Eine Klatsche vom Professor zum Prozessauftakt

„Überraschend wacklig“ – so kommentiert der Fribourger Strafrechtsprofessor und Mitherausgeber des Basler Kommentars Strafrecht die Anklage im Raiffeisen-/Aduno-Prozess. Im heutigen TAGES-ANZEIGER meint Niggli: „Ich bin ehrlich gesagt ziemlich konsterniert, wie schwach die Anklageschrift ist. Die Staatsanwaltschaft hat viele Jahre ermittelt, und es ist beeindrucktend wenig, was sie nun vorbringt.“

Niggli bestätigt damit, was viele Strafrechtler seit Monaten hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand erzählen: Die Untersuchung im Raiffeisen-Komplex hat ausser ein paar süffigen Spesenreiter-Geschichten für die Boulevardpresse wenig zählbares erbracht. Viele Beobachter zeigten sich schon bei der langen Untersuchungshaft gegen die Hauptangeklagen Beat Stocker und Pierin Vincenz kritisch und sahen darin mehr eine Beugehaft als die gesetzlich geforderten Haftgründe wie Kollusionsgefahr. Ein nicht-namentlich genannt werden wollender Zürcher Strafverteidiger: „Die inkriminierten Transaktionen sind alle in den Büchern, was soll da noch verschleiert werden?“.

Weder Arglist noch Schaden erwiesen

Zentraler Punkt der Anklage ist die Tatsache, dass Stocker und Vincenz privat an Gesellschaften beteiligt waren, die sie in ihren Rollen bei Raiffeisen und Aduno für diese Gesellschaften gekauft hatten – und dabei nicht offenlegten, dass sie selbst Anteile an den Firmen hielten. „Das blosse Verschweigen stellt noch keine Arglist dar“, sagt Niggli dazu im TAGES-ANZEIGER. Genau das wäre aber eines der zwingenden Tatbestandsmerkmale. Die Staatsanwaltschaft leite aus einer allgemeinen Treuepflicht eine Informationspflicht ab, „und aus dieser Verletzung der Informationspflicht wird wiederum die Arglist abgeleitet.“

Für Niggli auch auf explizite Nachfrage des Journalisten Holger Alich nicht nachvollziehbar: „Ich bin überrascht, mit welcher Leichtigkeit hier argumentiert wrid. Erst wird behauptet, es beüdnden Aufklärungspflichten. Und gleichzeitig wird das Unterlassen der Aufklärung, zu der am nverpflcihtet sei, als Arglist gewertet. Träfe das zu, so würde jeder, er eetwas nicht angibt, arglistig handeln. Das kann es nicht sein.“

Für Niggli wäre Arglist erst dann gegeben, wenn beispielsweise Vincenz vor dem Deal von Mitgliedern des Verwaltungsrates der Raiffeisen explizit nach eigenen Beteiligungen gefragt worden wäre und dann gelogen hätte. Dass es auch Sicht des Strafrechtsprofessors für eine Verurteilung wegen Betrugs wohl eher nicht reichen wird, begründet er indes auch noch mit dem Tatbestandsmerkmal des Schadens: Auch eine Schädigung sehe er nicht als erwiesen an, sagt Niggli.

Bessere Karten bei Ungetreuer Geschäftsbesorgung

Bessere Chancen für die Staatsanwaltschaft sieht Niggli beim Straftatbestand der ungetreuen Geschäftsbesorgung. – Allerdings wiederum mit Einschränkungen. „Ungetreue Geschäftsbesorgung liegt dann vor, wenn ich pflichtwidrig einen anderen schädige“, doziert Niggli in dem Artikel: „Wenn ich eine Aufklärungspflicht habe, die ich verletze, dann habe ich meine Treuepflicht verletzt. Notwendig ist dann nur noch, dass durch diese Treuepflichtverletzung der Geschäftsherr geschädigt wird.“ Allerdings ist der Nachweis des Schadens auch unter diesen Straftatbestand zentral. „Hier spielt die Musik“, findet Niggli, der mit der Staatsanwaltschaft allerdings erneut hart ins Gericht geht.

Ein Schaden sei nur dann begründet, wenn die zum Kauf stehenden Gesellschaften dadurch, dass die Beteiligungsverhältnisse nicht offen auf dem Tisch lagen, anders, sprich: höher bewertet worden seien als wenn diese Tatsache nicht bekannt gewesen wäre. „Ich verstehe überhaupt nicht, warum die Staatsanwaltschaft sich so auf das Verschweigen der Beteiligung fokussiert“, den das alleine, so Niggli weiter, begründe den Schaden noch nicht: „Der Schaden wird gleichgesetzt damit, dass die Beschuldigten Gewinn gemacht haben. So einfach ist es eben nicht.“

Spesenritterei: Was ist mit dem Verwaltungsratspräsidenten?

In den Spesenexzessen sieht Niggli offensichtlich mehr als in den anderen Punkten eine mögliche ungetreue Geschäftsbesorgung. Allerdings stelle sich dann die Frage, „ob der damalige Verwlatungsratspräsident nicht ebenso verantwortlich ist.“ – Auf den Einwand, Ex-Raiffeisen-Präsident Johannes Rüegg-Stürm gebe an, er sei getäuscht worden, meint Niggli: „Mag sein, aber er hätte wohl nachfragen müssen, was sich hinter den verschiedenen Spesenausgaben verbirgt.“

 

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