Ein Gläubiger macht die Rechnung ohne die ASU

Das Bundesgericht erlässt erneut ein fragwürdiger Entscheid. Im Urteil zu BGE 5A_18/2024 hat die II. zivilrechtliche Abteilung, zuständig unter anderem für SchKG-Fälle, in Dreierbesetzung ein Urteil erlassen, das nachdenklich stimmt. Denn es verweigert erneut die Akteneinsicht in  ASU-Akten, der machtvollen „Geheimjustizbehörde der Eidg. Steuerverwaltung.   

Der Fall spielt in Graubünden. Ein Gläubiger will das Grundstück eines Schuldners versteigern lassen, um seine Forderung von CHF 133’350.00 eintreiben zu können.
Zu diesem Zweck reicht  am 24. August 2023 beim Betreibungsamt Region Albula (GR) das Verwertungsbegehren ein. Die Grundpfandverwertung scheitert aber bereits an Art. 44 SchKG, weil die ASU (Abteilung Strafsachen und Untersuchungen) der Eidg. Steuerverwaltung am 25. August 2016 (also vor rund acht Jahren!) eine Grundbuchsperre zu Lasten des fraglichen Grundstücks erlassen hat.
Der Vorrang der öffentlichen Forderungen von Art. 44 SchKG zu Lasten der übrigen Gläubiger ist in Ordnung und vom Gesetzgeber so gewollt. Nicht in Ordnung für ein rechtsstaatlich korrekt geführtes Verfahren ist jedoch, dass keine Akteneinsicht in die Grundlagen der Grundbuchsperre bzw. deren aktuelle Notwendigkeit, gewährt wird. 

Keine Akteneinsicht in die ASU-Akten
Der Gläubiger, der offensichtlich die Zulässigkeit der ASU-Pfändung überprüfen wollte, verlangte Akteneinsicht, insbesondere in die Korrespondenz über den Stand des Steuerverfahrens. Das Bundesgericht lehnte dies in E 1.3 des Urteils ab: «Das Bundesgericht gewährt Einsicht in die das bundesgerichtliche Verfahren unmittelbar betreffenden Akten (einschliesslich der Akten der Vorinstanzen). Hingegen ist es nicht zuständig, über die Einsicht in Akten anderer Verfahren zu befinden. Soweit der Beschwerdeführer Einsicht in die Akten der EStV nehmen möchte, muss er sich an diese Behörde wenden.».

In E. 2.3 des Urteils führt das Bundesgericht weiter aus: «Aus dem Umstand, dass ihm die Korrespondenz der EStV nicht vorliege, ihm daher unbekannt sei, auf welcher Basis die EStV die am 24. August 2016 angeordnete Beschlagnahme aktuell aufrecht erhalten könne, und ihm keinerlei Unterlagen zu einem Strafverfahren gegen B.________ vorliegen, kann der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten ableiten. Wie erläutert (oben E. 2.3), ist das Betreibungsamt nicht befugt, die Rechtmässigkeit einer Beschlagnahme (hier: der Grundbuchsperre) zu beurteilen und hatte der Beschwerdeführer wahrscheinlich bereits nach Anordnung der Grundbuchsperre (vgl. Anzeigepflicht gemäss Art. 969 Abs. 1 ZGB), spätestens und mit Sicherheit aber seit dem Schreiben vom 5. Oktober 2023 Kenntnis von der Grundbuchsperre, weshalb es an ihm gelegen wäre, sich diesbezüglich an die EStV zu wenden.»

Ausser Spesen……

Das Urteil verursachte Kosten von 2’000 Franken. Die II zivilrechtliche Abteilung ist allein deshalb gefürchtet, weil gefühlt von 1’000 Beschwerden im SchKG-Recht deren 995 mit Nichteintreten oder materieller Abweisung beschieden werden. Man frägt sich, warum Rechtsuchende dennoch immer wieder vor Bundesgericht gehen. Offensichtlich ist dort – wenigstens für Steuerpflichtige – nichts zu gewinnen.

