Der Rechtfertigungsrichter

Gute Kommunikation ist so eine Sache – und nicht unbedingt die Sache der Richter. Natürlich, gerade wir von INSIDE-JUSTIZ kritisieren immer wieder die Arroganz der Gerichte. Nach dem Motto «Wir sprechen Recht, aber nicht mit Journalisten» werden meist vom hohen Rosse herab keine Fragen beantwortet. Und erst recht keine kritischen. Ganz nach dem Motto: Wo kämen wir denn da hin, wenn sich die Justiz jetzt auch noch erklären müsste!  Bei konkreten Fällen heisst es regelmässig, das Urteil müsse ausreichen. Und Urteile sind von durchaus wechselhafter sprachlicher Qualität, zu oft genug sind die Gedankengänge der Richter schlicht unergründlich.

Das gilt auch für das legendäre «Klima-Urteil» des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, das anfangs April Schlagzeilen machte, weit über die Schweiz hinaus. Viele und namhafte Juristen kritisieren das Urteil scharf, zuletzt die ehemalige Grüne Bundesrichterin Brigitte Pfiffner. Die Rechtskommission des Ständerats empfahl letzte Woche, zuhanden des Europarates eine Erklärung zu verabschieden, dass man das Urteil nicht umzusetzen gedenke. Über die Problematik dieses Vorgehens hat INSIDE-JUSTIZ bereits berichtet, andere Medien, wie z.B. das ECHO DER ZEIT von Radio SRF, legten nach.

Umgehend zu Wort gemeldet hat sich auch wieder der Schweizer Richter am EGMR, Andreas Zünd. Zünd steht seit langem unter heftigem Beschuss und ist zum Lieblingsfeind der NZZ geworden («Richter Andreas Zünd: Niemand verurteilt die Schweiz zuverlässiger als er»).   Er hatte schon direkt nach der heftigen Kritik bei der Urteilseröffnung versucht, das Urteil zu erklären und sich dabei z.T. zu absurdesten Behauptungen verstiegen, die Zweifel erwecken an der kognitiven Solvenz der Strasbourger Richter.

Und auch jetzt meldet sich Richter Zünd wieder zu Wort und fetzt sich mit der Ständeratskommission. «Es gibt keine Möglichkeit, ein Urteil des EGMR einfach nicht umzusetzen», behauptet Zünd in einem Interview in 20MINUTEN. Das ist natürlich kompletter Blödsinn. Richtig ist, dass der Bundesrat dem Ministerkomitee des Europarates Bericht erstatten muss, wie er ein Urteil des EGMR umzusetzen gedenkt respektive umgesetzt hat. Das Ministerkomitee könnte dann – mit einer Zweidrittelsmehrheit – entscheiden, die Urteilsumsetzung erneut dem EGMR vorzulegen, wenn das Komitee findet, dem Urteil sei nicht ausreichend Rechnung getragen worden. Der EGMR hätte dann zu entscheiden, ob die Umsetzung ausreichend sei. Aber auch wenn der EGMR erneut zum Schluss käme, die Massnahmen würden nicht ausreichen: Im extremsten Falle könnte der Europarat die Schweiz ausschliessen, wie er es zuletzt mit Russland gemacht hat. Nur: Eine solche Eskalation würde wohl den Institutionen des Europarates selbst einen so imensen Schaden zuführen, dass nicht vorstelllbar ist, dass er sich zu einer solchen Massnahme durchringen würde.

Könnte – hätte – Fahrradkette. Der weitere Instanzenzug zeigt klar: Der Menschenrechtsgerichtshof hat keinen Durchsetzungsapparat. Er kann nicht direkt verfügen, seine Urteile müssen in den Vertragsstaaten umgesetzt werden. Statt in den Medien Blödsinn zu erzählen, würden Richter Zünd und seine Kolleginnen und Kollegen in Strasbourg deshalb wohl besser in sich gehen und sich überlegen, wie der Gerichtshof sicherstellen kann, dass er als Institution seine Akzeptanz nicht verliert. Ein Gerichtshof ohne Akzeptanz in den Vertragsstaaten bleibt am Ende wirkungslos. Und das wäre das Schlimmste, was den Europäischen Menschenrechten passieren könnte. Der Gerichtshof sollte Sorge dazu tragen, dass er den Grundrechten nicht mehr schadet als nützt. Dasselbe gilt auch für die Medienauftritte von Richter Zünd.

 

 

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