele davon Bauprojekte unter 400 Quadratmeter betreffen, kann den Zahlen des Bafus nicht entnommen werden.
In den gutgeheissten Fällen hätten die Verbände Gesetzesverstösse verhindert. Entsprechend wichtig sei das Verbandsbeschwerderecht als Kontrollmechanismus, so Trede. Beat Flach von den Grünliberalen fügte hinzu, dass es viel eher die Nachbarn und nicht die Umweltverbände seien, die bei Bauprojekten Beschwerden einreichen. Auch er halte wenig von einer solchen Einschränkung. Mit 113 zu 72 Stimmen hiess der Nationalrat schliesslich die Vorlage der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie gut. Sie geht nun über in den Ständerat.