ASU - eine geheime Justizbehörde mit enormer Macht

Inside Justiz hat bereits mehrfach über die ASU (Abteilung Strafsachen und Untersuchung) berichtet. Wenn kantonale Steuerämter mit ihrem Latein am (vermeintlichen) Ende sind oder Machenschaften zum Nachteil des Staates vermuten, können sie bei der ESTV informel ein Gesuch um besondere Untersuchung nach Art. 190 ff DBG stellen. Die Vorsteherin des EFD, zur Zeit Bundesrätin Karin Keller-Sutter, ermächtigt dann in einem weitgehend intransparenten Verfahren die ESTV unter krasser Durchbrechung der Gewaltentrennung zur Durchführung der Untersuchung.

Die stets im Geheimen operierende ASU ist, was viele nicht wissen, mit einer enormen Machtfülle ausgestattet. Sie kann Haus- und Personendurchsuchungen sowie Einvernahmen durchführen und Beschlagnahmungen (Bankkonten, Vermögenswerte etc.) sowie Grundbuchsperren veranlassen. Von diesen Zwangsmassnahmerecht macht die ASU in der Regel Gebrauch, was für die Betroffenen gravierende, meist existenzielle Folgen hat. Die Beschlagnahme ist dabei eine Sicherungsmassnahme für die Dauer des Verfahrens (Art. 46 Abs. 1 VStrR). Mit der Beschlagnahme geht das Vermögen für die betroffene Person zwar nicht verloren, sie kann aber nicht mehr darüber verfügen. Zu beachten ist, dass die ASU nicht selbständig Steuerhinterziehungsverfahren durchführt. Die ASU erstellt «nur» den Bericht dazu, der aber als rechtserhebliche Grundlage in die kantonalen Steuerhinterziehungsverfahren einfliesst.
Bis ein solches Verfahren abgeschlossen ist, vergehen oft rund 10 Jahre oder mehr. Besonders stossend ist dabei, dass ein Nachsteuerverfahren nach Erlass einer Strafverfügung durch das kantonale Steueramt (KSTA) gemäss Art. 184 Abs. 2 DBG nicht mehr verjährt. Bis zum Abschluss am Tag X kann der Betroffene also nicht mehr über sein Vermögen verfügen!

«Schwarzer-Peter-Spiel», aber EGMR-Verfahren gegen die Schweiz
Dass weder die ASU noch die KSTA als Verwaltungsstrafbehörden im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK unabhängig sind, kümmert bis heute weder eine Behörde noch ein Gericht. Auch das Bundesgericht weigert sich regelmässig (sichtlich genervt), die ASU kritisch zu würdigen. Eine betroffene Steuerpflichtige spricht hier zu Recht von einem «Schwarzer-Peter-Spiel» zum Nachteil der Steuerpflichtigen.
Nun ist seit kurzem unter der Verfahrensnummer 41338/23 ein Verfahren gegen die Schweiz beim EGMR zur Frage der fehlenden Unabhängigkeit hängig. Die Schweiz kommt damit unter Druck und muss sich nun endlich klar zur fehlenden Unabhängigkeit der ASU und der Steuerbehörden in Steuerstrafsachen äussern.
Die Nervosität in Bern ist entsprechend gestiegen. Inside Justiz bleibt an diesem Verfahren dran und wird weiter berichten.

Kommentar -Verweisung des Bundesgericht ist falsch

Die Verweisung des Gläubigers an die ESTV durch das Bundesgericht ist äusserst bedenklich und im Ergebnis eindeutig falsch. Vor allem weiss das Bundesgericht, dass der Gläubiger bei der ASU und/oder ESTV keine Auskunft erhalten wird.

Insofern lässt das Bundesgericht den Gläubiger mit voller Absicht ins Leere laufen. Wendet sich der Gläubiger tatsächlich «weisungsgemäss» an die ESTV, um sich über den Stand des Verfahrens zu informieren, wird er allein wegen des Steuergeheimnisses keine Auskunft erhalten. Es ist zu befürchten, dass die ESTV noch nicht einmal bescheinigen wird, dass ein Verfahren gegen den Schuldner hängig ist. An wen soll sich der Gläubiger denn bei der ESTV konkret wenden?

