Die Nabelschau

Was tun Medienschaffende am Liebsten? Nabelschau betreiben. Aktuell am Beispiel der Journalistin Anouschka Roshani und des ehemaligen MAGAZIN-Chefredaktors Finn Canonica. Nachdem Roshani über ein Jahrzehnt für das MAGAZIN schrieb, griff sie jetzt Canonica in einer vierseitigen Abrechnung im deutschen Magazin DER SPIEGEL frontal an. Sexuelle Anzüglichkeiten, Hakenkreuze als Redigiermarken, sexistische Sprüche – das alles soll Alltag gewesen sein beim MAGAZIN. Canonica kontert, es hätte halt eine andere Gesprächskultur geherrscht, und er habe sich als Mann ebenfalls regelmässig Sprüche anhören müssen wie «Männer denken immer nur an das Eine» – und gerade Roshani habe ihm, der jüdische Vorfahren hat, immer wieder Judenwitze erzählt.

Schon die gesamte Woche hindurch kaum eine Redaktion an dem Thema vorbei – als ob sich ausserhalb der Medien-Bubble irgendjemand dafür interessieren würde. Besonders peinlich waren oft die Chatgruppen auf Social Media. Was da gestandene Journalistinnen und Journalisten in Chatgruppen absonderten, so nach dem Motto: «Ich kenne ihn zwar nicht persönlich, aber beim Mittagessen mit Tagi-Kolleginnen und Kollegen wurde schon vor Jahren erzählt, er habe ein Sex-Problem.» OMG! Medienschaffende als Waschweiber.

Auch die Sonntagstitel machen nicht Halt vor dem Thema. Für den SONNTAGSBLICK erscheinen die Vorgänge beim Konkurrenten TX-Group bestens geeignet, um für die Haue zurückzuzahlen, welche Ringier bei der Berset-Affäre einstecken musste. Dass das Verlagshaus Ringier bezogen auf die Thematik des Umgangs auf den Redaktionen keineswegs besser dasteht, wird dann gerne ausgeblendet – in solchen Momenten mag sich bei Ringier lieber niemand mehr daran erinnern, wie der ehemalige BLICK-Chefredaktor Werner De Schepper 2017 für seine Anzüglichkeiten in die Schlagzeilen geriet. – Ohne Konsequenzen notabene: De Schepper wurde trotz seines unangemessenen Verhaltens Co-Chefredaktor der SCHWEIZER ILLUSTRIERTEN und wird dort bei heute als «Chef-Autor» geführt.

Aber auch bei der NZZ AM SONNTAG haut man heute gerne drauf. Obwohl der eigene Chefredaktor Jonas Projer, was den Umgang mit dem Team angeht, ganz offensichtlich genau so wenig über alle Zweifel erhaben ist und seine Leadership schon 2022 Gegenstand kritischer Artikel wurde. Aber eben: Auf die anderen zu zeigen ist halt einfacher als vor der eigenen Türe zu kehren.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert