E-Mails bestätigen: Ringier agiert als Propagandastelle Bersets

Die SCHWEIZ AM WOCHENENDE hat am Samstag eine Reihe von Untersuchungslakten aus dem Strafverfahren von Sonder-Bundesstaatsanwalt Kurt Marti publiziert. Sie zeigen: Bundespräsident Bersets Medienchef Peter Lauener hat während der Corona-Pandemie regelmässig mutmasslich amtsgeheime Informationen an Ringier-CEO Marc Walder geleakt. Das Verlagshaus dankte es mit weitgehend unkritischer Berichterstattung, wann immer dieser nach Walders Pfeife tanzte. Und als Dank an Lauener veröffentlicht die BLICK-Führung heute eine Stellungnahme, mit dem sie ihn ans Messer liefern.

In der Schweizer Medienlandschaft kamen die Erkenntnisse vom Samstag nicht grundsätzlich überraschend. Die grosse Nähe zwischen dem Boulevard-Verlagshaus und SP-Bundesrat Alain Berset konnte insbesondere während der Corona-Zeit niemandem verborgen bleiben.  Journalist und Klommunikationsberater Philippe Gut enthüllte dann Ende 2021 im Nebelspalter ein Video, das Walder zeigte, wie er mehr oder weniger unverhohlen einräumte, dass er angeordnet hatte, die Redaktionen sollten «die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung». Was Walder nicht sagte: Das zumindest, solange die Regierung scharfe Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie beschlossen. Der ehemalige Tennisspieler galt während Corona als Hypochonder mit panischer Angst vor dem Virus. Schon damals war aufgefallen, wie positiv und mit wie wenig Distanz die Ringier-Medien über Berset berichteten, zumindest solange dieser nach der Pfeife Walders tanzte. – Und das tat Berset fast immer.

Bereits bekannt war auch, dass der Sonder-Bundesanwalt Peter Marti gegen Amtsgeheimnisverletzungen gegen Berses ehemaligen Medien-Verantwortlichen, Peter Lauener ermittelt. Lauener war deswegen sogar für einen kurzen Moment in Haft. Martis Antrag auf Untersuchungshaft wurde aber erst vom Zürcher Zwangsmassnahmengericht und anschliessend – auf Beschwerde von Marti  – auch vom Bundesstrafgericht abgelehnt. Das Strafverfahren ist allerdings umstritten: Lauener hat gegen Marti Strafanzeige erstattet wegen Amtsmissbrauch oder Amtsanmassung. Hintergrund: Marti war zunächst beauftragt, als Sonder-Bundesanwalt verschiedene Indiskretionen im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der Crypto-Affäre zu untersuchen. Diesen Auftrag hatte er erhalten, weil bei der Crypto-Affäre auch Bundesanwälte als Beschuldigte hätten in Frage kommen können, da die Bundesanwaltschaft über zumindest einen Teil der geleakten Informationen selbst auch Bescheid wusste. Im Rahmen dieser Strafuntersuchung stiess Marti offenbar bei Lauener auf mutmassliche Amtsgeheimnisverletzungen während Corona. Der Streitpunkt ist nun, ob Marti diesen Sachverhalt untersuchen durfte oder eben nicht.

Neu an der Geschichte ist nun allerdings die Enge zwischen Bersets Kommunikationschef und dem Hause Ringier, und dass zwischen ihnen so etwas wie «eine Standleitung» bestand, wie es der TAGESANZEIGER heute formuliert. Wie der TAGESANZEIGER schreibt, lägen dem Sonderermittler Marti noch weit mehr Akten vor, als die SCHWEIZ AM WOCHENENDE am Samstag publik machte: «Daraus geht hervor, dass er einen noch weitaus intensiveren Kontakt zu Walder pflegte, als bislang bekannt war: Über 180 Kommunikationsvorgänge konnten so dokumentiert werden, wobei der genaue Zeitraum unbekannt ist, doch die Ermittlungen betreffen vor allem die Zeit ab dem Covid-Ausbruch im Frühling 2020.»

Brisante Einvernahmeprotokolle

Die SCHWEIZ AM WOCHENENDE ermöglichte derweil einen kleinen Einblick in die Sphäre der vertrauensvollen Absprachen. Am Samstag publizierten Francesco Benini und Chefredaktor Patrik Müller Auszüge aus den Untersuchungsakten, insbesondere aus E-Mails und Protokollen zu Einvernahmen mit Peter Lauener und auch mit Bundesrat Alain Beset. Als Beispiel der «Zusammenarbeit» nennt die SCHWEIZ AM WOCHENENDE die Schlagzeile «Schweiz bekommt den Impfstoff» –  eine Exklusivgeschichte des BLICK vom 11. November 2020. Im Text schrieb der BLICK dazu: «Das Bundesamt für Gesundheit hält sich bedenkt. Doch BLICK weiss: Der Bund steht schon länger in Verhandlungen, ein Vorvertrag ist weit gediehen.»

