Das Regionalgericht Bern-Mittelland verurteilt die 32-jährige Marianne A.* wegen Mordes zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe, weil sie ihre achtjährige Tochter Emma* umgebracht haben soll. Es ist ein reiner Indizienprozess, Marianne beteuert bis am Ende ihre Unschuld. Der Hauptzeuge der Anklage wird vom Gericht nicht einmal persönlich angehört. Und doch ist sich das Regionalgericht Bern-Mittelland unter seinem Präsidenten Marko Cesarov sicher.
«Es kann nicht nur so gewesen sein, es muss so gewesen sein», sagte Gerichtspräsident Marko Cesarov in Bezug auf den von der Staatsanwältin geschilderten Tatablauf bei der Urteilsbegründung. «Wir haben sehr viele Beweismittel gesehen, die für diese Geschichte sprechen.»
Das ist bei Lichte betrachtet sehr dick aufgetragen aufgrund der wenigen von Staatsanwältin Barbara Jungo zusammengetragenen belastbaren Fakten.
Aber der Reihe nach:
Es ist der 1. Februar 2022. Emma will nach der Schule eine Freundin besuchen und verlässt die Wohnung in Niederwenigen BE, in der sie mit ihrer alleinerziehenden Mutter Marianne wohnt. Als sie auch nach 1800 Uhr immer noch nicht zurückgekehrt ist, tut die Mutter das, was jede Mutter tun würde und vermutlich schon getan hat: Sie ruft bei Freundinnen ihrer Tochter an, um sie zu fragen, ob Emma bei ihnen sei.
Das hätte sie wohl besser nicht tun sollen. Auf jeden Fall wird es ihr von Staatsanwältin Jungo zum Vorwurf gemacht und in ihrem Plädoyer als eines von 16 Indizien angeführt, um zu belegen, dass Marianne ihre Tochter ermordet hat. Die Theorie der Staatsanwältin: Die Kindsmutter hat kaltblütig in der Nachbarschaft herumtelefoniert, um den Tatverdacht von sich wegzulenken.
Hätte sich die Mutter nicht nach dem Verbleib der Kleinen erkundigt und nicht herumtelefoniert, wäre ihr das indes wohl genau gleich als Indiz für ihre Täterschaft ausgelegt worden. Dann einfach mit dem Argument, sie hätte nicht nach dem Verbleib der Tochter recherchiert, weil sie ja schon gewusst hätte, dass Emma tot war.
Absurder geht’s nicht mehr.
Als niemand weiss, wo Emma verblieben ist, ruft Marianne ihre Mutter an, Emmas Grosi. Sie wohnt im selben Quartier, nicht weit von der jungen Mutter und dem Enkelkind entfernt. Mutter und Grossmutter suchen Emma im nahen Könizbergwald, denn dort hatten Marianne und Emma vor kurzem ein kleines «Versteck» gebaut. Und dort finden Mutter und Grossmutter schliesslich das tote Mädchen.
BLICK.CH zitiert die Erzählungen der Kindsmutter vor dem Regionalbericht Bern-Mittelland wie folgt: «Ich sah zuerst ihre Jacke. Ich dachte, sie hat sie vielleicht dort liegen lassen, aber dann sah ich all das Blut. Ich konnte in dem Moment nicht richtig denken. Ich dachte zuerst, sie sei nur verletzt. Ich wollte Hilfe rufen.»
Auch aus dem Fundort macht die Staatsanwältin ein Indiz. Der Ort sei nur Mutter und Tochter bekannt gewesen, behauptet sie. Es sei an diesem 1. Februar 2022 kalt und windig gewesen, Emma habe zudem im Dunkeln Angst gehabt, wie die angeklagte Mutter selbst bestätigt hatte. – Man beachte: Die Mutter, eben noch so kaltschnäuzig, dass sie nach dem Mord in der Nachbarschaft herumtelefoniert, um von der Tat abzulenken, begeht jetzt plötzlich den Fehler, zu erwähnen, dass Emma Angst vor der Dunkelheit gehabt habe, womit sie sich selbst belastet.
