Erst klotzen, dann kuschen: Sonntagsblicks PR-Interview mit Lindemann-Anwalt

 Der SONNTAGSBLICK bringt heute ein ausführliches, über weiteste Strecken unkritisches Interview von Chefredaktor Reza Rafi mit dem deutschen Promi-Anwalt Prof. Dr. Christian Schertz (hinter Bezahlschranke). Das ist brisant, denn was der SONNTAGSBLICK verschweigt: BLICK.CH musste auf Geheiss der Kanzlei von Schertz einen eigenen Rammstein-Artikel vom Netz nehmen. War das PR-Interview Teil des Deals? Nach der Veröffentlichung hat der deutsche Anwalt reagiert und will den Artikel gelöscht haben.

Fakt ist: Die BLICK-Redaktion wurde von den Rechtsanwälten von Till Lindemann, dem Leadsänger der deutschen Rockgruppe Rammstein, im Juni dieses Jahres abgemahnt. Das schrieb die Anwaltskanzlei in einer Presseerklärung vom 26. Juni 2023.

Wörtlich heisst es dort: «In der Schweiz wurde u.a. die Ringier AG wegen der Berichterstattung auf www.blick.ch vom 18.06.2023 (Titel: „Rekrutierte Alena M. auch in Bern Frauen für Lindemann?“) abgemahnt. Nach Abmahnung gab der Verlag gegenüber unserem Mandanten eine umfangreiche strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Der Beitrag kann über die Internetseiten nicht mehr abgerufen werden.»

Tatsächlich: Der benannte Artikel ist nicht nur online, sondern auch in der Schweizerischen Mediendatenbank, in der ansonsten alle Beiträge fast aller Schweizer Medientitel archiviert werden, nicht mehr zu finden.

An welchen konkreten Formulierungen sich Lindemanns Anwaltskanzlei Schertz Bergmann Rechtsanwälte in dem Artikel konkret gestört hatten, kann aufgrund der Löschung nicht nachvollzogen werden. Eine entsprechende Anfrage an die Ringier-Medienstelle blieb am Sonntag unbeantwortet.

Brisant: BLICK.CH zitiert aus Anwaltsschreiben, aber nicht in eigener Sache

Interessant auch: BLICK.CH schrieb in einem Online-Artikel vom 27. Juni 2023 darüber, dass die Anwälte von Lindemann ein Gutachten in Auftrag gegeben hatten, um ihren Mandanten zu entlasten.  Während BLICK.CH auf dieses Gutachten eingeht, erwähnt die Online-Plattform die Abmahnung und den Rückzug des eigenen Artikels mit keinem Wort, obwohl die Rechtsanwaltskanzlei in derselben Presseerklärung darüber berichtet, in der auch das Resultat des Gutachtens thematisiert wird.

Vorwurf der Sexualstraftat steht weiterhin

Während der von den Rechtsanwälten angemahnte Text über die Vorwürfe gegen Till Lindemann gelöscht wurde, findet sich in einer Bildunterschrift unter verschiedenen Rammstein/Lindemann-Artikeln auf BLICK.CH  immer noch der Passus: «Mehrere junge Frauen behaupten, der Sänger hätte bei Partys nach Konzerten mit ihnen Sex gegen ihren Willen gehabt.»

Und auf nau.ch ist auch immer noch ein Text zu finden, der dem Titel zufolge eine ähnliche Story erzählen dürfte wie es BLICK.CH tat.

Dass Lindemanns Anwälte dagegen nicht vorgegangen sind, erstaunt. Denn genau diese Aussage ist es ja, die sie als tatsachenwidrige Behauptung zurückweisen. Im SPIEGEL-Artikel «Götterdämmerung» vom 10. Juni 2023, dessen Verbreitung unterdessen vom Landgericht Hamburg in mehreren Punkten verboten wurde, hatte der SPIEGEL mit Bezug auf Rechtsanwalt Christian Schertz noch wörtlich geschrieben:

«Die Vorwürfe, »Frauen seien bei Konzerten von Rammstein mithilfe von K.-o.-Tropfen beziehungsweise Alkohol betäubt worden, um unserem Mandanten zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen zu können«, schreibt er, seien »ausnahmslos unwahr«. Die Kanzlei kündigt rechtliche Schritte an.»

SOBLI-Chefredaktor will nichts von einem Deal wissen

SONNTAGSBLICK-Chefredaktor Reza Rafi liess am Sonntag ausrichten, er habe das Interview mit Christian Schertz unabhängig von dem Rechtshändel des Verlags mit Schertz‘ Kanzlei geführt und wies den Vorwurf, das Interview sei Teil eines Deals gewesen, zurück. Für weitere Aussagen verwies er auf die Medienstelle. Damit bleibt offen, warum die Löschung des Artikels nicht transparent gemacht wurde. Darüber berichtet hatte nämlich einzig das Branchenportals PERSÖNLICH.COM – dessen Leserschaft sich mit derjenigen von BLICK.CH und SONNTAGSBLICK allerdings nur zu einem kleinen Teil decken dürfte.

Hat BLICK.CH mit seinem Vorgehen gegen den Presse-Kodex verstossen? Dieser ist in der Frage – wie so oft – nicht eindeutig. Der Presserat verlangt zwar in Richtlinie 5.1 der Erklärung der Rechte und Pflichten der Medienschaffenden, dass unzutreffende Berichte unverzüglich korrigiert werden müssten. Wie eine Redaktion aber konkret zu verfahren hätte, wenn ein bereits publizierter Artikel aufgrund einer anwaltlichen Intervention vollständig gelöscht wird, dazu äussern sich die Richtlinien nicht.

