Der Kampf der KlimaSeniorinnen

Heute will der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sein Urteil in der «Klimaklage» der Schweizer «Klimaseniorinnen» fällen. Der Case ist für die Schweizer Justiz einigermassen absurd, gleichwohl ist mit allem zu rechnen. Die Vorgeschichte:

Der zur Debatte stehende Fall geht zurück auf ein Gesuch der Seniorinnen des «Verein KlimaSeniorinnen Schweiz» und vier Einzelpersonen. Sie waren 2016 mit politischen Anliegen an den Bundesrat, an das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK herangetreten und an die Bundesämter für Umwelt und Energie. Sie rügten in ihren Forderungen verschiedene Unterlassungen zugunsten des Klimaschutzes und verlangten von den Behörden Verfügungen für Massnahmen, damit die Schweiz ihren Beitrag an das Hauptziel des Pariser Abkommens leiste, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius zu begrenzen.

Die KlimaSeniorinnen verlangten von den Behörden sog. «Realakte» in Form von generell abstrakten Rechtsnormen zu erlassen und damit verschiedene Massnahmen umzusetzen, von denen sie ausgingen, dass sie das Ziel des Pariser Klimaabkommens erreichen könnten. Dabei erwarteten sie sehr konkret Massnahmen wie z.B. die Förderung der Elektromobilität, den Erlass baupoliizeilicher Gebäudevorschriften, die Einführung einer CO2 Abgabe auf Treibstoffe. Zudem, so die KlimaSeniorinnen, sei ein Vorverfahren auszulösen, um das CO2-Gesetz anzupassen und das Reduktionsziel in Art. 3 Abs. 1 «verfassungs-, gesetzes- und völkerrechtskonform» auszuformulieren. Sprich: zu erhöhen.

Behörde kann nicht einfach nach Belieben verfügen

Die Bundesbehörden schrieben in ihrer Ablehnung der Gesuche, gemäss Verwaltungsrecht seien derartige Verfügungen unzulässig. Sie traten deshalb gar nicht erst auf die Rechtsbegehren ein. Das UVEK verwies explizit auf die Grenzen von Art. 25 VwVG, nach dem inidividuelle Rechtspositionen betroffen sein müssten, die Behörde also nur «individuell-konkret», nicht aber «generell-abstrakt» verfügen könne. Vereinfacht gesagt: Die Behörden können auf ein Gesuch oder eine Klage nur eingehen, wenn eine Person in einem sie betreffenden Einzelfall behördliche Aktionen verlangt. Es seien aber keine individuelle Rechtspositionen betroffen.

Zudem käme die Eingabe «konventionsrechtlich einer unzulässigen Popularbeschwerde gleich», weshalb darauf nicht einzutreten sei.

Art. 25a VwVG

1 Wer ein schutzwürdiges Interesse hat, kann von der Behörde, die für Handlungen zuständig ist, welche sich auf öffentliches Recht des Bundes stützen und Rechte oder Pflichten berühren, verlangen, dass sie:

a. widerrechtliche Handlungen unterlässt, einstellt oder widerruft;

b. die Folgen widerrechtlicher Handlungen beseitigt;

c. die Widerrechtlichkeit von Handlungen feststellt.

2 Die Behörde entscheidet durch Verfügung.

Weiterzug ans Bundesverwaltungsgericht

Am 26. Mai 2017 reichten die Gesuchstellerinnen beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen die Nichteintretensverfügung ein. Gemäss dem späteren Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts argumentierten Sie unter anderem, «die Schweiz werde selbst das ohnehin bereits zu tief angesetzte Reduktionsziel für das Jahr 2020 deutlich verfehlen. Dies habe mit zur Folge, dass die Wahrscheinlichkeit für Hitzeperioden weiter ansteige. Hiervon seien Frauen ab 75 Jahren hinsichtlich Mortalität und Gesundheitsbeeinträchtigungen und somit die Beschwerdeführenden in besonderem Mass betroffen.

Besondere Betroffenheit gegeben?

Die Einschätzung, ihre Gesuche seien als «Popularbeschwerde» ungültig, konterten sie wie folgt –  Zitat aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 2018: «Vielmehr hätten sie ein schutzwürdiges Interesse am Erlass einer Verfügung über die gerügten Unterlassungen. Zudem ergäben sich sowohl aus den Konventions- und Grundrechten als auch aus dem Zweck des CO2-Gesetzes schützenswerte Rechtspositionen und seien die Beschwerdeführerinnen durch die gerügten Unterlassungen somit in ihren Rechten berührt.

Und schliesslich würden sie entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht den Erlass generell-abstrakter Regelungen verlangen, sondern Handlungen im Rahmen eines Vorverfahrens der Rechtsetzung sowie den korrekten Vollzug und somit die tatsächliche Umsetzung geltenden Rechts.»

Weiterer Beschwerdegrund: Verletztes rechtliches Gehör

Zudem hätte die Vorinstanz das rechtliche Gehör verletzt – das UVEK war nicht auf alle Punkte der Gesuchstellerinnen explizit eingegangen. Eine hinreichende Begründung in einem Urteil oder einer Verfügung ist juristisch ein sog. «Teilgehalt» des rechtlichen Gehörs.

Das Bundesverwaltungsgericht stimmte dieser Kritik teilweise zu, sah die Verfügung am Ende aber als rechtsgenügend an. Wie später auch das Bundesgericht wies es darauf hin, dass ein Gericht oder eine Verwaltungsinstanz in einer Begründung nicht über jeden, sondern insbesondere über die rechtserheblichen Aspekte Ausführungen darzulegen habe.

