ine Untersuchung des renommierten Staatsrechtlers Markus Schefer (Bild mitte) ist zerschmetternd. In der Basler Kantonspolizei, herrschen eine Kultur der Angst, Misstrauen in die Chefs, mangelnde Kommunikation und eine Kultur der Angst. Sexismus und Rassismus sind Teil des Alltags.
Zum allerersten Mal ist in der Schweiz eine grossangelegte Untersuchung und Befragung eines Polizeikorps durchgeführt worden. Die „Abklärungen über die Personalsituation bei der Kantonspolizei Basel-Stadt“ hatte der Kommandant Martin Roth (Bild rechts) in Auftrag gegeben. Den Bericht erstellt hat Markus Schefer, Staatsrechtler der Universität Basel, in Zusammenarbeit mit Claudia Puglisi (Bild links), Leitende Polizeidirektorin aus Niedersachsen. Sie beide haben sich mit der Frage beschäftigt, weshalb die Kapo Basel-Stadt so viele Personalabgänge zu verzeichnen hat. Sie haben dafür 372 Angehörige der Polizeikorps, darunter einige Ehemalige, befragt. Der Bericht offenbart massive Missstände auf allen Ebenen, sodass Schefer an der Pressekonferenz zum Schluss kommt, „ein Kulturwechsel erscheint unverzichtbar“.
Keine funktionierende Leitung
Die Polizeileitung der Baselstädtischen Polizei – gemeint sind vor allem die Leiter:innen der sechs verschiedenen Hauptabteilungen, namentlich Urs Wicki, Peter Kötter, Bernhard Jäggi, Simona Dematté, Matthias Stähli und Alexandra Schilling, sowie der Kommandant Martin Roth – werden als Gesamtleitung stark kritisiert. Es handle sich bei der Leitung gar nicht um ein funktionierendes Team. Vielmehr sei ein „Gärtchendenken“ vorhanden, in dem sich die einzelnen Mitglieder abschotten oder aber den anderen reinreden. Markus Schefer stellt fest, dass es innerhalb der Polizei gar kein Reglement gibt, das die Aufgabenbereiche der jeweiligen Hauptabteilungsleiter:innen definiert. Grundlegende und übergeordnete Gedanken würden sie sich nicht machten, da sie sich zu oft mit Entscheiden beschäftigen, die nicht ihrer Hierarchiestufe entsprechen.
Der Führungsstil der Leitung wird von den Mitarbeitenden als autoritär, abgehoben und unkooperativ beschrieben, in der Führung vor allem darauf basiere „den Tarif durchzugeben“. Die Schilderungen sind schonungslos. Der Bericht zeichnet vor allem das Bild einer Leitung, das am Wohlergehen der Mitarbeitenden kein Interesse zeigt, von persönlichen Machtinteressen getrieben ist und diese Macht missbraucht.
Dazu sei die Leitung wenig glaubwürdig. Dies resultiert daraus, dass die meisten Hauptabteilungsleiter:innen aus dem Quereinstig stammen und eine Auffassung herrscht, diese seien vor allem durch persönliche Kontakte an die Stellen gelangt. Darüber hinaus halte sich die Leitung nicht an Vorgaben – etwa beim Thema Homeoffice oder bei Urlaubsregeln –, die sie bei den Mitarbeitenden durchsetzt. Für grossen Unmut sorgte auch, dass die Polizeileitung für eine Erhöhung der eigenen Lohnklassen sorgte, während der Lohn der Angestellten oft als zu tief empfunden wird.
Dem Kommandanten Martin Roth wird im Bericht angerechnet, dass er sich um Veränderungen bemüht. Auch wird er als empathisch, zugänglich und intelligent beschrieben – hingegen sei er als Führungsperson schwach, verhalte sich oft zu kameradschaftlich. Im Bericht steht dazu, dass er „vom schmalen Grat zwischen Nähe und Distanz auf der Seite der Nähe abgekommen zu sein“. Weiter wird hervorgehoben, dass Roth die Arbeit der Polizeileitung kaum prägen könne. Auch seien seine Entscheidungen oft kurzatmig und unverbindlich. Schefer fasst es auf der Pressekonferenz zusammen: „Es scheint, dass ihm ein grosser Teil der Belegschaft entglitten ist.“
Eine Kultur der Angst und der Vetterliwirtschaft
Im Bericht wird nicht nur die Leitung der Kapo kritisiert. Schefer zeigt auf, dass die Fehler auf allen Ebenen des Systems bestehen. Er arbeitet dabei heraus, dass es verschiedene „Lehmschichten“ in der Kapo gibt. Die erste verläuft zwischen den Ressortleitungen und den Abteilungsleitungen, wo von oben nach unten keine Leitplanken gesetzt und von unten nach oben keine fachlichen Bedarfe gefordert werden. Die zweite Lehmschicht besteht zwischen den Abteilungen und den Hauptabteilungsleiter:innen, die dritte zwischen den Hauptabteilungen und dem Kommandanten.
