Polizeiberichte im Fall Blatter geleakt

Der SONNTAGSBLICK berichtet in seiner heutigen Ausgabe aus dem Bericht der Bundespolizei im laufenden Strafverfahren gegen den ehemaligen FIFA-Präsidenten Sepp Blatter. Dieses Verfahren hat die fragwürdige Vergabe von Fernsehrechten an den karibischen Fussballverband zum Thema. Der Polizeibericht kommt zum Schluss, es lägen viele Anhaltspunkte für eine ungetreute Geschäftsbesorgung vor. Die Bundesanwalt hat den Parteien allerdings bereits mitgeteilt, sie gedenke das Verfahren einzustellen.

491 Seiten stark sei der Bericht der Bundespolizei, schreibt der SONNTAGSBLICK, die Vorwürfe „gravierend“ und „der Verdacht: ungetreue Geschäftsbesorgung“. „Die Kriminalbeamten beschreiben darin, gestützt auf unzählie E-mails und andere Dokumente, wie eine toxische Männerfreundschaft den Weltfussball bestimmte“, so SONNTAGSBLICK-Journalist Reza Rafi.

Allein: eine toxische Männerfreundschaft zu unterhalten, was darunter auch immer zu verstehen sein mag, ist kein Straftatbestand. Der soll laut SONNTAGSBLICK darin bestanden haben, dass die FIFA unter Blatter die Fussballrechte für die Weltmeisterschaften 2010 und 2014 für zusammen 600’000 Euro [sic: es waren USD] an den Verband von Jack Warner „verscherbelt“ habe. Warner war damals Präsident des Concacaf (Pendant zur Uefa für die Region Karibik Nord- und Zentralamerika) und des CFU (Karibische Fussballunion, ein Teilverband des Concacaf).

Was der SONNTAGSBLICK meint: Die FIFA hatte die Rechte, die WM-Spiele am TV zu zeigen, für alle Länder der karibischen Fussballunion an Warner verkauft. Den entsprechenden Vertrag unterschrieb Blatter am 12. September 2005 mit alleiniger Unterschrift. In der CFU sind 31 Nationen Mitglied, darunter allerdings viele kleine wie Montserrat, Saint Martin, etc. Die vollständige Liste findet sich hier. Total leben in dieser Region rund 40 Millionen Menschen. Die Fussballrechte seien damit gemäss den Ermittlern des Bundes weit unter Wert verkauft worden, schreibt der SONNTAGSBLICK.

 

Sachverhalt ist nicht neu

Laut früheren Recherchen des SCHWEIZER FERNSEHENS aus dem Jahr 2015 soll Jack Warner die Rechte dann zunächst von seinem Verband an seine eigene Firma (Sitz: Cayman Islands) verkauft haben, und diese von Warner kontrollierte Firma soll dann 15 bis 20 Millionen USD für die Rechte gelöst haben.

Blatter rechtfertigt sich in der Zeitung damit, der Preis für die Rechte sei von den damaligen FIFA-Spezialisten vorgegeben worden, zudem sei vereinbart worden, dass bei einem Gewinn durch einen Weiterverkauf 50% dieses Gewinns an die FIFA zurückfliessen sollten. In diesem Zusammenhang ist in verschiedenen Medien die Rede von einer Forderung über 3.8 Mio. CHF, welche die FIFA von der CFU hätte zurückfordern sollen, auf welche die FIFA schliesslich aber verzichtet und sie buchhalterisch abgeschrieben habe, „wovon Warner profitiert habe“. So schrieb es zum Beispiel die NZZ bereits am Freitag. Allerdings berief sie sich ausschliesslich auf andere Medienberichte und nicht die Polizeiakten selbst.

 

Sauhäfeli, Saudeckeli ein weiteres Mal

Auch das vorliegende Strafverfahren wird – einmal mehr – durch verschiedene Sachverhalte der mutmasslichen Befangenheit überschattet. Das beginnt damit, dass der fallführende Bundesanwalt Thomas Hildebrand gemäss NZZ vom 2. Mai 2020 nicht nur wie der Beschuldigte Blatter aus dem Ort Visp im Kanton Wallis stammt. Er soll auch noch mit Blatter verwandt sein, wie die Zeitung berichtet. Blatter selbst hatte deswegen schon ein Ausstandsgesuch gestellt, das vom Gericht allerdings abgewiesen worden sei. Brisant auch: Blatter wird vom selben Strafverteidiger, dem Zürcher Lorenz Erni, vertreten, der auch Bundesanwalt Michael Lauber in seinen diversen Verfahren vertritt.