Zumindest in der Logik von Staatsanwältin Jungo, die messerscharf schliesst: Emma wurde wohl von jemandem in den Wald begleitet.
Hauptzeuge der Anklage: Wie vertrauenswürdig ist der 12-jährige Junge
Und dass müsse die Mutter gewesen sein. Womit wir zum einzigen halbwegs belastbaren Beweismittel in dieser Sache kommen – Indiz 2 in der Logik der Anklage. Ein damals 12-jähriger Junge hatte ausgesagt, er habe beobachtet, wie die Angeklagte unmittelbar um den vermuteten Tatzeitpunkt herum mit ihrer Tochter in den Wald gegangen sei. Der Junge ist der einzige Zeuge, der eine unmittelbare Beobachtung gemacht haben will.
Nur: Zeugenaussagen gelten per se als heikel, und im vorliegenden Falle erst recht. Verteidiger Moritz Müller macht denn auch geltend, der Junge sei schon vor seiner Aussage bei den Untersuchungsbehörden von Medienschaffenden befragt worden, ob er etwas gesehen habe. Dabei seien dem Jungen auch Bilder der Mutter und des Kindes gezeigt worden.
Bei der KESB habe es zudem eine anonyme Meldung geben, der Bub habe in der Schule herumerzählt, er habe das Mädchen getötet. Und die Aussagen des Jungen seien auch nicht konsistent gewesen. Der Verteidiger verlangt deshalb, der Junge sei vom Gericht vorzuladen und einzuvernehmen – die Staatsanwältin wehrt sich mit dem Argument dagegen, der Junge sei schon genug belastet.
Gericht hört den Hauptzeugen der Anklage nicht selbst an
Und tatsächlich: Das Gericht entscheidet, den Jungen nicht vorzuladen, um sich ein persönliches Bild von ihm zu machen. Ein Punkt, der im Schweizer Strafrecht immer wieder für rote Köpfe sorgt. Anders als beispielsweise im Militärstrafrecht oder auch in deutschen Strafprozessen gilt in zivilen Strafverfahren in der Schweiz kein Unmittelbarkeitsprinzip. Das Gericht darf sich auch ausschliesslich aufgrund der Einvernahmeprotokolle – im Falle hier lag dem Gericht auch eine Videoaufnahme vor – ein Bild machen.
Diesen Umstand kritisieren Strafrechtsexperten wie Gerichtsjournalisten regelmässig. Zum einen, weil die Akten im Gegensatz zu dem, was in einer Hauptverhandlung vorgebracht wird, nie das Licht der Öffentlichkeit sehen. Die in der Verfassung vorgesehen Justizöffentlichkeit bleibt damit eine Farce. Zum anderen weisen erfahrene Richter regelmässig darauf hin, dass ein Einvernahmeprotokoll und auch eine Videoaufnahme niemals so aussagekräftig sind wie die direkte Beweisabnahme im Gerichtssaal, bei der die Richterinnen und Richter eine Person unmittelbar und dreidimensional erleben.
Dass der junge Zeuge nicht mehr psychisch belastet werden darf und deshalb auf eine direkte Einvernahme durch das Gericht verzichtet wird, wo es doch auf der anderen Seite um nichts weniger als eine lebenslange Gefängnisstrafe geht, bleibt nicht nur für Laien vollkommen unverständlich und lässt an der Seriosität eines Spruchkörpers zweifeln.
Der Stein als Tatwerkzeug
So bleibt eine Anzahl weiterer Indizien. Etwa das Tatwerkzeug, der ominöse Stein. Er muss gleich doppelt als Indiz herhalten. Sechs Meter von der toten Emma entfernt findet die Polizei im Dornengestrüpp nämlich einen Stein, an dessen Unterseite Blut und Haare von Emma gefunden werden. Und auch die DNA der Mutter. Die Rechtsmedizin geht davon aus, dass der Stein das Tatwerkzeug gewesen sein kann, aber nicht nur. Es müsse auch noch ein weiteres Tatwerkzeug eingesetzt worden sein. Das wird indes nie gefunden.
