Seltsame Vorgänge in der Ostschweizer Justiz

Kapitel 1: Markus Schultz

Was ist los im Kanton St. Gallen? Ein Bürger aus St. Gallen verklagt Mitglieder des Justizapparats im Kanton St. Gallen wegen Begünstigung, Amtsmissbrauchs und ungetreuer Amtsführung, beantragt eine unabhängige Untersuchung durch eine ausserkantonale Staatsanwaltschaft und stellt gleichzeitig ein Ausstandsbegehren gegen Mitglieder der Anklagekammer St. Gallen. Im Vordergrund steht der ehemalige Vizepräsident der Anklagekammer St. Gallen, Markus Schultz von der Anwaltskanzlei Advokatur 107. Ein gut vernetzter Mann und, wichtig für diese Geschichte, Strafverteidiger von Remo Bienz, «Ostschweizer Immobilien-Milliardär und zweitgrösster Aktionär des FC St. Gallen»

Die NZZ hat eben kürzlich auf Probleme in St. Gallen hingewiesen. «An der HSG werden Professoren freigestellt. Die Olma ist in Gefahr. Der Stiftsbezirk könnte seine Mumie verlieren. Und sogar die Bratwurst verlässt die Stadt.» Doch eine Strafanzeige, die der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich vorliegt, könnte für Irritationen sorgen und hat das Potenzial als Serie bei Netflix zu landen. Dies ist der Start einer Artikel-Serie, in den weiteren Beiträgen werden auch weitere involvierte Personen zu Wort kommen und Experten dazu befragt.

Begünstigung, Amtsmissbrauch und ungetreue Amtsführung

Es ist eine umfassende Auflistung. Nicht nur die Championsleague der St. Galler Staatsanwaltschaft stehen auf der Strafanzeige von Josip Sunic, sondern auch Kantonsrichterinnen und -Richter. Sie alle werden «der Begünstigung (Art. 305 StGB), des Amtsmissbrauchs (Art. 312 StGB), der ungetreuen Amtsführung (Art. 314 StGB) und allfälliger weiterer in Frage kommender Delikte» beschuldigt.

Harte Vorwürfe

Wer die Strafanzeige, durch viele Seiten und Verfahren navigiert, bekommt den Eindruck, dass in den zugrunde liegenden Fällen, auf denen diese Justizschlachten basieren, vieles nicht so verläuft, wie es ein gesetzestreuer und rechtschaffener Bürger von seiner Justiz erwartet. Der Fall ist komplex. In den zahlreichen Akten, die der Anzeige zugrunde liegen, finden sich Strafanzeigen wegen Wucher, Nötigung, Veruntreuung und Betrug. Es geht auch um Zivil- und Steuerverfahren, provisorische Pfändungen in Millionenhöhe, welchen Wert Start-up-Unternehmen hatten. Dazu wurden gemäss Akten Gelder verspekuliert und Kreditgeber fühlten sich betrogen.

In den Unterlagen finden sich aber insbesondere dezidierte Vorwürfe gegen die St. Galler Justiz. So äussern sich Zürcher Anwälte von namhaften Kanzleien wie Fingerhuth Anwälte (Strafanzeige gegen Remo Bienz wegen Veruntreuung) oder Kanzlei Pflaum Law in einer Beschwerde kritisch (im Verfahren gegen Markus Schultz betreffend versuchter Nötigung von Zeugen). Die Staatsanwaltschaft St. Gallen habe in beiden Fällen «in krasser Verletzung des Verfolgungszwanges sogenannte Nichtanhandnahmeverfügungen erlassen». Die Anklagekammer St. Gallen schützte diese Entscheidungen und wies die Beschwerden der beiden Anwälte rasch ab. Eine Klärung durch eine Strafuntersuchung blieb deshalb aus.

Begünstigt und der Strafverfolgung entzogen

In seiner Anzeige wird Josip Sunic deutlicher: «Die beschuldigten St. Galler Staatsanwälte und Richter erlassen absichtlich falsche Verfügungen und begründen diese wider besseres Wissen im Widerspruch zu bundesgerichtlicher Rechtsprechung und Gesetzgebung.»

Doch warum sollte das so sein? Laut der Anzeige profitieren der Immobilienunternehmer und Investor Remo Bienz und dessen Anwalt Markus Schultz von begünstigenden Entscheiden, die sie vor Strafverfolgung schützen. Darüber hinaus verhindern die Verfügungen der Staatsanwaltschaft notwendige Strafuntersuchungen. Ist St. Gallen das «Palermo der Schweiz»?

Josip Sunic gegen den Anwalt mit zwei Hüten

Bevor wir zum Kern der Geschichte kommen, werfen wir einen Blick auf den Ersteller der Anzeige aus der Ostschweiz. Der Start-up-Unternehmer Josip Sunic war Gründer eines St. Galler Computerunternehmens und kam dort mit Remo Bienz in Kontakt, der neben seiner Immobiliengesellschaft Fortimo auch die Fortyone AG besitzt. Ein Unternehmen, das Beteiligungen an nichtkotierten Unternehmen hält. Und hier taucht die dritte Hauptperson dieser Geschichte auf. Partner bei Fortyone AG ist Rechtsanwalt Markus Schultz. Der jahrelange Kampf dieser drei Hauptpersonen um Millionensummen und angeblich gewährte Kredite wird in weiteren Artikeln auf inside-justiz.ch später beleuchtet.