Das Bundesgericht hätte die Beschwerde ohne weiteres gutheissen und die ESTV auffordern können, zum Stand des Verfahrens betreffend die Verwertung der fraglichen Liegenschaft Stellung zu nehmen. Diese Information ist vom Rechtsschutzinteresse des Gläubigers mitumfasst und die ESTV könnte ohne Verletzung des Steuergeheimnisses zum Schutze des betroffenen Schuldners ihren Standpunkt darlegen.

Mit der Verweigerung bleibt der Gläubiger aber völlig im Ungewissen. Er kann das Schicksal des Grundstücks und seiner Forderung in keiner Weise abschätzen. Der Verweis des Bundesgerichts ist daher schlicht falsch und ein bedenkliches Zeugnis dafür, wie man Rechtssuchende schlicht in die Irre führt!

Markus Wolf

 

Infos zu den beteiligten Richterinnen und Richter

Das Bundesgericht erwähnt die urteilenden Richter und die Gerichtsschreiber stets nur mit Familiennamen. Inside Justiz ist der Ansicht, dass die Richter und die Gerichtsschreiber mit voller Namensbezeichnung kenntlich zu machen sind.Während die hauptamtlich tätigen Richter auf der Homepage des Bundesgerichts mit einem kursorischen Lebenslauf präsentiert werden, findet man zu den nebenamtlichen Bundesrichter und vor allem zu den Gerichtsschreiber nur die Namen, aber keinerlei Hintergrundinformationen.

Dabei sind es vor allem die Gerichtsschreiber, die in vielfacher Weise die Urteilsredaktion in entscheidender Weise beeinflussen und die Urteile prägen.

 II. zivilrechtliche Abteilung

Christian Hermann, Präsident (Bild links)

Geboren am 9. Dezember 1961. Gebürtig aus Langnau (Bern). 1990 Anwaltspatent des Kantons Bern. Vizekommandant der Stadtpolizei Biel von 1990 bis 1996. Untersuchungsrichter, Region Berner Jura. Ab Januar 2002 Berufungsrichter am Obergericht des Kantons Bern (Zivil- und Strafsektionen, Anwaltskammer, Aufsichtskammer). Am 23. September 2009 zum Bundesrichter gewählt. Gewählt auf Vorschlag der SVP-Partei.

Nicolas von Werdt (Bild rechts oben)

Geboren am 15. September 1959. Bürger von Bern. Studien in Bern (Fürsprecher, 1985) und New York/USA (LL.M, 1987). Juristischer Mitarbeiter bei der Bundesanwaltschaft. 1991-1996 Mitarbeiter und seit 1997 Partner im Advokaturbüro Kellerhals Hess Rechtsanwälte. Oberst i Gst. Seit 2001 nebenamtlicher Bundesrichter am Bundesgericht. Wahl zum Bundesrichter am 1. Oktober 2008. SVP.

Stephan Hartmann (Bild rechts mitte) 

Geboren am 15. Januar 1972. Bürger von Eggenwil/AG. Studium der Rechtswissenschaften in Freiburg und Genf. , 2001 Doktorat, 2003 LL.M. (Michigan), 2005 Habilitation an der Universität Luzern, 2009 Titular-, 2023 Honorarprofessor für Privatrecht und Privatrechtsvergleichung an der Universität Luzern. 2005 – 2010 Tätigkeit als Rechtsanwalt. 2007 – 2010 Ersatzrichter am Obergericht des Kantons Aargau, 2011 – 2021 Richter am Obergericht des Kantons Aargau, 2013 – 2021 Vizepräsident der Anwaltskommission des Kantons Aargau. Wahl zum Bundesrichter am 16. Juni 2021. Grüne Partei.

 Gerichtsschreiber Marco Levante (Bild rechts unten)

Dr. iur. RA, Gerichtsschreiber am Schweizerischen Bundesgericht, Lausanne, Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen. SP Schweiz

 

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