Quelle dieser Information war offenbar Alain Bersets Kommunikationschef Peter Lauener. Die SCHWEIZ AM WOCHENENDE zitiert aus einer E-Mail von Lauener an Ringier CEO Marc Walder vom Vortag: «Vertraulich einige Infos: Die Gelder für den Impfstoff sollten wir wohl erhalten. Wir unterzeichnen nächstens einen Vertrag mit Pfizer, die den angeblich sehr wirksamen Impfstoff entwickelt haben. Das kommt zu zwei anderen bereits reservierten Impfstoffen, die vielversprechend sind.»

Auch vor Bundesratssitzungen wurde Ringier-CEO Walder von Lauener persönlich mit amtsgeheimen Informationen bedient. Beispiel vom 2. März 2021: «Sehr unter uns: Wir bringen am Freitag ein umfangreiches Testpaket in den Bundesrat, das hoffentlich als Gamechanger hilft. Details kann ich Ihnen zirka am Mittwochabend geben. Es wird geklotzt, nicht gekleckert.» Die E-Mail wurde Lauener gemäss der Zeitung am 17. Mai 2022 in einer Einvernahme vorgehalten.  Lauener dazu: «Ich sage nichts.» Ein Satz, den die Journalisten der SCHWEIZ AM WOCHENENDE in dem Einvernahmeprotokoll 204 Mal zählten.

Berset will von nichts gewusst haben

Stellt sich die Frage, ob Bundesrat Alain Berset selbst von den Amtsgeheimnisverletzungen durch seinen Kommunikationschef wusste oder diese gar in Auftrag gab, womit er sich möglicherweise selbst strafbar verhalten hätte. Die SCHWEIZ AM WOCHENENDE widmete dieser Frage einen eigenen Artikel. Berset streitet erwartungsgemäss ab, will sich bei verschiedenen E-Mails, die ihm vorgehalten wurden, auch nicht sicher sein, ob deren Inhalte tatsächlich vertraulich waren. Schliesslich sagt er aber auch: «Ich konnte während der Pandemiezeit praktisch nie ein Geschäft in den Bundesrat bringen, bei dem nicht schon vor der Bundesratssitzung direkte Informationen geleakt worden waren.» Spielt Berset einfach den Unwissenden? War er involviert? Oder liess er Lauener einfach eine lange Leine?

Wie die SCHWEIZ AM WOCHENENDE schreibt, sollen E-Mails von Lauener zumindest nahelagen, dass Berset auch direkt mit Walder im Austausch stand.

Die Berichterstattung am Wochenende hat dazu geführt, dass verschiedene Parlamentarier kritische Fragen stellen: Der Ausserrhoder Ständerat Andrea Caroni etwa will gemäss SONNTAGSZEITUNG untersucht haben, ob Berset die Wahrheit sagt – und ist eher skeptisch: Die Aussagen Bersets schienen ihm wenig plausibel, liess er sich zitieren. Andere, wie der Zürcher SVP-Nationalrat Alfred Heer, fordern unverhohlen Bersets Rücktritt. – Und Bersets Partei, der SP, dürfte der neuerliche Skandal im Wahljahr 2023 ausserordentlich ungelegen kommen.

Viele Rechtsfragen offen

Die neuen Enthüllungen werfen aber auch eine Vielzahl von neuen Fragen auf, die bislang in den Medien nirgends thematisiert wurden. So beruht die jüngste Berichterstattung natürlich genauso auf brisanten Indiskretionen und allenfalls Amtsgeheimnisverletzungen. Wie früher schon publiziert worden war, hatte Lauener verschiedene beschlagnahmte Beweismittel versiegeln lassen und offenbar beim Zwangsmassnahmengericht Bern verlangt, dass Informationen aus den Akten gewiesen werden. –

