Der verschleppte Konkurs 2. Akt

Bisher dachten wir, nur UBS und Nestlé seien höchstens systemrelevant und dürften nicht pleite gehen. Welch ein Irrtum! Im Kanton Appenzell Ausserrhoden, und nicht nur dort, erweist sich eine Bilanzdeponierung als unmögliches Unterfangen und verhindert, dass ein Unternehmen unter Beachtung von Art. 725b OR nach Art. 192 SchKG den Konkurs über sich eröffnen lassen kann. Zweiter  Akt:  Die Replik der Richterin.

Neuer Schwung bei Gericht; ein Gläubiger beantragt die Konkurseröffnung (Art. 190 SchKG).

Interessant ist nun, dass Richterin Nordin-Lüssi am 22. Februar 2024 der überschuldeten Gesellschaft eine Vorladung für den 17. April 2024 (!) zur Konkursverhandlung zustellt. Hintergrund ist eine Gläubigerin, die am 12. Februar 2024 den Konkursantrag gegen die überschuldete Gesellschaft gestellt hat.

Der Aufwand der Gläubigerin für die Eingabe ist an sich unnötig, hätte doch Richterin Nordin-Lüssi den Konkurs bereits nach der Bilanzdeponierung vom 30. Januar 2024 eröffnen können. So aber überlebt die Zombie-Firma sicher bis zum 17. April 2024. Vielleicht liegt der wahre Grund für den neuen Aktivitätsdrang von Richterin Nordin-Lüssi aber nur darin, dass die Gläubigerin zuerst CHF 2’000 an die Gerichtskasse überweisen muss, sonst wird auf das Konkursbegehren gar nicht eingetreten.

 Was sagt das Gericht dazu?

Inside Justiz hat dazu zwei weitere Fragen gestellt:

Hängt die Praxis des Gerichts damit zusammen, dass eine Bilanzdeponierung nach Art. 192 SchKG «kostenlos» ist und das Gericht lieber auf ein Konkursbegehren einer Gläubigerin wartet, wo ein Kostenvorschuss von CHF 2’000.00 verlangt werden kann?

und

Welche Rolle spielt es für das kantonale Gericht, ob es den Konkurs gemäss Art. 192 SchKG kostenlos eröffnen muss oder ob es von einem Gläubiger einen Kostenvorschuss verlangen kann?

Antwort von Richterin Nordin-Lüssi zu den Fragen 3 und 4

Dies ist keineswegs der Fall. Wir erheben den grössten Teil des Kostenvorschusses von CHF 2’000 für das Konkursamt und das Gericht sieht davon sehr wenig. Im Gegenteil, das Gericht hätte theoretisch einen grösseren Anreiz, die Konkurseröffnung zu bewilligen, um den Aufwand für die Ausfertigung des Urteils zu vermeiden.

Was sagt Inside Justiz dazu?

Das mag sein, aber der objektive Dritte hat den Eindruck, dass die Gerichte in Verfahren mit Kostenvorschuss entschlossener vorgehen. Abgesehen davon erfolgt die Konkurseröffnung im Falle eines Gläubigerbegehrens durch blosse Vorlage der Konkursandrohung oder durch den Antrag auf Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung (Art. 190 SchKG), wenn der Schuldner die Zahlungen eingestellt hat. In diesen Fällen verlangt das Gericht auch keinen Revisionsbericht.

Dauer und Beitrag des Gerichts zur Konkursverschleppung

Inside Justiz hat Richterin Nordin-Lüsse dazu weitere Fragen gestellt:

Während in anderen Kantonen die Konkurseröffnung teilweise bereits nach zwei bis drei Tagen nach der Bilanzdeponierung erfolgt, dauern die Verfahren vor dem Kantonsgericht oft mehrere Monate; warum ist dies so? Was sind die Hintergründe?

und

Oft werden Organe strafrechtlich verfolgt, wenn sie die Konkurseröffnung verzögern. Halten Sie es für richtig, dass das Gericht seinerseits durch eine schleppende Gerichtspraxis die Konkurseröffnung faktisch über Wochen oder Monate hinauszögert?

Nachfolgend die ausführliche Antwort von Richterin Nordin-Lüssi auf Frage 5:

Über Überschuldungsanzeigen, die den gesetzlichen Anforderungen voll entsprechen, entscheiden wir innerhalb weniger Tage. Leider sind die Überschuldungsanzeigen sehr oft schlampig abgefasst: Fehlende Unterschrift der vertretungsberechtigten Verwaltungsratsmitglieder, fehlendes Protokoll des Verwaltungsratsbeschlusses, fehlende Zwischenbilanz, fehlender Revisionsbericht ohne weitere Angaben etc. Wir erachten es als unsere Pflicht, auf formell korrekt eingereichten Überschuldungsanzeigen zu bestehen und gewähren jeweils eine Nachbesserungsfrist von 20 Tagen. Werden Fristverlängerungen beantragt, sind die Unterlagen immer noch ungenügend oder sind die Gesuchsteller postalisch nicht erreichbar (!), kann es bis zum Gerichtsentscheid durchaus zwei Monate dauern. Wir sind daher etwas erstaunt zu hören, dass an anderen Gerichten solche Probleme offenbar nicht bestehen und jeweils entscheidungsreife Gesuche eingereicht werden, über die sofort entschieden werden kann.

Erfahrungsgemäss gehen solchen Überschuldungsanzeigen intensive gesellschaftsinterne Diskussionen und Rettungsbemühungen voraus, die vor allem viel Zeit in Anspruch nehmen. Von den Gerichten zu verlangen, dass sie in letzter Instanz ohne Verzug und ohne ordnungsgemässe Prüfung der Gesuche entscheiden, ist inakzeptabel, weil das Gerichtsverfahren dann zu einer Alibiübung verkommt. Wenn es den Antragstellern um die Wahrung der Gläubigerinteressen geht, haben sie es weitgehend selbst in der Hand, durch eine sorgfältige Antragstellung eine rasche gerichtliche Entscheidung herbeizuführen.

Und auch zur letzten Frage gab uns Nordin-Lüssi eine Antwort:

Eine Verschleppung des Verfahrens liegt unseres Erachtens nicht vor, wenn das Gericht aufgrund einer formell oder materiell ungenügend begründeten Überschuldungsanzeige Zeit für die Prüfung des Gesuchs benötigt. Der hierfür erforderliche Zeitaufwand wird massgeblich durch das Verhalten des Antragstellers selbst beeinflusst. Eine Verfahrensverschleppung durch das Gericht läge vor, wenn Verfahren nicht zügig an die Hand genommen werden oder in entscheidungsreifen Verfahren unangemessen lange mit der Entscheidung zugewartet wird. Das können wir uns nicht vorwerfen lassen.

 Was sagt Inside Justiz dazu?

Als Beobachter des langwierigen Prozesses der Bilanzdeponierung kann man eigentlich nur den Kopf schütteln. Die Begründung von Richterin Caroline Nordin-Lüssi zeigt aber, dass richterliches Handeln sorgfältig abgewogen wird und Zeit braucht. Dennoch bleibt das Verfahren fragwürdig, weil bei offensichtlicher Überschuldung die Prüfungsdichte des Gerichts als zu weitreichend empfunden wird.  Statt entschlossen zu handeln und ein offensichtlich überschuldetes Unternehmen zügig in die Insolvenz zu entlassen, wird ein uferloser bürokratischer Aufwand betrieben und gleichzeitig der Schaden für die Gläubiger täglich vergrössert. Und das Zombie-Unternehmen muss weitere Monate auf die Konkurseröffnung warten. Der aussenstehende Beobachter versteht das nicht mehr und steht etwas fassungslos da.

 Lesen Sie hier Teil 1unseres Konkurskrimis

2 thoughts on “Der verschleppte Konkurs 2. Akt

  1. Bitte sauber arbeiten: Der Absatz „Erfahrungsgemäss gehen (…)“ kommt 2 x hintereinander vor (Dublette). Unsauberes Schaffen schmälert die Glaubwürdigkeit.

    1. Lieber Leser(in?), wo Sie Recht haben, haben Sie Recht. Danke für den Hinweis. Hier macht WordPress uns hin und wieder Probleme. Danke für den Hinweis und danke fürs Mitlesen.

      Mit freundlichen Grüssen

      Roger Huber

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