Nur: Auch für Indiz Nr. 1 gibt es eine Erklärung. Die Kindsmutter hat nämlich angegeben, Emma und sie hätten diesen Stein schon vorher gemeinsam zu ihrem Waldversteck gebracht, wo er aufgrund seiner Form als Futternapf für allerlei Tiere diente. Aber nicht genug damit: Zum Vorwurf wird der Mutter auch gemacht, dass sie selbst gegenüber der Polizei proaktiv von dem Stein und dass darauf ihre Spuren sein würden, erzählt hatte. Und das, bevor der Stein als Tatwerkzeug überhaupt ins Zentrum rückte. Dass der Mutter vielleicht einfach aufgefallen sein könnte, dass der Stein nicht mehr im Versteck war und der Tod ihres Kindes, das am Hinterkopf stark geblutet hatte, womöglich damit zu tun hatte? Dass eine Mutter, die gerade ihr Kind tot aufgefunden hat, vielleicht einfach irgendwelche Dinge sagt, weil sie völlig schockiert ist?
Weitere kaum belastbare Indizien
In diesem Stile geht es weiter. Als Indiz 12 führt die Staatsanwältin Blutspuren an den Händen und der Kleidung der Mutter an. Sie sollen von der Tat stammen. Dass die Polizei der Mutter am Telefon gesagt hatte, sie solle versuchen, das Kind wiederzubeleben und die Spuren dadurch entstanden, wie die Mutter aussagt?
Oder die angebliche Reaktion der Kindsmutter unmittelbar nach dem Leichenfund, Indiz 14 der Anklage: Die Mutter habe der Tochter nur kurz am Hals den Puls gefühlt und die Leiche weder bewegt noch zugedeckt oder sonst gewärmt.
Oder Indiz 15: Man habe keinen Dritttäter gefunden, obwohl 30 Personen befragt worden seien.
Oder: Indiz 5: Die Handydaten. Als Alibi hatte die Kindsmutter angegeben, sie sei während dem Tatzeitpunkt zuhause gewesen, habe gechillt und Musik gehört. Weil aber im Zeitraum, zu dem das Kind getötet wurde, an dem Handy keine Manipulationen vorgenommen wurden, davor und danach aber sehr wohl, behauptet die Staatsanwaltschaft, die Mutter habe wohl das Handy wohlkalkuliert zuhause liegen gelassen, währenddem sie den Mord verübt hatte.
Interessant: Bei diesem Tatablauf hätte sich die Mutter also sehr bewusst sein müssen, dass die Strafverfolgungsbehörden über die Handydaten ein ziemlich genaues Bewegungsprofil erstellen können – und sie hätte das bewusst zur Vertuschung ihrer Tat eingesetzt.
Dazu mag dann allerdings Indiz 7 wieder nicht so richtig passen: Die Staatsanwaltschaft wirft der Mutter nämlich auch vor, die Unwahrheit darüber gesagt zu haben, wie oft sie vor der Tat in dem Waldversteck war. Die Handydaten belegen nur einen Besuch an dem Ort, die Mutter habe aber ausgesagt, mehrere Mal dort gewesen und jeweilen das Handy dabei gehabt zu haben.
Ein Motiv? Nicht erkennbar
Auch mit dem Motiv tut sich der Fall schwer. Staatsanwältin Jungo führt als Indiz 16 die Persönlichkeit der Mutter an. Sie sei vor der Tat wegen psychischer Probleme krank geschrieben gewesen. In der Tat hatte sich Marianne erst vor kurzem von ihrem letzten Lebenspartner getrennt. In früheren Einvernahmen habe sie bestätigt, dass die Tochter ein Grund für die Trennung gewesen sei und die Kindsmutter den Ex zurückgewinnen wollte. Zudem sei die Kinder ein Hindernis gewesen, um «Party zu machen».
