Anfangs April hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in einem zweiten Schuldspruch gegen die Schweiz geurteilt, nämlich in einer strafrechtlichen Sache. Der Gerichtshof hat einem Algerier recht gegeben, der zurzeit in Orbe VD verwahrt wird.
Das Gericht erachtet die Verwahrung, die gegen den Mann nach Verbüssung der Freiheitsstrafe ausgesprochen wurde als rechtswidrig. Der Kläger war 2011 vom Bezirksgericht Lausanne wegen versuchten Mordes zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er hätte im Juli 2017 aus der Haft entlassen werden sollen.
Die Waadtländer Justiz entschloss sich jedoch den Mann zu verwahren. Das Bundesgericht bestätigte diese Massnahme später 2019, sodass der Verteidiger im gleichen Jahr vor den EGMR zog.
Kein Zusammenhang zwischen Urteil und Verwahrung
Die Strassburger Richter stellten fest, dass es keinen «kausalen Zusammenhang» zwischen dem Urteil aus dem Jahr 2011 und der sieben Jahre später verhängten Verwahrung gab. „Während keine neuen Elemente eine erneute Überprüfung der Schuld“ dieses Mannes erlaubten, verhängte die Waadtländer Justiz „eine zusätzliche Strafe, die darauf abzielte, die Gesellschaft vor Straftaten zu schützen, für die der Betreffende bereits verurteilt worden war“, so der Gerichtshof.
Die fortgesetzte Verwahrung verstosse dementsprechend gegen Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der das Recht auf Freiheit garantiert. Der Anwalt des Klägers, Bertrand Demierre, sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA, dass dieses Urteil unter das Verbot der Doppelbestrafung falle.
Keine Doppelstrafen erlaubt
Der Anwalt bekräftigt, es sei zwar möglich, im Nachhinein eine Strafe zu verhängen. Dann müsse jedoch die Substanz der Angelegenheit erneut geprüft werden. Dies sei bei seinem Mandanten nicht geschehen.
Zusätzlich habe der Inhaftierte keine angemessene psychologische Betreuung erhalten, sondern sich mit «Pseudo-Behandlungen» begnügen müssen, so der Anwalt. Wegen Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention muss die Schweiz dem Häftling 25’000 Euro Genugtuung zahlen. Zuzüglich trägt sie die Gerichtskosten von 22’000 Euro.