Da irrt sich Damian K. Graf aber gewaltig

Staatsanwalt Damian K. Graf verteidigt in einem Gastkommentar in der NZZ vom 17. Februar die Arbeit der Staatsanwaltschaften, die nach den verschiedenen Corona- und Crypto-Leaks in ein schiefes Licht gerückt wurde. Der Staat und seine Bürger seien auf eine funktionierende Strafrechtspflege angewiesen, schreibt Graf,  und das System sei austariert. Falsch, hält INSIDE-JUSTIZ-Redaktor Lorenzo Winter dagegen: Die Machtfülle der Schweizer Staatsanwaltschaften ist viel zu gross – die Kontrolle fahrlässig lasch.

Graf schreibt zunächst, die Staatsanwaltschaft bewege sich nicht im rechtsfreien Raum, wenn sie von einer Person oder einem Unternehmen per Editionsverfügung Unterlagen oder Daten über Dritte herausverlange. Die Aussagen greifen zu kurz. Richtig ist, dass Editionsverfügungen auf einer rechtlichen Grundlage basieren, namentlich Art.  263 und Art. 265 StPO. Was Graf unterschlägt: Editionsverfügungen können von einem Staatsanwalt ohne irgendeine Überprüfung angeordnet werden. Es ist weder ein Zwangsmassnahmengericht involviert noch benötigte ein Staatsanwalt auch nur eine Autorisierung durch die Oberstaatsanwaltschaft. Es gilt also noch nicht einmal das Vier-Augenprinzip, wie es in der Privatwirtschaft seit langem als rudimentärstes Prinzip einer «Good Governance» bereits bei banalsten Vorgängen gelebt wird. 

Und noch schlimmer: Eine Beschwerde ist gegen eine Beschlagnahme nicht möglich, Betroffene können lediglich die Siegelung verlangen. Eine gerichtliche Überprüfung, ob eine Editionsverfügung verhältnismässig war und ein dringender Tatverdacht dafür vorlag, findet deshalb, anders als Graf insinuiert, überhaupt nur dann statt, wenn eine Siegelung verlangt wurde. Und die kann ein Beschuldigter nur verlangen, wenn er von der Beschlagnahme überhaupt Kenntnis hat. Genau das war aber beispielsweise im Fall Lauener nicht der Fall. Der ehemalige Kommunikationschef von Bundespräsident Berset wusste nichts davon, dass der Staatsanwalt hinter seinem Rücken vom Bundesamt für Informatik und von der Swisscom seinen E-Mail-Verkehr herausverlangt hatte. Wenn Graf in seinem Gastkommentar also weiter behauptet, die Siegelung verhindere, dass die Staatsanwaltschaft Dokumente und Daten sichten könne, bevor das Zwangsmassnahmengericht über die Zulässigkeit der Durchsuchung und das Vorliegen überwiegender Geheimnisinteressen entschieden habe, wirft er auch damit wieder Nebelpetarden. 

Lauener beispielsweise wurde der Beschlagnahme erst gewahr, als er in einer Einvernahme mit den Inhalten dieser Mails konfrontiert wurde. Warum im vorliegenden Falle das BIT und die Swisscom Lauener offenbar nicht informierten, ist nicht bekannt. Möglicherweise wurden sie vom Staatsanwalt sogar nach Art. 73 Abs. 2 StPO zum Schweigen gebracht. Die Staatsanwaltschaft kann bei Editionsverfügungen von Dritten nämlich gestützt auf diesen Artikel verlangen, dass diese dem Betroffenen gegenüber nichts sagen dürfen über die Beschlagnahme oder Datenherausgabe. Natürlich nimmt Graf auch dieses Mitteilungsverbot in Schutz, es sei nötig, um die Kollusions- oder Fluchtgefahr zu bannen: «Die Aufzeichnungen dürfen vor der Information durchsucht werden», schreibt Graf, widerspricht damit seiner eigenen Argumentation gleich selbst und zeigt damit, wie einfach das Rechtsmittel der Siegelung durch die Staatsanwaltschaft ausgehebelt werden kann.

Weiter schreibt Graf, der Staatsanwalt müsse «geheimnisgeschützte Informationen von Amtes wegen ausscheiden». Oder konkreter: «Stösst er etwa auf Anwalts- oder Arztgeheimnisse oder auf Aufzeichnungen, die dem journalistischen Quellenschutz unterliegen, darf er diese nicht verwerten, selbst wenn keine Siegelung verlangt worden ist.» Auch dieses Argument ist bleibt schwach, denn das Verwertungsverbot heisst nicht, dass der Staatsanwalt die eigentlich geschützten Informationen eben nicht doch zur Kenntnis nehmen kann und sich damit einen illegitimen Informationsvorsprung verschafft. Kann er auch diese Informationen vor Gericht nicht verwenden, weiss er dennoch genau, wonach er in Einvernahmen fragen und nach welchen Beweisen er anderswo suchen muss.

Zuzustimmen ist Graf am Ende lediglich in einem Punkt: Es ist ein austariertes System von ‚Checks & Balances‘ nötig.  Gerade in der Strafrechtspflege. Die Machtfülle der Staatsanwältinnen und -anwälte ist wohl grösser als in fast jedem anderen Bereich des (rechts-)staatlichen Handeln. Ein Machtmissbrauch hat das Potential, Existenzen nachhaltig zu zerstören. Alleine die Fälle, die jede Woche auf dem Redaktionstisch von Inside-Justiz landen, zeigen deutlich, dass staatsanwaltliche Machtexzesse viel zu häufig vorkommen, als dass von einem «austarierten System» die Rede sein könnte. Im Gegenteil: eine verstärkte Kontrolle über die Staatsanwaltschaften und persönliche Konsequenzen bei staatsanwaltschaftlichen Missbräuchen tun dringend Not.

2 thoughts on “Da irrt sich Damian K. Graf aber gewaltig

  1. Was ging bloß in den Köpfen vor, die dieses System geschaffen haben? Waren die dumm, oder wollten die ein totalitäres System? Merkwürdig, dass Damian K. Graf die hier benannten Fakten scheinbar nicht kennt. Dann ist er meines Erachtens für sein Amt nicht geeignet, oder er verkauft die Bevölkerung absichtlich für dumm.

    1. Sie waren weder dumm noch wollten sie ein totalitäres System. Sie gingen einfach von der Vorstellung aus, dass jeder Staatsanwalt immer nach bestem Wissen und Gewissen sowie frei von Fehlern handle. Das ist ein an sich schöner Ansatz, der Strafverfolgung und Strafjustiz prägt, obwohl er täglich mehrfach widerlegt wird. Er ist eine Fiktion, welche jede Fehlerkultur verhindert.

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