Ein erfreuliches Signal

Das Urteil des Zürcher Obergerichts in der Causa Vincenz/Stocker/Raiffeisen ist ein Lichtblick für den Rechtsstaat. Was hatte dieses Verfahren in der Causa Raiffeisen alles an Peinlichkeiten zutage gefördert, die an einem funktionierenden Rechtsstaat zweifeln liessen!

Das begann bei der viel zu langen Untersuchungshaft. Warum mussten die Hauptbeschuldigten Vincenz und Stocker mehrere Monate in Untersuchungshaft verbringen in einem Wirtschaftsfall, bei dem die Beweise allesamt in den Akten liegen (müssen)? Welche Kollusionsgefahr sollte da noch bestehen, nachdem die Beschuldigten schon lange vor der Verhaftung wussten, dass gewisse kritische Geschäfte aus ihrer Vergangenheit (sogar öffentlich) diskutiert wurden und sie schon längst die Möglichkeit gehabt hatten, sich abzusprechen? 

Es ging weiter mit den unsäglichen Vorverurteilungen durch die Presse aufgrund von durchgestossenen Untersuchungsresultaten. Die Presse liess sich regelmässig willfährig instrumentalisieren, um vor dem Prozess speziell die Hauptbeschuldigten und von ihnen insbesondere Pierin Vincenz als skrupellosen Banker darzustellen, der während einem cholerischen Ausfall mit einer Prostituierten ein Hotelzimmer demoliert, die Reparatur und weitere Nachtclubbesuche dafür seinem Arbeitgeber als Spesen aufs Auge drückt. 

Von der Öffentlichkeit wenig beachtet fabrizierte der übereifrige Staatsanwalt Jean Marc-Richard-dit-Bressel nicht nur die jetzt vom Obergericht als unstatthaft taxierte, über 300-seitige Anklageschrift. Sondern heftete Akten in einem Umgang ab, die von den Beteiligten gar nicht mehr überblickt werden konnten – weder vom Gericht, noch von den Beschuldigten. Dass einer von ihnen, Beat Stocker, offenbar extra eine Software programmieren lassen musste, um sich in dem Aktenberg noch zurechtzufinden, spricht Bände – aber nicht für das Funktionieren des Rechtsstaates, der ein faires Verfahren garantiert. Wie würde sich denn ein Beschuldigter, der nicht über dieselben finanziellen Mittel verfügt, gegen ein solches Überborden der Strafverfolgungsbehören überhaupt noch wehren können?

Schliesslich das Bezirksgericht Zürich unter seinem Pannen-Präsidenten Sebastian Aeppli. Dieser schaffte es zunächst nicht einmal, ausreichend grosse Räumlichkeiten für alle Prozesstage der Hauptverhandlung zu organisieren. Mit der Folge, dass die Öffentlichkeit den Prozess nur ungenügend mitverfolgen konnte. Ein schlechtes Zeichen in einem Rechtsstaat, der das Öffentlichkeitsprinzip der Rechtsprechung schon in der StPO dadurch ritzt, dass die Akten des Verfahrens nicht öffentlich sind und kein Unmittelbarkeitsprinzip herrscht. Sprich: Ein Gericht kann vieles alleine aufgrund der geheimgehaltenen Akten entscheiden. Eine Justizkontrolle der Öffentlichkeit ist dadurch praktisch unmöglich. – Dass es auch anders geht, beweist übrigens, ausgerechnet, die Militärjustiz, die als einzige Gerichtsorganisation in der Schweiz nach dem Unmittelbarkeitsprinzip verhandelt. Heisst: Jeder Beweis muss an der Hauptverhandlung vor Gericht abgenommen werden.

Und die Pannen gingen weiter. Das Urteil, so Aeppli anlässlich der Hauptverhandlung im Januar 2022, sei schon zur Hälfte geschrieben, der Rest werde bis zum Sommer fertiggestellt. Mitnichten. Es wurde 2023, bis die schriftliche Urteilsbegründung – rund 1200 Seiten – schliesslich vorlag. 

Die nun vom Obergericht gutgeheissenen Rügen an der Anklageschrift waren dabei bereits dem Bezirksgericht bekannt und auch dort schon eingebracht worden. Und auch Fachleute wie der Fribourger Strafrechtsprofessor Marcel Alexander Niggli übten an der Arbeit der Staatsanwaltschaft deutliche Kritik.

Das Bezirksgericht Zürich unter Präsident Aeppli indes schoss alle Rügen der Verteidigung in den Wind. Der Präsident, der auch in anderen Fällen gerne mal ein Exempel statuiert, wollte sich womöglich die Chance nicht entgehen lassen, zu demonstrieren, dass er auch vor grossen Namen nicht zurückschreckt.  Ein Satz aus der Medienmitteilung des Obergerichts zu seinem Entscheid lässt dabei aufhorchen: «Der Anspruch auf ein faires Gerichtsverfahren gilt für alle Beschuldigten, unabhängig von deren Bekanntheit oder der Grösse und Komplexität des Falles.» Die Fairness des Gerichtsverfahrens zu garantieren wäre Aepplis Aufgabe gewesen. 

In der Privatwirtschaft wäre klar: Wer in seinem Job dermassen versagt wie Staatsanwalt Jean Marc-Richard-dit-Bressel oder Gerichtspräsident Sebastian Aeppli wird freundlich aufgefordert, sich nach einer neuen Aufgabe umzusehen. In der Justiz-Kaste hat derlei Versagen indes keinerlei persönliche Konsequenzen.

Leider. 

Lesen Sie zu diesem Kommentar auch den zugrundeliegenden Artikel «Vincenz-Urteil aufgehoben – Klatsche für Staatsanwalt und Bezirksgericht»

 

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