Kritik an Freispruch von Paul Witzig

Im Januar 2024 musste sich der ehemalige Kantonstierarzt des Thurgaus vor dem Bezirksgericht Frauenfeld verantworten. Er war angeklagt im schweizweit bekannten „Fall Hefenhofen“ notwendige Massnahmen unterlassen zu haben. Mitte März wurde er freigesprochen.  Peter V. Kunz, bekannter Rechtsprofessor, kritisiert das Urteil scharf.

Es beginnt alles in den 90er Jahren, als die Laufbahn des später schweizweit bekannten Landwirts Ulrich K. als Behördenschreck seinen Anfang nimmt. Im Dezember 1994 fährt die Polizei auf seinen Hof, weil der nahegelegene Brüschwilerbach verschmutzt ist. Im Rapport heisst es später, dass über mehrere hundert Meter Kleinlebewesen gestorben seien. Als Ulrich K. davon erfährt, dass deswegen sein Vater angeklagt sei, schubst er einen Polizisten den Bach hinunter. Dieser verzichtet später jedoch auf eine Anzeige.

Ein Staat im Staat

Über zwanzig Jahre lang wird Ulrich K. immer wieder angeklagt und verurteilt wegen Tierquälerei. Ihm wird zudem das Bio-Label aberkannt, mehrere Waffen werden beschlagnahmt und irgendwann darf er auch keine Milch mehr liefern. Das zuständige Veterinäramt des Kantons Thurgau unter der Leitung von Paul Witzig rapportiert immer wieder Vergehen oder Übertretungen des Landwirts. Doch das Amt unterlässt es Ulrich K. ein totales Tierhalteverbot auszusprechen. Als es dies dann 2016 vornimmt, vergisst das Amt den Landwirt anzuhören, sodass es gerichtlich wieder aufgehoben wird. In den Monaten bevor im August 2017 der Hof geräumt und ein „vorsorgliches Tierhalteverbot“ auferlegt wird, werden die Meldungen drastischer. Im Mai 2017 teilt ein externer Sachverständiger den Behörden in Frauenfeld mit: „Wir fanden den Hof mit vielen Tieren und vielen Mängeln, die auf eine dauernde Überforderung von U. K. hinweisen.“ Der Höhepunkt des „Fall Hefenhofen“ ist dann der August 2017, als der Hof vom Veterinäramt geräumt wird. Zuvor hatten Tierschützer:innen sowie der Blick Fotos vom Hof veröffentlicht und damit für Schlagzeilen gesorgt.

Der zweite Freispruch

Ulrich K. wurde im Jahr 2023 in wesentlichen Anklagepunkten freigesprochen, weil die meisten vorgelegten Beweise der Staatsanwaltschaft nicht verwertbar gewesen seien. Der Fall wird jedoch erneut vor Obergericht verhandelt werden. In einem zweiten Verfahren hat die Staatsanwaltschaft vor dem Bezirksgericht Frauenfeld auch gegen den ehemaligen Leiter des Veterinäramts Paul Witzig geklagt. Er habe aus Angst vor dem Bauern Ulrich K. dessen Hof nicht richtig kontrolliert und ein bereits verhängtes Tierhalteverbot nicht durchgesetzt. Laut Anklage habe er seine Amtspflichten verletzt und damit in Kauf genommen, dass Tiere leiden.

Auch er wurde nun im März 2024 freigesprochen. „Die politische Aufarbeitung der Causa Ulrich K. hat gezeigt, dass Fehler passiert sind“, begründete der Richter das Urteil. Einiges hätte besser laufen müssen. „Aber es geht nicht darum, ob Fehler hätten verhindert werden können, sondern, ob sich die beschuldigten Personen strafbar gemacht haben oder nicht“, so der Gerichtsvorsitzende.

Rechtsprofessor kritisiert Urteil

Im St. Galler Tagblatt meldete sich diese Woche der Berner Rechtsprofessor Peter V. Kunz zu Wort. Er habe sich als neutraler Beobachter mit dem ganzen Fall rund um Ulrich K. auseinandergesetzt. Er lobt das konsequente Vorgehen der Staatsanwaltschaft gegen Ulrich K., sowie gegen Paul Witzig, um in einen der grössten Skandale der jüngeren Thurgauer Geschichte Schuldige auszumachen – bisher jedoch ohne Erfolg. Kunz sieht die politische Verantwortung, dass es soweit kommen konnte beim damaligen Regierungsrat. Von 2003 bis 2016 war der Vorsteher des Departements des Innern, dem auch das Veterinäramt unterstand, FDP-Regierungsrat Kaspar Schläpfer. Kunz ist der Meinung, dass in einem anderen Kanton eine Person wie Paul Witzig schon längst hätte zurücktreten müssen. Kunz betont: „Er ist verantwortlich für das offensichtliche und jahrelange Behördenversagen beim Veterinäramt. Ich sage nicht, dass die Angestellten schlechte Leute sind oder sich um den Tierschutz foutieren. Trotzdem haben sie ihre Amtspflichten meiner Ansicht nach krass verletzt, indem sie erlassene Verfügungen nicht vollzogen haben. Wird das nicht sanktioniert, sind wir in einem «Unrechtsstaat Thurgau» angekommen.“ Er fasst das Nichthandeln der Behörden als Pflichtwidrigkeit auf und hält den Freispruch Witzigs, auch juristisch, für erschreckend.

Peter V. Kunz

Peter Viktor Kunz ist am 1. Februar 1965 im Kanton Solothurn geboren, hat Rechtswissenschaft studiert und ist seit
2005 ordentlicher Professor für Wirtschaftsrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Bern. Der «Tages-Anzeiger» bezeichnet ihn als bekanntesten Wirtschaftsrechtler der Schweiz. Zuletzt hat sich Kunz auch auf Tierrecht spezialisiert. Im Jahr 2023 ist sein 800-seitiges Werk «Tierrecht der Schweiz» erschienen.

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