In der Ausserrhoder Steuerverwaltung werden Wildwest-Methoden angewandt, wie inside-justiz.ch am letzten Freitag enthüllte. Die Verantwortlichen, allen voran FDP-Regierungsrat und Finanzdirektor Paul Signer (Bild), drücken sich vor einer Stellungnahme.
Der Fall ist brisant: Am 12. Dezember 2019 eröffnet die Rechtsdienstleiterin der Ausserrhoder Steuerverwaltung, Ladina Nick, ein Steuerstrafverfahren gegen Treuhänder Markus Waser*. Er soll 2009 und 2010 einem Mandanten geholfen haben, Steuern zu hinterziehen. Nur: Das Verfahren droht zu verjähren: Die Verjährungsfrist für das Jahr 2009 läuft am 31. Dezember 2019 ab. Die Steuerverwaltung hatte es über zehn Jahre nicht geschafft, den Fall aufzuarbeiten.
Per Mond-Express soll der Beschuldigte husch-husch auf den 20. Dezember vorgeladen werden. Alternativ könne er bis zu diesem Datum eine schriftliche Stellungnahme einreichen. Nur: Waser ist nicht zuhause, als der Mond-Express ausgeliefert werden soll und hätte jetzt bis am Abend des 20. Dezember Zeit, die Korrespondenz auf der Post abzuholen. Nick ahnt, dass sie damit in die Verjährung laufen würde und droht Waser kurzerhand mit einem Polizeieinsatz, falls er nicht bereit wäre, die Post der Ausserrhoder Steuerverwaltung am selben Tag noch von einem Boten entgegenzunehmen.
Aber nicht genug: Waser geht zwar nicht zur Einvernahme, reicht aber mit Poststempel vom 20. Dezember 2019 eine 37-seitige schriftliche Stellungnahme ein. Nick wartet die Stellungnahme aber gar nicht ab, sondern übergibt schon am Mittag des 20. Dezember 2019 eine Strafverfügung der Post in Herisau. Waser wird darin zu einer Busse von CHF 30’000 verurteilt.
Noch besser: Keine Post über die Weihnachtsferien
Dabei hätte die Ausserrhoder Steuerverwaltung das Verfahren durchaus retten können: Die Stellungnahme von Waser, am Freitagabend aufgegeben, hätte von der Steuerverwaltung am Montagmorgen des 23. Dezember empfangen werden können. Es wären bis Ende Jahr fünf Arbeitstage verblieben, um die Stellungnahme zu studieren, auf dieser Basis zu entscheiden und eine allfällige Strafverfügung korrekt bis zum 31. Dezember 2019 der Post zu übergeben. Nur: Bei der Steuerverwaltung arbeitete zwischen dem 23. Dezember und dem 30. Dezember anscheinend niemand. Zumindest wurde die eingehende Post während dieser Zeit auf der Poststelle zurückbehalten und erst am 30. Dezember 2019 überhaupt erst abgeholt.
Klares Verdikt des Obergerichts
Für das Obergericht ist klar, dass es so nicht geht: Mit deutlichen Worten an die Adresse von Nick hält es mit Urteil vom 10. Dezember 2020 fest, dass dem Beschuldigten das rechtliche Gehör verweigert worden sei und damit seine Rechte aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Bundes- und der Ausserrhoder Verfassung verletzt worden seien. Die Strafverfügung wird deswegen aufgehoben, Nick wird vom Gericht auch deutlich daran erinnert, dass sie jetzt Gas geben müsse, wenn sie denn wenigstens für das Steuerjahr 2010 noch eine Strafe verfügen wolle. Denn mit dem 31. Dezember 2020 verjährt auch das Steuerjahr 2010.
Nick bleibt allerdings unbekümmert und eröffnet erst am 18. Februar 2021 ein neues Strafverfahren wegen Waser – für die Steuerjahre 2009 und 2010, die unterdessen beide in die Verjährung gelaufen sind. Das Verfahren ist bis heute offen, obwohl es offenkundig im völligen Widerspruch steht zum Entscheid des Ausserrhoder Obergerichts, dessen Entscheid von der Steuerverwaltung damals nicht weitergezogen worden war und damit längst in Rechtskraft erwachsen ist.