Der Führungsstil wird auch auf der Abteilungsebene und der Ressortebene vielfach als autoritär beschrieben, „der weniger auf Erklärung beruht, sondern vielmehr auf den Hinweis auf die übergeordnete Stellung des Entscheidungsträgers.“ Die Ressortleitungen sind prägend für den Alltag der Mitarbeitenden, gerade in den Bereichen Arbeitsklima, Informationsfluss, Weiterbildungszugang und Funktionszuteilung. Doch es fehlt an einer Gesprächs- und Kritikkultur, so der Bericht. Hierarchische Durchsetzung steht über Partizipation, sodass Wandel kaum möglich erscheint. Das Denken der Stahlhelmgeneration sei in diesem Korps immer noch sehr lebendig und demnach wird intern auch selektiert. Wer Kritik anbringt und sich einbringt, sieht sich schnell in der Karriereplanung blockiert, „wonach innovative, engagierte und selbständig denkende Polizistinnen und Polizisten das Korps überproportional verlassen.“ Im basel-städtischen Polizeikorps herrscht eine „Angstkultur“. Das gehe so weit, dass die Mitarbeiter:innen auch „willkürliche und offensichtlich falsche Entscheidungen“ akzeptieren, „um beim Vorgesetzten nicht in Ungnade zu fallen“. Eine kritische und konstruktive Gesprächskultur ist schlicht nicht vorhanden. Auch in den Einsatzleitungen, wo es an Fachkompetenz fehle, sei Kritik nicht angebracht – auch wenn alle wüssten, dass ein Einsatz schiefgelaufen sei.
Der Bericht hält zudem fest, dass mittlerweile sehr viele Offiziere und Kaderleute eingestellt seien, sich diese Zahl vergrössert habe in den letzten dreissig Jahren. Die Zahl an der Basis ist jedoch nicht angestiegen. Es habe sich eine grosse Zahl „kleiner Könige“ herausgebildet. Zumindest, so hält es der Bericht auch fest, konnten einzelne Abteilungen oder Ressorts die „Angstkultur“ mittlerweile hinter sich lassen. Ein Wandel ist also möglich.
Der Umgang mit der Vielfalt
Schwierig gestaltet sich auch der Umgang mit Frauen im Korps. Die Kapo sei eine stark von Männern geprägte Organisation. So stellen Polizistinnen immer wieder eine ablehnende Haltung ihnen gegenüber fest. Schefer schreibt: Zahlreiche Polizistinnen würden eine „nicht unerhebliche innere Anpassungsleistung“ erbringen, damit sie in diesem kruden Klima bestehen können.
Einzelne Polizisten, davon auch Vorgesetzte, würden mit „derber Terminologie für weibliche Geschlechtsteile“ über Frauen sprechen. Es gebe offenbar auch eine Praxis einzelner Polizisten für weibliche Neuzugänge: Sie bieten ihnen Unterstützung an und laden sie „mehr oder weniger verschleiert zu näheren persönlichen oder intimen Kontakten“ ein. Es wird auch von einem Begrüssungsritual zu Arbeitsbeginn berichtet, in das „Küsse jenseits des Üblichen“ involviert gewesen seien. Ob diese Praxis heute noch fortgeführt werde, sei allerdings unklar.
Die Angstkultur im Betrieb hält viele davon ab, sich an die Ombudsstelle oder die Vorgesetzten zu wenden, wenn sie übergriffiges Verhalten erleben. Auch sind diverse Vorkommnisse nicht personalrechtlich oder strafrechtlich aufgearbeitet worden. Er hält dafür deutlich fest: „Es ist in seiner systemischen Dimension anzugehen und darf nicht auf Fehlverhalten einzelner Misogyne verkürzt werden.“ Am Rande ist in den Gesprächen auch der Umgang mit Homosexualität thematisiert worden. Dabei seien sich die Befragten einig gewesen, dass diese bei Frauen toleriert werde, bei Männern aber nicht.