SPIEGEL publiziert eine Gegendarstellung

Merkwürdig auch der Umgang des SPIEGEL mit der Angelegenheit. In der Mitteilung der Anwälte Schertz Bergmann vom 26. Juni 2023 kündigten sie vollmundig an, gegen unzulässige Berichterstattung und unwahre Tatsachenbehauptungen in den Medien zbw. in den sozialen Netzwerken» vorzugehen. Wörtlich: «So haben wir u.a. wegen der Berichterstattung im SPIEGEL Nr. 24 vom 10.06.2023 den Erlass einer einstweiligen Verfügung beim Landgericht Hamburg beantragt. Gerügt wird die Verletzung der Intimsphäre unseres Mandanten, die Veröffentlichung und Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen sowie eine unzulässige Verdachtsberichterstattung. Mit einer Entscheidung ist in den nächsten Tagen zu rechnen.»

Nun, der besagte Artikel ist im SPIEGEL am Sonntagabend des 9. Juli 2023 immer noch abrufbar, einzig ergänzt um eine Gegendarstellung des Gitarristen der Band, Richard Kruspe. Der wehrte sich gegen eine Passage, in der es heisst, er und Lindemann seien darüber in Streit geraten, wer nun mit einem offenbar etwa 20-jährigen Mädchen Sex haben dürfe. Die Anwälte der Band Rammstein (und das sind nicht dieselben, die Sänger Till Lindemann vertreten), haben diese Passage vor dem Landesgericht Hamburg eingeklagt. Und offenbar auch Recht erhalten, wie sie in einer Medienmitteilung vom letzten Freitag, den 7. Juli 2023 schreiben. Während der SPIEGEL auf seinem Online-Plattform also bislang an seinen Vorwürfen festhält und auch die gerichtliche Entscheidung (noch?) nicht umgesetzt hat, hat das Blatt in der Schweiz die Segel gestrichen: In der Schweizerischen Mediendatenbank, welche den SPIEGEL ebenfalls in ihrem Sortiment führt, ist der gesamte, acht Seiten lange Artikel vom 10. Juni 2023 gelöscht.

Entwicklung: Am Dienstag hat sich das Anwaltsbüro Schertz Bergmann bei uns gemeldet und hat uns in seinem Schreiben folgendes vorgeworfen: „Sie verbreiten in dem Artikel „Erst klotzen, dann kuschen: Sonntagsblicks PR-Interview mit Lindemann-Anwalt“ Unwahrheiten über unsere Kanzlei. So stellen Sie die Frage und Behauptung auf,
es habe hier einen Deal betreffend des Interviews mit meiner Person und dem SonntagsBlick gegeben, der im Zusammenhang mit einer Falschberichterstattung des SonntagsBlick steht. Dieses entbehrt jeglicher Grundlage und kann eidesstattlich versichert werden. 

Das Schreiben:

Ich fordere Sie entgegenkommenderweise auf, bis heute Abend, 18.00 Uhr (Dienstag, 11. Juli, die Red.) diesen Artikel unverzüglich offline zu stellen. Sollten Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, werden wir gegen Sie unsere Ansprüche auf Unterlassung, Widerruf, Gegendarstellung und ggf. auch Schadensersatz einleiten. Dieses würde dann ohne weitere Ankündigung geschehen, dass wir davon ausgehen müssen, dass Sie nicht freiwillig bereit sind, die Falschberichterstattung einzustellen.

Mit freundlichen Grüssen, Prof. Dr. Christian Schertz, Rechtsanwalt

Wir haben auf diese für uns nicht nachvollziehbaren Vorwürfe reagiert, den Vorwürfen von Honorarprofessor Schertz (seit 2022, juristischen Fakultät Potsdam und regelmässiger Dozent an der deutschen Richterakademie in Wustrau und Trier.Schertz) widersprochen und den Artikel nicht vom Netz genommen. Roger Huber 

 

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Dass das Verlagshaus Ringier Transparenz lieber bei anderen einfordert, als dass es selbst danach lebt, ist aus vielfältigen Beispielen bekannt – der letzte grosse Berset-Lauener-Walder-Skandal lässt grüssen. Auch wenn der Pressekodex nicht eindeutig ist: Ohne jeden Hinweis auf den Rückzug des Artikels wird der Leserschaft gegenüber nicht klar, dass die präsentierten Fakten offenbar nicht der Wahrheit entsprachen. Und davon ist wohl auszugehen, ansonsten würde man von einem Medienhaus mit Rückgrad erwarten, dass es seine Arbeit gegen juristische Angriffe verteidigt.

Dass Ringier auch von der «lernenden Organisation» noch immer weit entfernt ist, ist auch nichts Neues. Zu oft schon wurde nach Skandalen vollmundig Besserung versprochen – bis die nächste Skandalisierungsgeschichte anstand. Der Borer-Skandal 2003 oder die Zuger Sex-Affäre von 2015 lassen grüssen.

Die Rammstein-Saga steht da also nur als weiteres Beispiel in einer lange Jahre gepflegten Tradition: Da wird erst mal munter drauf eingedroschen, bis dann ein Gericht kommt oder eine wenigstens eine selbstbewusst auftretende Rechtsanwaltskanzlei. Und dann wird gekuscht.

 

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