Tatsächlich sind die von Sonder-Bundesanwalt Marti erhobenen E-Mails äusserst heikel, denn die Kommunikation mit Medienschaffenden unterliegt grundsätzlich dem in der Bundesverfassung geschützten Redaktionsgeheimnis. Das Bundesgericht hatte in der Causa Blocher/SNB-Präsident Hildebrand in ähnlicher Konstellation bereits einmal geurteilt. In BGE 140 IV 108 hat Lausanne ausführlich und detailliert dargelegt, dass ein E-Mail-Verkehr zwischen Medienschaffenden und einer Quelle weder bei dem einen noch dem anderen beschlagnahmt werden dürfe. Dabei dürfte sich letztlich lediglich noch die Frage stellen, ob Walder als CEO von Ringier (und nicht etwa als Chefredaktor) als Medienschaffender im Sinne des Gesetzes zu betrachten ist. Die Strafprozessordnung definiert Medienschaffende im Art. 172 als «Personen, die sich beruflich mit der Veröffentlichung von Informationen im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums befassen, sowie ihre Hilfspersonen».

Blick-Führung verbrennt Lauener

Bis am Montagmorgen blieb schwer vorstellbar, dass Walder nicht unter diese Definition fallen sollte. Dann veröffentlichte die BLICK-Führung via interner E-Mail eine Erklärung, in der Ladina Heimgartner («Head of Global Media») und Chefredaktor Christian Dorer schreiben, CEO Walder habe bei der Berichterstattung über die oben beschriebenen Sachverhalte keine Rolle gespielt. Und weiter: «Die Blick-Gruppe arbeitet unabhängig. Dass der CEO eines Medienunternehmens Kontakte zu Entscheidungsträgern aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung und Kultur pflegt, ist ein üblicher Vorgang. Dies hat jedoch keinen Einfluss auf unsere Berichterstattung, wie auch der §8 ‹Blick arbeitet unabhängig› im Redaktions-Manifest regelt.».

Sonder-Bundesanwalt Peter Marti dürfte sich über diese Erklärung, die sofort über persoenlich.com den Weg an die Öffentlichkeit fand, diebisch gefreut haben. Sie macht aus dem Medienschaffenden Walder einen normalen Dritten, bei dem das in der Verfassung verbriefte Redaktionsgeheimnis selbstverständlich nicht mehr greift. Marti wird sich fortan auf den Standpunkt stellen können, das Redaktionsgeheimnis mit seiner Beschlagnahme des E-Mail-Verkehrs nicht verletzt zu haben, und eine Verurteilung von Lauener rückt wieder in den Bereich des Möglichen. – Wie man als Redaktion derart unbedarft eine Quelle ans Messer liefert, bleibt schwer verständlich.

Von wem wurden die Akten an die SCHWEIZ AM SONNTAG durchgestossen?

Unabhängig davon, ob Marti die E-Mails rechtmässig hat beschlagnahmen lassen oder nicht. Die Verfahrensakten eines Strafverfahrens wie Einvernahmeprotokolle unterliegen dem Verfahrensgeheimnis und dürfen von den Strafverfolgungsbehörden nicht einfach so veröffentlicht werden. Würde Marti oder eine Hilfsperson von ihm dahinter stecken, würden sie sich ebenfalls der Amtsgeheimnisverletzung schuldig machen. Bekannt sind die Verfahrensakten darüber hinaus den anderen Parteien des Strafverfahrens.  Sowie darüber hinaus wohl allen Involvierten des Verfahrens, das Lauener gemäss Zeitungsberichten vor dem Zwangsmassnahmengericht Bern führt. In diesem Verfahren soll es um die Entsiegelung von weiteren beschlagnahmen Beweismitteln gehen, aber auch um die Frage, ob die E-Mails zwischen Lauener und Walder vom Bundesamt für Informatik BIT widerrechtlich an Sonder-Bundesanwalt Marti herausgegeben worden waren. Gemäss Informationen der NZZ soll es in diesem Verfahren «weitere Involvierte» geben, welche von der Zeitung aber nicht genannt werden. Bekannt sind lediglich: Peter Lauener und Peter Marti. Klar ist nur: Die Indiskretion muss aus den Kreisen dieser beiden Verfahren kommen.

Stellt sich als die Frage, wer ein Interesse daran gehabt haben könnte, diese Akten an die SCHWEIZ AM SONNTAG durchzustossen. Die Betroffenen Berset und Lauener ganz offensichtlich nicht – Berset steht im Kreuzfeuer der Kritik, es werden Rücktrittsforderungen oder der Ruf nach einer PUK laut. Laueners berufliche Reputation als Spindoctor dürfte schwerst angeschlagen sein – er hat gegen das wichtigste Gebot seines Berufs verstossen: «Du sollst Dich nicht erwischen lassen.»