Aber bringt eine Mutter deswegen ihre Tochter um? Andere Zeugen sagen zudem aus, Marianne habe ihre Tochter über alles geliebt. Social-Media-Bilder, die INSIDE-JUSTIZ vorliegen, scheinen eine tiefe Mutter-Tochter-Beziehung zu bestätigen. Die psychiatrischen Gutachten bestätigen zudem, dass bei Marianne keine Pathologie vorliegt. Warum also sollte die Mutter ihre Tochter getötet haben?
Im Zweifel gegen die Angeklagte
Kurzum: Dem neutralen Beobachter stellen sich viele Fragen, und weder die einzelnen Indizien noch die Indizienkette als Ganzes vermögen die Zweifel an der Tat auszuräumen.
Und auch die mündliche Urteilsbegründung von Regionalgerichtspräsident Cesarov überzeugte nicht. Er begründet das Urteil zunächst damit, die Beschuldigte habe nicht die Wahrheit darüber gesagt, wie oft sie vor der Tat in dem Waldversteck gewesen sei. Die GPS-Daten des Handys würden etwas anderes aussagen als die Mutter behauptet hatte.
Nur: Was beweist das? Welchen Vorteil hätte die Mutter davon, in diesem Punkt bewusst eine Falschaussage zu machen?
Dann legen die Richter der Mutter zur Last, dass sie nach dem Auffinden der Leiche «sofort wusste, dass hier eine Gewalttat vorliegt und damit nicht in Verbindung gebracht werden sollte». Und dass sie etwa 15 Meter von der toten Tochter entfernt auf die Polizei gewartet habe. Dass eine Mutter ob dem Anblick ihres toten Kindes mit einem eingeschlagenen Hinterkopf in Panik gerät, dafür verantwortlich gemacht zu machen? Und dass ein Mensch in einer solchen Extremstsituation möglicherweise anders reagiert als erwartet? – In den Wind geschlagen.
Bleibt der Hauptzeuge. Das Gericht räumt ein, dass seine Aussage «so wichtig» sei – und hatte ihn trotzdem nicht persönlich vorgeladen.
Gerichtspräsident Marko Cesarov erkärte, das Gericht habe sich sehr genau angeschaut, wo, wann und unter welchen Umständen der Junge seine erste Aussage gemacht habe. Die Person, der gegenüber der Junge zum ersten Mal von seiner Beobachtung erzählt hatte, habe geschildert, dass die Aussage wie aus der Pistole geschossen gekommen sei. Für das Gericht zeugt das «von einer hohen Glaubwürdigkeit». Nur: Das war erst am Morgen nach dem Fund des toten Mädchens. Und die Aussage bei der Polizei, nachdem der Junge schon mit Journalisten gesprochen hatte. Darauf ging Gerichtspräsident Cesarov mit keinem Wort ein.
*Namen aus Persönlichkeitsschutzgründen abgeändert
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Die Arbeit von Staatsanwältin Barbara Jungo und des Regionalgerichts Bern-Mittelland hinterlässt einen mehr als schalen Nachgeschmack. In Ermangelung eines direkten Beweises wird der angeschuldigten Mutter Marianne A.* alles Mögliche und Unmögliche zur Last gelegt. Ein Teil der Indizien wirkt derart absurd, dass bei neutraler Betrachtung der Eindruck entstehen muss, dass für das schlimme Verbrechen an der kleinen Emma einfach jemand herhalten musste. Und in Ermangelung einer anderen Täterschaft verurteilt man dann halt die alleinerziehende Mutter.
Natürlich: Nur die Mutter selbst weiss, ob sie es gewesen ist oder nicht. Staatsanwältin Jungo hatte dagegen nichts in der Hand, als ein Kind als Zeugen. Und das wurde vom Gericht nicht einmal einvernommen. Kein Wunder, vermutet der Verteidiger, dass Gericht und Staatsanwaltschaft in Sorge waren, bei einer solchen Einvernahme würde die ganze Anklage in sich zusammenfallen.
Damit ist die Beweislage für eine Verurteilung wegen des schwersten Kapitalverbrechens überhaupt aber schlicht zu dünn.
Mit einem Freispruch wäre allerdings viel auf dem Spiel gestanden: Zum ersten das Eingeständnis, dass die Mutter seit bald zweieinhalb Jahren zu Unrecht in Haft gesessen hätte. Zum zweiten eine heftige Entschädigung: Der Verteidiger hatte für die erstandene Haft eine Entschädigung von CHF 170’000 verlangt. Und zum dritten hätte die Berner Justiz sich eingestehen müssen, dass sie keine Täterschaft für das Verbrechen hatte ermitteln und hieb- und stichfest überführen können.
Nur: Das alles ist immer noch besser, als eine Frau, die womöglich unschuldig ist, für die besten 15 Jahre ihres Lebens einzusperren.
Das alles lässt Erinnerungen aufkommen an ein früheres Justizversagen der Berner Strafverfolgungsbehörden. In den 80er Jahren machte der «Fall Zwahlen» landesweit Schlagzeilen. Damals wie heute wurde mangels einer alternativen Täterschaft einfach der naheliegendste Täter verurteilt. Nach einer Artikelserie und dem Buch «Mord in Kehrsatz» des Journalisten Hanspeter Born wurden so viele Zweifel an der Schuld Zwahlens offenkundig, dass er schliesslich 1993 in einem Revisionsprozess freigesprochen und aus der Haft entlassen wurde. Der Mord ist bis heute ungeklärt.
1. Die Angeklagte und ihr Strafverteidiger haben das Recht, den (Haupt-)Belastungszeugen zu befragen (Recht auf wirksame Verteidigung). Ob sie dies im Strafverfahren vor der Hauptverhandlung tun konnten, geht aus dem Artikel nicht hervor.
2. Falls der 12-jährige Belastungszeuge gegenüber Dritten behauptet hat, selbst der Täter zu sein, ist das vertieft abzuklären. Staatsanwaltschaft und Gerichte müssen be- und entlastenden Hinweisen in gleicher Weise nachgehen (Verfahrensfairness, Unschuldsvermutung).
3. Die Beweiswürdigung wirkt sehr einseitig und spekulativ (mögliche Verletzung des Grundsatzes „Im Zweifel für die Angeklagte“, Unschuldsvermutung). Es scheint, wie der Autor schreibt, dass man das Eingeständnis der gescheiterten Täteraufklärung und eine hohe Entschädigung für die Angeklagte vermeiden wollte.
Die Aussage des Zeugen wirkt auf mich sehr glaubwuerdig, ausser er hat sich im Tag geirrt. Er machte seine Aussage erstmals, als er auf den Tod des Kindes angesprochen wurde. Wer absichtlich falsche Angaben macht, erwaehnt diese nicht erst, wenn er darauf angesprochen wird, sondern er verbreitet diese aktiv von sich aus. Es waere Zufall, wenn das Handy nur waehrend der Tatzeit nicht aktiviert worden waere und sonst den ganzen Tag. Weshalb machte die Angeklagte auch falsche Angaben, wie oft sie mit ihrem Kind im Wald war? Wenn sie nichts zu verbergen hat, koennte sie auch die Wahrheit sagen. Falls Sie wirklich unschuldig ist, hatte sie das Pech, dass zufaelligerweise alle Fakten gegen sie sprechen.
Ich habe eine zehnjährige Tochter und sehe bei ihr, wie sie sich manchmal über Dinge sicher ist und dann stellt sich heraus, dass es doch anders war. Ich mute mir nicht zu, über die Glaubwürdigkeit dieses Jungen den Stab zu brechen, ich kenne ihn ja nicht. Dass das Gericht aber einen Schuldspruch fällt auf der Basis der Aussagen dieses Jungen, den das Gericht gar nicht persönlich befragt, da frage ich mich schon, wofür diese Leute eigentlich bezahlt werden. Dass die Mutter ihr Handy mal einige Zeit hat liegenlassen, mein Gott, da müsste man mich auch einsperren. Das gibt es doch jeden Tag, dass man eine Zeit lang aktiv ist am Handy oder am Tablet und dann wieder einige Zeit nicht, weil man grad‘ mit etwas anderem beschäftigt ist. Was ich auch nicht verstehe, warum die Mutter gelogen haben soll, wie oft sie in diesem Versteck war und dass sie immer das Handy dabei hatte – was nicht mit der Handyortung übereinstimmen soll. Aber vielleicht war ja auch einfach die Batterie leer oder das Telefon im Flugmodus…. Schade, dass der Artikel dazu nicht mehr Hintergrund-Informationen bietet.