Hinter vorgehaltener Hand fragten sich viele Zürcher Anwälte schon länger, warum Erni, der sonst grossen Respekt geniesst, sich darauf überhaupt einliess. Immer mehr Stimmen wundern sich unterdessen, warum die Zürcher Anwaltskammer sich der Sache nicht längst angenommen hat. Laut einem Artikel des Online-Plattform Infosperber soll sie das indes bereits getan haben, aber auflaufen, weil ihr notwendige Verfahrensdokumente nicht ausgehändigt würden. Zurückgehalten würden diese von: der Bundesanwaltschaft.

Völlig an die Wand gefahren erscheint das Verfahren schliesslich unter dem Eindruck der jüngsten Berichterstattung des TAGES-ANZEIGERS, der letzten Montag mit Faksimiles von Anwaltsrechnungen aufzeigen konnte, dass FIFA-Anwälte offensichtlich regelmässig in telefonischem Kontakt mit Bundesanwälten standen, ohne dass das je gesetzeskonform protokolliert und zu den Akten genommen wurde.

 

Wer leakte das Dokument?

Interessant an der aktuellen Berichterstattung erscheint auch, woher der oder die Berichte der Bundespolizei den Medien zugespielt wurden. Handelt es sich um eine Indiskretion der Bundespolizei, weil die Beamten dort verärgert sind? Grund hätten sie, nachdem ihre jahrelange Arbeit und die vielen Hundert Seiten Ermittlungsarbeiten von der Bundesanwaltschaft mit einer Einstellungsverfügung quittiert wurden.

Und das, nachdem die Tonalität der Polizeiarbeit – ob jetzt berechtigt oder nicht – laut den verfügbaren Medienberichten klar in die Richtung zeigt, dass die Tatbestandsmerkmale soweit erfüllt sind, dass eine Anklage wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung – vorsichtig formuliert – im Bereich des Möglichen gelegen hätte. Eher fraglich ist allerdings, ob frustrierte Bundespolizisten die Indiskretion gleich bei mehreren und insbesondere internationalen Nachrichtenagenturen und Zeitungen platzieren würden. Ein Bundespolizist riskierte schliesslich eine Entlassung und eine Strafverfolgung wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses.

Ganz definitiv ein Interesse an der Indiskretion hat aber ein anderer Spieler: Die FIFA. Als Privatklägerin verfügt sie über Akteneinsicht und ist ganz legal in den Besitz der Polizeiberichte gekommen, und laut eigener Aussage hat sich auf die Ankündigung hin, die Bundesanwaltschaft gedenke das Verfahren einzustellen, auch bereits eine Eingabe deponiert, in der sie die Weiterverfolgung des Verfahrens verlangt. Aus Sicht der FIFA und deren Präsidenten Gianni Infantino ist der Prozess gegen Blatter nicht zuletzt eine ideale Gelegenheit, den Fokus der Öffentlichkeit von den eigenen Verfehlungen wegzulenken.

Inside-Justiz meint

Auch das erste der beiden Verfahren gegen Sepp Blatter leidet wie alle Verfahren der Bundesanwaltschaft im Fussball-Komplex an einer unsachgemässen Untersuchungsführung. Wer als Behörde antritt, um gegen Misswirtschaft, Vetternwirtschaft und Korruption vorzugehen, kann das nur tun, wenn sie sich selbst korrekt verhält. Die Bundesanwaltschaft tut das Gegenteil davon. Es beginnt damit, dass das Verfahren von einem Verwandten des Beschuldigten geführt wird. Sogar wenn ein Gericht so verwegen ist, diesen Sachverhalt in völliger Verkennung der internationalen Brisanz durchzuwinken: In der Verantwortung steht zunächst die Bundesanwaltschaft, welche die Sensibilität vermissen liess, ein solches Verfahrem einem Bundesanwalt zuzuweisen, der nicht schon von allem Anbeginn an den Eindruck der Vetternwirtschaft erweckt. Die übrigen Elemente sind schon längst bekannt: die Geheimtreffen der BA mit Infantino, die geheimen Telefonate zwischen FIFA-Anwälten und Bundesanwaltschaft, die Interessenskollison von Lorenz Erni: Es ist effektiv kaum ein Fettnapf auszumachen, in den die Bundesanwaltschaft nicht mit angezogenen Knien und grossem Anlauf hineingesprungen wäre. Da wäre jetzt ein grosses Reinemachen angesagt.
Patrick Senn