Wenig überraschend hat das Strafgericht des Bezirks Lausanne heute die sechs Polizisten freigesprochen, die der fahrlässigen Tötung eines 40-jährigen Nigerianers beschuldigt worden waren. Wenig überraschend fiel das Urteil deshalb, weil der anklagende Staatsanwalt in der Person des stellvertrendenden Generalstaatsanwaltes der Waadt, Laurent Maye, in seinem Plädoyer am Montag plötzlich einen Freispruch verlangte.
Schon zuvor hatten Prozessbeobachter etwa im TAGES-ANZEIGER oder auf REPUBLIK.CH geschildert, Maye sitze eher unbeteiligt da und wirke wie eine Wachsfigur.
Das Gericht unter dem Vorsitzenden Pierre Bruttin ist nun dem Antrag des Staatsanwalts gefolgt. Begründet wurde das Urteil damit, dass die rechtsmedizinischen Gutachten keinen Beleg dafür erbracht hatten, dass die Aktionen der angeklagten Polizisten den Tod des 40-jährigen Nigerianers Mike Ben Peter verursacht hatten. Ben Peter habe an verschiedenen Krankheiten gelitten, es hätten verschiedene Faktoren zu seinem Tod geführt.
Prozess letzte Woche
Letzte Woche führte das Bezirksgericht Lausanne in Renens eine Verhandlung gegen sechs Polizeibeamte. Hintergrund: Sie waren 2018 an der Festnahme eines 40-jährigen, übergewichtigen Nigerianers beteiligt, der während der Aktion einen Herzstillstand erlitt und in der Folge verstarb. Zur Debatte stand, ob die Polizisten, die den Mann mit Tritten in die Genitalien und Pfefferspray zu Boden gebracht, ihm Handschellen angelegt und ihn fixiert hatten, für den Tod des Mannes verantwortlich waren. Die Polizisten hatten den Mann offenbar auch noch mit Schlägen traktiert, nachdem er bereits gefesselt war. Der Mann war wegen des Verdachts des Drogenhandels kontrolliert worden, effektiv fand die Polizei Kokain-Kügelchen bei ihm.
Maye war am Montag zum Schluss gekommen, es gebe keine adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Tod des 40-jährigen Schwarzen und den Handlungen der Polizisten.
Schwere Kritik an Verfahren
Schon letzte Woche war heftige Kritik an dem Verfahren und den Umständen des Verfahrens aufgekommen. Der Opferanwalt Simon Ntah sprach vor Gericht von verfassungs- und EMRK-widrigem Verhalten der Behörden. Kritikpunkte sind zum einen, dass eine Waadtländer Staatsanwalt eine solche Untersuchung nicht unbefangen führen könne, da die Nähe zur Polizei durch die tägliche Arbeit das verunmögliche. Aber auch ganz konkrete Unterlassungen der Staatsanwaltschaft wurden kritisiert. So waren die Polizisten beispielsweise nicht, wie es eine saubere Untersuchung verlangen würde, sofort getrennt und unabhängig voneinander befragt worden. Vielmehr hatten die Polizisten stundenlang Zeit, das Tatgeschehen abzusprechen und ihre Aussagen anzugleichen.
Weiter kritisierte der Opferanwalt, die Beschuldigten seien nur zwei Mal einvernommen worden, es habe keine Konfrontationseinvernahmen gegeben und es sei auch nicht aktiv nach Tatzeugen gesucht worden – diejenigen, die dann, zum Teil erst ein Jahr später, einvernommen worden seien, hätten sich selbst melden müssen.
Die Bauchlage alleine führte nicht zum Tod
Auch der Opferanwalt räumte ein, dass wohl die Bauchlage alleine nicht unmittelbar zum Tode des verdächtigen und vorbestraften Mannes geführt hatte. Das hatten auch die gerichtsmedizinischen Gutachten ergeben. Es sei eher davon auszugehen, dass der Herzstillstand auf eine Kombination verschiedener Faktoren zurückzuführen sei, namentlich Stress (auch ausgelöst durch die Tritte und den Pfefferspray-Einsatz) und Übergewicht.
Der Opferanwalt sieht allerdings gleichwohl eine Kausalität als gegeben an zwischen dem Tod des Mannes und den polizeilichen Übergriffen (von denen auch die Staatsanwaltschaft ausgeht).
Kritik geht von links bis rechts
Die mediale Kritik an dem Verfahren ist breit abgestützt und reicht von der linken REPUBLIK.CH über den TAGESANZEIGER bis zur NZZ, in der sich heute auch der Zürcher Strafrechtsprofessor Marcel Thommen kritisch äussert und eine grössere Unabhängigkeit der Untersuchungsbehörden bei Verfahren gegen die Polizei anmahnt. Thommen nennt dabei den Kanton Zürich als Beispiel. Der verfüge zwar mit der Staatsanwaltschaft II über eine spezialisierte Abteilung für Untersuchungen gegen Polizeibeamte. Dabei sei diese Abteilung aber ausgerechnet im neuen Justizzentrum zuhause, wo sie regelmässig in der Kantine auf die Polizisten treffe, gegen die sie dann Untersuchungen führen müsse.
Kritik wurde allerdings nicht erst in den Medien laut. In der Romandie wurden in den letzten Jahren nunmehr bereits vier Schwarze bei Polizeieinsätzen getötet, was schon zu mehreren Demonstrationen geführt hat. Auch im Anschluss an die Urteilsverkündung kam es vor dem Gericht zu einer Aktion von Aktivisten, welche die Polizisten als «Mörder» beschimpften.
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Das Urteil in dem vorliegenden Fall ist das kleinste Problem. Dass vor Gericht nicht rechtsgenügend erstellt werden kann, dass widerrecchtliches Handeln der sechs Polizisten direkt zum Tode des Drogendealers Mike Ben Peter geführt hatte, ist hinzunehmen. Diesen Beweis zu führen, wäre juristisch auch dann schwierig gewesen, wenn die Angeklagten keine Polizisten gewesen wären, sondern beispielsweise die Mitglieder einer rivalisierenden Gang.
Ein Riesenproblem ist hingegen die Schludrigkeit, mit welcher die Waadtländer Justizbehörden in diesem Fall vorgegangen sind. Der demonstrativ zur Schau gestellte Unwille zur Stafverfolgung. Die Schilderungen der Gerichtsreporter aus Renens und Lausanne lassen einem erschauern: Das hier geführte Verfahren erfüllt nicht den Anspruch, den die Öffentlichkeit an die Justiz hat, wenn ein Mensch bei einem Polizeieinsatz ums Leben kommt. Hätte es sich bei den Beschuldigten nicht um Polizisten, sondern um Privatpersonen gehandelt, wäre wohl deutlich schärfer untersucht worden.
Die Person des Getöteten darf bei solchen Fällen keine Rolle spielen. Polizeigewalt und deren Vertuschung dürfen keinerlei Raum haben, die Prinzipien des Rechtsstaates müssen uneingeschränkt gelten, auch wenn Repräsentanten des Staates auf der Anklagebank sitzen und gerade wenn das Opfer ein Drogenhändler war. Der Kanton Waadt ist mehr als gefordert, hier selbstkritisch hinter die Bücher zu gehen.