In verschiedenen Gesprächen wurde auch Rassismus im Polizeialltag thematisiert. Dieser komme vor allem in Einheiten vor, die sich über längere Zeit hinweg mit problematischem Verhalten von einer Gruppe Menschen mit homogener Ethnie beschäftigen und lange am gleichen Ort stationiert sind. Obwohl die Mediensprecher:innen der Schweizer Polizeikorps ständig betonen, es gäbe kein Racial Profiling in ihren Behörden, findet sich im ersten umfassenden Bericht über eine Kapo ein Kratzen an dieser Behauptung. Der Bericht hält nämlich fest, es seien keine strukturellen Mechanismen erkennbar, um die Bildung von negativen Stereotypen gegenüber diesen Bevölkerungsgruppen zu verhindern. «Vielmehr scheinen auch problematische Verhaltensmuster teilweise toleriert zu werden.» Heruntergebrochen bedeutet dies: wenn man nicht hinschaut, ist es auch nicht da – so offensichtlich der Zugang der Basler Kapo zum Thema Racial Profiling. Die diskriminierenden Formen gegenüber Frauen oder anderen Ethnien werden gemäss Schefer gern als „Einzelfälle“ abgetan, die strukturellen Probleme sind „moralisches Versagen der Einzelnen“. Vielmehr, so empfiehlt er, benötigt es gezielte Massnahmen, die systemisch eingebettet und über einen längeren Zeitraum ergriffen werden.
Wenig Zeit, wenig Wertschätzung
Die Mitarbeiter:innen der Kantonspolizei können ihre Freizeit an Wochenenden kaum planen. Die Aufgebote für Zusatzdienste am Wochenende, wegen Konferenzen, Sportveranstaltungen und Demonstrationen seien eine erhebliche Belastung. Die Polizeileitung hat eigentlich entschieden, dass mindestens zehn Wochenenden pro Jahr tatsächlich frei sein müssen. Wegen des massiven Unterbestands könne man dies aber nicht einhalten. Die Belastung aufgrund dieser Einsätze sei einer der am häufigsten erwähnten Begründungen für die zunehmenden Kündigungen.
Erwähnenswert ist in diesem Kontext, dass eine Einigkeit unter den Befragten besteht, dass die Anzahl aufgebotener Polizisten und Polizistinnen bei solchen Anlässen je nach Einsatzleiter – entsprechend der Risikobereitschaft und der Fachkompetenz des Leiters – stark schwanke. Die Mitarbeiter erwarten von der Leitung, dass sie hier „für Verbesserung sorgt und unnötig grosse Aufgebote verhindert.“
Der Mitarbeiterschaft fehlt es nicht nur an Zeit, sondern auch an Wertschätzung, bemängeln sie. Ein Hauptabteilungsleiter solle gesagt haben, die Mitarbeiter:innen können nicht erwarten, dass er ihnen Wertschätzung vermittle. Die fehlende Wertschätzung gilt beim Korps als zentraler Grund für die Unzufriedenheit, so Schefer. Von Seiten der Leitung zeigt sich das im problematischen Führungsverhalten nach dem Motto: „Es ist so, weil ich der Chef bin.“
Zudem seien Material und Lohnniveau zu schlecht, um als wertschätzend wahrgenommen zu werden. Auch wurden in den letzten Jahren Benefits wie Parkplätze gestrichen. Mangelnde Wertschätzung erfahren Polizistinnen und Polizisten auch von Vertretern der Politik und der Bevölkerung im Allgemeinen, so Schefer im Bericht.
Was nun?
Ein Kulturwandel bei der Kantonspolizei „erscheint unverzichtbar“, so Schefer. Claudia Puglisi betont, dass „vergleichbare Probleme wohl auch bei anderen Polizeien“ vorhanden seien. Die Ansprüche der Gesellschaft wie auch der Belegschaft seien nicht mehr wie in den 1990ern. „Polizeien sind per se konservativ. Doch die Welt da draussen verändert sich“, so die niedersächsische Polizeibeamtin. Puglisi und Schefer haben zu den Kritikpunkten insgesamt dreissig Empfehlungen verfasst.
So sollten etwa die Aufgaben der Polizeileitung auf ein erforderliches Mass redimensioniert und schwerwiegende Mängel in der Eignung von Leitungsmitgliedern erkannt werden. Es brauche klare Regeln für die Polizeileitung in den Punkten Kompetenz und Arbeitsweise. Das Verhalten der Führungskräfte sollte sich „an den höchsten Massstäben persönlicher und professioneller Integrität“ orientieren, so Schefer. Weiter reichen die Empfehlungen von attraktiveren Zeitmodellen, über unabhängige Stellen für Betroffene von Sexismus und Rassismus bis zu mehr Lohn, gerade für die Sicherheitsassistenten. Es liegt nun an Justiz- und Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann (LDP) Verantwortung für die Zustände bei der Basler Polizei zu übernehmen und die richtigen Schritte und Konsequenzen einzuleiten. Der Bericht zeigt, dass an allen Ecken und Enden Veränderungen dringend notwendig sind, sodass ein Kulturwandel gelingen kann. Dass der erste umfassende Bericht über eine Kapo in der Schweiz so verheerend ausfällt, ist alarmierend und lässt nur einen Schluss zu: Die Polizei benötigt nicht weniger, sondern mehr Kontrolle und mehr externe Untersuchungen, um die Missstände sichtbar zu machen – nicht nur in Basel.