Falls der Junge es selber war? Dann wäre er nicht so blöd und würde über die Sache sprechen, bevor er darauf angesprochen wird.
Und wenn die Mutter sich ein Alibi verschaffen wollte, hätte sie das Handy während der Tat aktiviert zu Hause gelassen.
GPS-Daten sind z.B. dann unzuverlässig, wenn man genau zwischen zwei Sendemasten ist. Wie weit von zu Hause war wohl das Versteckli?
Und noch etwas: weshalb soll die Befragung des Jungen für ihn belastend sein? Es bezeugt, die Mutter und das Kind zusammen gesehen zu haben. Daran ist nichts Belastendes für ihn, auch wenn er das mehrmals bezeugen müsste.
Falls er bei der Aussage belastet wirkte, dann kaum wegen dem, was er bezeugen kann. Weshalb also sonst?
Ich halte es für eher unwahrscheinlich, dass ein zwölfjähriger Junge ein Kind ermordet, das kommt zum Glück sehr selten vor. Die KESB-Meldung über ihn kam von einer anonymen Person, welche sich nicht zu erkennen geben wollte. Anonyme Schreiben sind meistens erfunden, denn die Behörden dürfen ja nicht sagen, von wem sie ihre Informationen haben, somit hätte die Person auch ihren Namen nennen können. Ausserdem wäre es extremer Zufall, wenn die Beschuldigte während der Tatzeit zuhause war und genau während dieser Zeit nichts am Handy machte, jedoch sonst den ganzen Tag am Handy war. Es wäre ebenso ein grosser Zufall, wenn genau während dieser Zeit der Akku leer war oder sie sonst aus irgend einem Grund keinen Empfang hatte. In diesem Fall hätte sie einfach grosses Pech gehabt.
Das stimmt. Aber es sei an den Fall der beiden Mädchen erinnert in Deutschland, die eine Klassenkameradin ermordet haben. – Wie sagt man: Never say never. Leider habe ich nirgends gelesen, ob die Sache von den Behörden genau abgeklärt worden ist. Immerhin war ja der Weg, den der Junge gemäss seiner eigenen Aussage gegangen sein soll, nicht mit dem Handy-Profil in Übereinstimmung zu bringen. – Und was die «Belastung» für den Jungen betrifft: Da bin ich ganz bei dem Autor von Inside Justiz: Wenn eine lebenslange Haftstrafe zur Diskussion steht, darf die angebliche Belastung des Jungen doch kein Grund sein, ihn nicht persönlich anzuhören. Ich vermute vielmehr, dass Gericht und Staatsanwaltschaft in Sorge waren, dass die Unzuverlässigkeit der Aussage des Jungen für alle im Gericht offenkundig geworden wäre. Und damit die Anklage dann in sich zusammengebrochen wäre.
Bleibt nur zu erahnen, was ein solches Vorgehen der Staatsanwaltschaft und der Richter für Familie und Freunde bedeutet. Nicht genug, dass sie den schmerzlichen Verlust des Mädchens verarbeiten müssen, nein sie zerstören mit diesem sinnlosen Verdacht nicht nur das Leben der Mutter, sondern einer ganzen Familie. Die Angeklagte ist Platzhalter für den nicht gefunden Täter und was nicht passt wurde passend gemacht. Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Mit diesen fast gänzlich haltlosen Indizien, jemanden zu einer lebenslangen Haft zu verurteilen ist mehr als fragwürdig und entbehrt jeder Glaubwürdgkeit an die Justiz.
Da kann man nur froh sein, wenn man selber nicht in die Fänge der Justiz gerät.
Ich wünsche den Direktbetroffenen, dass sie Unterstützung erhalten und den Mut haben, gegen diese Ungerechtigkeit vorzugehen.