Bundesverwaltungsgericht: Seniorinnen sind nicht mehr betroffen als alle anderen auch
Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich in seinem Urteil hauptsächlich mit der Frage auseinander, ob die Beschwerdeführerinnen von dem Handeln respektive Unterlassen der Behörden für einen Fall nach Art. 29 VWVG ausreichend, will heissen: mehr als die Allgemeinheit berührt waren.

Die Beschwerdeführerinnen machten diesbezüglich geltend, die wissenschaftliche Lage zeige, dass alte Frauen von Temperaturerhöhungen und Hitzewellen gesundheitlich besonders betroffen seien. Die Einzelpersonen, die ebenfalls als Beschwerdeführerinnen auftraten, machten zudem individuelle persönliche Gebresten (wie Asthma) für die Beschwerdelegitimation geltend.

Das Bundesverwaltungsgericht kam nach einer Auslegeordnung der vom Bafu behaupteten zukünftigen Auswirkungen des Klimawandels gleichwohl zum Schluss, «dass die Gruppe von Frauen, die älter als 75
Jahre sind, von den Auswirkungen des Klimawandels nicht besonders betroffen ist.» Als Begründung führte das Gericht an, andere Bevölkerungsgruppen seien genauso betroffen von den prognostizierten Klimaveränderungen in der Schweiz.

Die geforderten Massnahmen bringen keine unmittelbare Verbesserung – oder haben keine rechtliche Grundlage

Mit Hinblick auf die eingeklagten Rechtsschutzgarantien aus Art. 6 EMRK schlug das Bundesverwaltungsgericht die Klage ebenfalls ab. Die Voraussetzungen seien nicht erfüllt schrieb das Bundesverwaltungsgericht. an Argumenten führte das Gericht sinngemäss an, die Forderung danach, die Behörden müssten ein Gesetzgebungsverfahren für eine Verschärfung der Reduktionsziele anstossen, führe nicht unmittelbar zu einer Senkung des CO2 Beitrages der Schweiz.

Der Ausgang eines Gesetzgebungsverfahren vor den Eidgenössischen Räten und allenfalls vor dem Volk sei ungewiss. Weitere Forderungen der KlimaSeniorinnen würden mit dem aktuellen CO2-Gesetz keine gesetzliche Grundlage haben und könnten deshalb wegen der fehlenden gesetzlichen Grundlage gar verfügt werden. Deshalb fehle es an einer «echten Streitigkeit ernsthafter Natur», die allerdings Voraussetzung für eine Berufung auf Art. 6 1 EMRK gewesen wäre.

Bundesgericht sieht es gleich
Die KlimaSeniorinnen zogen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. November 2018 mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten am 21. Januar 2019 ans Bundesgericht weiter. Mit Urteil vom 5. Mai 2020 wies dieses die Beschwerde ab. Die KlimaSeniorinnen hatten vor Bundesgericht noch einmal geklagt, das rechtliche Gehör seien ihnen von den bisherigen Instanzen nicht gewährt und auf ihr Argument, sie seine als über Ü75-Frauen von Temperaturerhöhungen und Hitzewellen besonders betroffen, zu wenig eingetreten. Das Bundesgericht folgt diesem Punkt der Beschwerde allerdings nicht und kommt zum Schluss, auch das Bundesverwaltungsgericht habe ausreichend begründet.

Individuelle Betroffenheit zu wenig gross
In Bezug auf die zur Debatte stehende direkte und besondere Betroffenheit der Ü75-Frauen  relativiert das Bundesgericht die unmittelbaren Auswirkungen der bevorstehenden Klimaveränderungen: «In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass eine Überschreitung des Werts von „deutlich unter 2 Grad Celsius“ gemäss dem Pariser Klimaübereinkommen (vgl. dessen Art. 2 Abs. 1 lit. a) nicht in näherer Zukunft erwartet wird. Es sei davon auszugehen, dass für die Abwendung einer solcher Temperaturerhöhungen noch ein gewisser Zeitraum zur Verfügung stehe und diese Annahme auch der geplanten Umsetzung des Pariser Klimaübereinkommens im Schweizer Recht zugrunde liege.

Demokratie aushebeln?
Dafür nimmt das Bundesgericht explizit Stellung zur Frage, inwieweit mit Art. 25 VwVG politische Prozesse hintertrieben werden dürfen: «Mit dem vorliegenden Ersuchen der Beschwerdeführerinnen zuhanden des Bundesrats und Teilen der Bundesverwaltung wird eine Vielzahl von Massnahmen unterschiedlicher Art und Tragweite verlangt, welche im Wesentlichen den Charakter von Vorarbeiten für Rechtssätze auf Gesetzes- oder Verordnungsstufe aufweisen.

Anträge auf eine bestimmte Gestaltung aktueller Politikbereiche können nach dem schweizerischen Verfassungsrecht grundsätzlich auf dem Weg der demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten eingebracht werden.» Und weiter hinten im Urteil: «Derartige Anliegen sind nicht auf dem Rechtsweg, sondern mit politischen Mitteln durchzusetzen, wozu das schweizerische System mit seinen demokratischen Instrumenten hinreichende Möglichkeiten eröffnet (.)… Dass die Vorinstanz den Nichteintretensentscheid des Departements in Bezug auf Art. 25a VwVG geschützt hat, ist demzufolge im Ergebnis nicht zu beanstanden.»

 

 

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