Kritische Nachfragen bleiben alle unbeantwortet
Das Vorgehen von Rechtsdienstleiterin Nick wirft kritische Fragen auf, wie es der Kanton Ausserrhoden mit der Verfassung hält. Warum sich die Steuerverwaltung über klare Gerichtsurteile des Ausserrhoder Kantonsgerichts hinwegsetzt. Und warum die Steuerverwaltung mutmasslich in der Woche von Weihnachten über die gesetzlichen Feiertage hinaus frei feiert und dadurch Verfahren verjähren. Hat die Verwaltung aus dem Fehlverhalten etwas gelernt? – Rechtsdienstleiterin Nick offenbar nicht. Sie hat auf entsprechende Nachfragen von inside-justiz.ch nicht reagiert, dafür aber ihr Linked-In-Profil nach der ersten Berichterstattung vom letzten Freitag panikartig gelöscht. Ihr Vorgesetzter, Steueramts-Chef Jacques Oberli, lässt eine Reihe von Fragen von inside-justiz.ch unbeantwortet.
Signer: Teil des Problems statt der Lösung
Und auch Finanzdirektor Paul Signer beantwortet keine Fragen zum verfassungswidrigen Vorgehen seiner Behörde. Dabei wäre es gerade an ihm als politischen Verantwortlichen, für Remedur zu sorgen. Signer lässt über seinen Kommunikationsverantwortlichen Georg Amstutz lediglich ausrichten: «Wir nehmen keine Stellung zu laufenden Verfahren oder personenbezogenen Fragen und kommentieren auch keine Gerichtsurteile.»
Dabei wollte inside-justiz.ch auch gar keinen Kommentar zu einem Gerichtsurteil, aber beispielsweise wissen, warum die Ausserrhoder Verwaltung ein rechtskräftiges Urteil des Ausserrhoder Kantonsgerichts nicht umsetzt – was unter rechtsstaatlichen Aspekten problematisch erscheint. Eine weitere Frage drehte sich darum, warum bei der Ausserrhoder Steuerverwaltung über Weihnachten niemand die Post entgegennimmt. Mit der Folge, dass Strafverfahren verjähren und der Ausserrhoder Bevölkerung damit ein erheblicher Schaden entsteht. Nebst der Busse, die nicht eingezogen werden konnte, musste Ausserrhoden nämlich Treuhänder Waser auch noch für seinen Aufwand vor Gericht entschädigen. Auch dazu schweigt sich Signer aus.
Die Kommunikationsstrategie der Ausserrhoder Finanzdirektion weist damit Parallelen zu jener der St. Galler Raiffeisenzentrale auf, als auf dem Finanzblog insideparadeplatz.ch die ersten Artikel über die dubiosen Geschäfte von ex-CEO Pierin Vincenz erschienen – unterdessen sind alle, die damals Verantwortung trugen, ihre Ämter los.
*Name aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes geändert
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Ich bin über stgallen24 auf diesen Artikel gestossen und freue mich gerade sehr, zu sehen, dass es in der Ostschweiz wieder eine Plattform für kritischen Journalismus gibt. Das mutlose Tagblatt, das nur noch Regierungsverlautbarungen verbreitet, habe ich abbestellt. Die ostschweiz.ch nimmt seit der Covid-Berichterstattung von Chefredaktor Millius niemand mehr ernst, und die St. Galler Nachrichten glänzen auch nicht eben mit Recherchen
Danke für das Lob.
Roger Huber
Gut recherchiert und leider kein Einzelfall. Solche Vorgänge gibt es in zahlreichen Kant. Steuerämtern.
Das Vorgehen der Steuerämter gegen Steuerpflichtige lässt an der Rechtsstaatlichkeit der Verfahrensführung zweifeln.
Bleibt an der Sache dran.