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Vom Umgang mit Indiskretionen

Medienschaffende leben von Indiskretionen. Und häufig genug auch von Dokumenten, die Ihnen unter Verletzung des Amtsgeheimnisses zugespielt werden. Dabei ist allerdings zu differenzieren, wobei das «überwiegende öffentliche Interesse» als Richtschnur ganz gute Dienste leistet. Aber was heisst das?

In Verwaltungen, bei Staatsanwaltschaften und an Gerichten geschehen immer wieder fragwürdige Vorgänge. Sie ans Tageslicht zu befördern, ist eine der Aufgaben, denen sich auch INSIDE JUSTIZ verschrieben hat. Es ist die vornehme Aufgabe des Journalismus, der gelegentlich auch als «die vierte Gewalt» beschrieben wird – wobei wir den Begriff nicht gerne gehören, da wir «Gewalt» in diesem Zusammenhang als unpassenden Begriff erachten. Indiskretionen und manchmal auch Amtsgeheimnisverletzungen helfen, Missstände aufzudecken und letztlich – hoffentlich – zu korrigieren. Massstab sollte dabei immer die Frage sein: Gibt es an der Publikation ein öffentliches Interesse? Oder anders gesagt: Soll die Gesellschaft von einem bestimmten Vorgang wissen, weil er einen Missstand aufzeigt – einen Verstoss gegen Gesetze, einen Mangel des Rechtsstaates, etc.

Ein solches öffentliches Interesse ist abzuwägen gegen das private Interesse der Whistleblower, welche die inktriminierten Informationen an die Medien durchstossen. In besten Falle geht es diesen Personen darum, dass sie die Missstände nicht einfach hinnehmen wollen, weil sie einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn haben. Häufig verfolgen die Quellen solcher Informationen aber auch Eigeninteressen. Vielleicht wollen sie sich rächen dafür, dass sie bei einer Beförderung übergangen oder gemobbt wurden. Vielleicht wollen sie auch nur irgendwelche – wie hier – politischen Ziele erreichen. Oder ihre politische Macht ausbauen.

In diesen Fällen ist besondere Vorsicht geboten. Verantwortungsvolle Medienschaffende sind sich bewusst,  dass sie von ihren Quellen benützt werden. Das mag solange ok sein, wie es um Grundwerte unserer Gesellschaft geht, die eigentlich unbestritten sein sollten. Wie beispielsweise das korrekte Funktionieren des Rechtsstaates. Wenn es aber, wie im vorliegenden Falle, darum geht, einer bestimmten Politik zum Durchbruch zu verhelfen, dann wird es sehr schnell heikel. Insbesondere, wenn über diese Absicht keine Transparenz herrscht. Das durchschnittliche BLICK-Publikum hatte sich wohl während der Pandemie darauf verlassen, dass der Titel, wie man es von ihm erwarten würde, die Entscheide der Regierung mit einer kritischen Distanz begleitet. Wie jetzt belegt, war das Gegenteil der Fall, wobei zwei Lesarten offenbleiben: Die einen werden sagen, dass der BLICK zum Propaganda-Organ von Bundesrat Berset mutiert sei.  Und nicht nur das: Das Departement Berset konnte die Redaktionen der Ringier-Titel dafür verwenden, um Druck aufzubauen im Bundesrat. Für diesen wäre es durch die vorauseilende Gehorsamsberichterstattung schwierig gewesen, die Anträge von Berset zurückzuweisen. Die andere Lesart ist die, dass Ringier-CEO Marc Walder Berset vor sich hertrieb. Berset wusste ganz genau, mit welcher Politik er sich bei Ringier Lorbeeren holen würde und mit welchen er negative Schlagzeilen zu befürchten hatte.

Beides wirft ein schlechtes Licht auf den Ringier-Konzern, für den der Vertrauensverlust maximal ist. Aus Sicht der Leserinnen und Leser gilt: Solange Walder im Amt bleibt, können die Publikationen wie BLICK, SONNTAGSBLICK oder die SCHWEIZER ILLUSTRIERTE nicht mehr als politisch unabhängige Titel gelesen werden. Und die Affäre leistet der Ansicht all derjenigen Vorschub, die schon lange überzeugt sind, dass Politik und Medien ein verfilztes Biotop geworden sind und kritische Berichterstatung kaum mehr stattfindet. Genau so schlimm ist für das Haus aber auch die Erkenntnis, dass Ringier offenbar nicht in der Lage ist, das Redaktionsgeheimnis zu bewahren und sicher jeder Whistleblower bewusst sein muss, dass ein grosses Risiko besteht, dass er enttarnt wird, wenn er sich den Ringier-Medien gegenüber mit brisanten Informationen offenbart.