Raiffeisenprozess: Es bleibt ein mehr als schaler Nachgeschmack

Natürlich haben die Spezialisten Recht, die monieren, ein Urteil zum Urteil im grossen Raiffeisen-Komplex sei erst möglich, wenn das schriftliche und begründete Urteil vorliege (vgl. dazu etwa die herausragenden Podcast zu dem Fall von Duri Bonin und Gregor Münch).  Gleichwohl stellen sich bereits unmittelbar nach der mündlichen Urteilsbegründung einige Fragen.

Zunächst die nach der Härte des Urteil. Rechtsprofessoren und -gelehrte von links bis rechts sprechen von einem „harten“ Urteil und gehen davon aus, dass das Strafmass im Rahmen des Rechtswegs eine deutliche Senkung erfahren dürfte. Insbesondere die summarische Begründung von Bezirksrichter Aeppli, warum die Beschuldigten den Tatbestand der Arglist erfüllt haben sollen, vermochte an der Urteilsverkündung nicht zu überzeugen. Genau so umstritten bleibt nach wie vor das Tatbestandsmerkmal des Schadens. Juristen, die den Prozess beobachtet hatten, waren eher skeptisch, dass die Indizien für eine Verurteilung ausreichen würden, umso gespannter darf man sein, was Aeppli in den Akten noch zusätzlich zu dem gefunden hat,  was an den Prozesstagen von der Staatsanwaltschaft präsentiert worden war. – Der Verdacht lässt sich zumindest nicht von der Hand weisen, dass hier ein Bezirksrichter, der am Ende seiner Karriere steht und es nie weiter gebracht hat, die grosse Bühne benützt hat, um ein Exempel zu statuieren an einigen Wirtschaftsgranden.

Grosse Fragen wirft aber insbesondere der Themenkomplex der Spesenexzesse auf. Zum einen ist alles andere als einsichtig, warum Vincenz hierfür wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung verurteilt wird, während sein Vorgesetzter, Ex-Raiffeisen-Verwaltungsratspräsident Johannes Rüegg-Stürm, nicht einmal angeklagt wird. Und nicht nur das: Sogar auf eine persönliche Anhörung von Stürm-Rüegg hatte das Gericht verzichtet. Seine Begründung, er sei von Vincenz über den tatsächlichen Hintergrund der Spesen getäuscht worden, tönt doch reichlich naiv: Wie kann Rüegg-Stürm eine Privatreise von Vincenz nach Australien absegnen und behaupten, getäuscht worden zu sein? Dass Rüegg-Stürm als zentraler Zeuge dazu vom Zürcher Bezirksgericht nicht einmal persönlich befragt wurde, sondern lediglich aus den Akten entschieden wurde, wirft ein schlechtes Licht auf das Gericht. Natürlich, die eidgenössische Strafprozessordnung lässt das (im Gegensatz beispielsweise zum Militär-Strafprozess) zu, gleichwohl bleibt es unter dem Aspekt der Gerichtsöffentlichkeit hochgradig problematisch, wenn derlei „Kronzeugen der Anklage“ ausschliesslich aus den Akten, die der Öffentlichkeit verborgen bleiben, in ein Urteil einfliessen.

Aber auch generell stellt sich die Frage, inwieweit die Strafverfolgung sich mit der strafrechtlichen Beurteilung von (abgezeichneten) Spesen eine neue Spielwiese sucht. Man mag mit einiger Berechtigung einwerfen, dass Vincenz derart dreist über die Stränge geschlagen hatte, dass die Strafverfolgungsbehörden in dem Punkt nicht mehr zusehen konnten. Klar ist aber auch, dass solche Verfahren die Ausnahme bleiben müssen. Es kann nicht sein, dass völlig wirtschaftsferne Richterinnen und Richter,  welche die Gepflogenheiten in der Wirtschaft nur vom Hören-Sagen kennen, über Spesenabrechnungen urteilen. Dieses Feld kann getrost den Unternehmen und deren Compliance überlassen werden, und wo es nötig erscheint, setzt bereits das Steuerrecht Grenzen.

Die nächste Ungereimtheit an der Urteilsverkündung: Da erläutert Bezirksrichter Aeppli zuerst, im Fall der Investnet sei nicht bewiesen, dass der Mitangeklagte Invest-Gesellschafter Andreas Etter etwas von der Beteiligung von Pierin Vincenz gewusst habe. Gleichwohl wird Etter vom Gericht für Privatbestechung und Gehilfenschaft zur ungetreuen Geschäftsbesorgung verurteilt. – Auch da darf man sehr auf die schriftliche Begründung des Gerichts gespannt sein.

Schliesslich der Strafrabatt aufgrund medialer Vorverurteilungen: Dass ein solcher zu gewähren ist, entspricht der gängigen Rechtspraxis des Bundesgerichts und ist korrekt. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Vincenz als CEO der Raiffeisen sich gerne im medialen Scheinwerferlicht sonnte. Interessant sind allerdings die Umstände: Die Zeitungen, und insbesondere die Titel aus der Tamedia-Gruppe, hatten über Wochen genüsslich amtsgeheime Informationen ausgeplaudert. Eine Strafuntersuchung wegen Amtsgeheimnisverletzungen wurde – obwohl ein Offzialdelikt – allerdings nie eingeleitet. Bezirksrichter Aeppli sagte dazu anlässlich der Urteilseröffnung, er wisse nicht, wer die Informationen geleakt habe. Und schob hinterher: Natürlich seien es weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft gewesen. Mit anderen Worten: Er weiss es zwar nicht, aber dass es weder Gericht noch Staatsanwaltschaft waren, das weiss er dann schon. – Als Zeuge in einem Strafprozess wäre er mit einer solchen Aussage von den Anwälten als vollkommen unglaubwürdig in der Luft zerrissen worden. Und das zurecht.

Alles in allem bleibt ein mulmiges Gefühl bei diesem Prozess, der, wir erinnern uns, zunächst an Terminproblemen krankte, dann daran, dass Richter Aeppli nicht in der Lage war, Räumlichkeiten zu organisieren, welche dem Öffentlichkeitsprinzip der Rechtssprechung Nachachtung verschaffte – es sei daran erinnert, dass teilweise nur gerade eine gute Handvoll Medienschaffende zu dem Prozess zugelassen waren. Und der schliesslich mit einem Urteil endet, das in der Fachwelt weitherum für Kopfschütteln sorgt. Mit Ruhm bekleckert hat sich da das Zürcher Strafverfolgungssystem – einmal mehr – nicht.

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