In Bellinzona steht die nächste Justiz-Posse in der nichtendenwollenden FIFA-Affäre an. Der ehemalige UEFA-Präsident Michel Platini und der ehemalige FIFA-Präsident Sepp Blatter stehen vor dem Bundesstrafgericht. Es wird ihnen Betrug, ungetreue Geschäftsbesorgung und Urkundenfälschung vorgeworfen. Nur: Der Fall wackelt bedenklich.
Von 1998 bis 2002 war Michel Platini als Berater für Sepp Blatter tätig. Für eine Million Franken pro Jahr. Nur: Die FIFA war zu diesem Zeitpunkt klamm und zahlte Platini lediglich CHF 300’000 aus. Als die FIFA später aufgrund von Blatters Wirken zu Geld kam, schickte Platini 2010 dann eine Rechnung über CHF 2 Millionen an die FIFA. Und diese bezahlte 2011 prompt. Einen schriftlichen Beratervertrag gab‘ es nicht. Die beiden Angeklagten sprechen aber übereinstimmend von einem mündlichen Vertrag, den sie abgeschlossen hätten. Und solche sind seit den Römern („Pacta sunt servanda“) und auch nach aktuellem Schweizer Recht zu halten, solange das Gesetz für ein Rechtsgeschäft keine besondere Form vorschreibt. Innerhalb des FIFA-Apparats nahm damals niemand Anstoss an der Zahlung.
Bundesanwaltschaft sieht ein Problem
Anders freilich die Schweizer Bundesanwaltschaft, die sich seit Jahren von einem Skandal in den nächsten schleppt. Sie hatte im Mai 2015 ihren grossen Auftritt, als sie vor den Augen der Medien zu frühmorgendlicher Stunde verschiedene FIFA-Funktionäre aus einem Zürcher Nobelhotel in Gewahrsam nahm. Dies auf Geheiss der amerikanischen Kollegen, die Ermittlungen wegen Korruption führten. Im Zuge dieser Ermittlungen nahm die Bundesanwaltschaft bei der FIFA-Zentrale auf dem Zürichberg eine Hausdurchsuchung vor und nahm massenweise Dokumente mit. Im Zuge der Ermittlungen seien die fleissigen Staatsanwälte des Bundes auf die Millionen-Zahlung an Platini gestossen, sagen diese. Und witterten darin eine Abfindung für Platini, damit dieser 2015 auf eine Kandidatur für das FIFA-Präsidium verzichte und Blatter noch einmal eine Amtszeit anhängen konnte. Oder gemäss anderen Quellen eine Belohnung dafür, dass Platini seinerzeit Blatter bei seiner Wahl zum FIFA-Präsidenten gegen Lennart Johansson unterstützt hatte. Belastbare Belege gibt es dafür allerdings keine. Gleichwohl führte der Vorgang sieben Jahre später zur Anklage vor dem Bundesstrafgericht.
Viele Fragezeichen
Doch es sind nicht nur die fehlenden Belege der Anklage, welche einmal mehr ein schlechtes Licht auf die Schweizer Bundesermittler werfen. Auch so einige andere Punkte wirken befremdend. Blatter wurde am 29. Mai 2019 trotz der Verhaftungen der FIFA-Funktionäre als Präsident wiedergewählt, erklärte aufgrund der Negativschlagzeilen aber schon am 2. Juni, dass er vorzeitig zurücktreten werde. Sein Nachfolger sollte an einem ausserordentlichen Kongress am 26. Februar 2016 gewählt werden. Ende Juli erklärt Platini – nicht ganz unerwartet – seine Kandidatur. Diese fällt allerdings ins Wasser, nachdem die Bundesanwaltschaft am 25. September 2015 wegen der Millionen-Zahlung ein Strafverfahren gegen Blatter eröffnet. Die FIFA-Ethikkommission sperrt schon am 8. Oktober 2015 sowohl Blatter wie auch Platini.
Mit dieser Sperre wird der Weg für den bis anhin wenig bekannten Gianni Infantino an der Spitze der FIFA frei. Das Pikante: Bereits am 8. Juli 2015 fand das erste einer Reihe von „Geheimtreffen“ zwischen der Schweizer Bundesanwaltschaft und dem Infantino-Intimus und Walliser Oberstaatsanwalt Rinaldo Arnold statt. Später war auch Gianni Infantino persönlich an solchen Treffen dabei. An diesen nicht protokollierten Treffen nahm auch der damalige Bundesanwalt Michael Lauber, sein Mediensprecher André Marty (ebenfalls aus dem Wallis) und möglicherweise auch der damalige Ermittler der Bundesanwaltschaft und heutige Bundesstrafrichter Olivier Thormann teil. Dieser bestreitet die Teilnahme zwar, ein Strafverfahren gegen ihn in der Sache ist aber immer noch offen. Der frühere Bundesanwalt Michael Lauber musste aufgrund dieser Geheimtreffen seinen Sessel schliesslich räumen, Thormann musste wegen seiner zu grossen Nähe zur FIFA damals die Ermittlungen abgeben – und wurde zur Belohnung vom Schweizer Parlament als Richter ans Bundesstrafgericht gewählt.
Was aber hatte Infantino-Intimus Arnold also zu diesem Zeitpunkt mit den Schweizer Ermittlern so Wichtiges zu bereden? Arnold hatte in dem Ermittlungskomplex keinerlei Funktion, fand sich aber nach Infantinos Wahl zum FIFA-Präsidenten an der Fussball-WM 2018 in der VIP-Loge wieder. Hatte er allenfalls den Hinweis auf die Überweisung der CHF 2 Millionen an Platini gegeben? Für die Angeklagten Blatter und Platini ist klar, dass sich die Bundesanwaltschaft zu einer Intrige hinreissen liess, in dessen Folge Platini stürzte und damit Infantino der neue starke Mann der FIFA werden konnte. Interessanterweise wurde von der Bundesanwaltschaft gegen Infantino auch nie ein Strafverfahren eingeleitet, obwohl 2016 wegen eines umstrittenen Vertrags der UEFA über die Vergabe von TV-Rechten ermittelt wurde. Unterschrieben hatte den Vertrag: Gianni Infantino.
Der Filz geht weiter
Aber noch nicht genug des Filzes. Die Anklage in dem Fall wird von Thomas Hildbrand vertreten. Dessen Schwester hatte einst einen Cousin Blatters geheiratet. Blatter hatte deshalb 2019 ein Ausstandsbegehren gegen Hildbrand gestellt. Vergeblich.