Der Kern dieses ersten Kapitels ist Rechtsanwalt Markus Schultz. Bei ihm handelt es sich um den Inhaber des (stillgelegten) Musikverlages Birdland Records, den Präsidenten des Verwaltungsrates der Raiffeisen Bank Mörschwil und der Fortyone AG. Er sitzt zudem im VR von rund einem Dutzend Unternehmen. Er scheint in der Ostschweiz gut vernetzt zu sein und die Fortimo AG, eine der grössten Immobiliengesellschaften der Ostschweiz, ist seine Mandantin. Schultz ist auch der persönliche Anwalt von Remo Bienz, einem der Gründer und Mitinhaber der Fortimo.

Der Rechtsanwalt war zudem über 20 Jahre Richter der Anklagekammer St. Gallen. Die Anklagekammer ist die Beschwerdeinstanz nach Art. 20 StPO und übt gerichtliche Befugnisse im Strafverfahren aus (Art. 13 lit. c StPO). Sie sorgt von Amtes wegen oder auf Beschwerde hin dafür, dass die Strafverfolgungsbehörden das Gesetz einhalten, und kann ihnen allgemeine Weisungen erteilen (vgl. Art. 17 EG StPO).

Markus Schultz hatte also gleichzeitig zwei Hüte an. Einerseits vertrat er seine Klienten vor den St. Galler Strafverfolgungsbehörden. Andererseits war er als Mitglied der Anklagekammer auch für die Aufsicht über dieses Gremium verantwortlich. Denn die Anklagekammer beurteilt Beschwerden gegen Entscheide der erstinstanzlichen Gerichte, der Polizei, der Staatsanwaltschaft und des Zwangsmassnahmengerichts. Ausserdem entscheidet sie über die Eröffnung von Strafverfahren gegen Behördenmitglieder oder Mitarbeitende des Kantons. Einfach gesagt. Schultz ist nicht nur Mitglied einer Fussballmannschaft, sondern gleichzeitig auch der Schiedsrichter in einem Match seiner eigenen Mannschaft.

Diese für viele Bürger irritierende Konstellation ist möglich, dank der beiden Art. 40 und 41 im Gerichtsgesetz des Kantons St. Gallen. Wir ersparen dem Leser die Aufzählung. Wir picken aber heraus, dass nebenamtliche Richterinnen oder Richter der Kreisgerichte in ihrem Gerichtskreis nicht als Anwältin oder Anwalt tätig sein dürfen. In einem Entscheid vom 3. November 2021 hat die Strafkammer des Kantons St. Gallen aber festgehalten, dass Markus Schultz mit einem ziemlich erheblichen Pensum für die Anklagekammer tätig ist, und es sei von freundschaftlichen oder jedenfalls engen beruflichen Beziehungen auszugehen…“.

Aufgrund dieser Feststellung durch die Strafkammer St. Gallen muss man davon auszugehen, dass Anwalt Markus Schultz in „ziemlich erheblichen Pensum für die Anklagekammer tätig ist“, als er das Amt des Vizepräsidenten innehatte. Somit stellt sich die Frage, ob Markus Schultz wirklich als ein nebenamtlicher, sondern wohl eher als teilamtlicher oder sogar hauptamtlicher Richter zu gelten hatte. Die Folge: er hätte in allen Verfahren mit Remo Bienz gar nicht als Rechtsanwalt tätig sein dürften.

Deswegen, sagen uns Experten, verstosse Markus Schultz mit der Vertretung von Remo Bienz auch gegen das Bundesgesetz über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA). Denn laut Art. 12 lit. a und c des BGFA gelten folgende Berufsregeln: «Die Anwälte üben ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft aus (lit. a) und meiden jeden Konflikt zwischen den Interessen ihrer Klientschaft und den Personen, mit denen sie geschäftlich oder privat in Beziehung stehen (lit. c).

Für dazu befragte Experten ausserhalb des Kantons St. Gallen zeigt sich hier eine Ausgangslage, die so in wenigen Kantonen mehr vorkommt. Als Mitglied der Anklagekammer St. Gallen sind Markus Schultz und seine Amtskollegen Mitglieder einer Behörde, welche für die Verfolgung von Straftaten verantwortlich ist. Als Verteidiger von Remo Bienz hat Markus Schultz somit in seiner offiziellen Funktion kein Interesse an einer Strafverfolgung seines Klienten, geschweige denn an einer Strafverfolgung seiner selbst. Der Kanton Thurgau hat seine Anklagekammer bereits 2010 aufgehoben.

Verzögerungen in der Strafverfolgung

Josip Sunic wirft in seiner Anzeige wegen Begünstigung Markus Schultz vor, dass er als Vizepräsident der Anklagekammer seine Position missbraucht habe, um Remo Bienz zu begünstigen, und durch Verzögerungen der Strafuntersuchung der Strafverfolgung zu entziehen. Der Umstand sei «vollkommen inakzeptabel, dass Schultz als Vizepräsident der Anklagekammer St. Gallen über sämtliche Staatsanwältinnen und Staatsanwälte wacht und allgemeine Weisungen gegenüber der Staatsanwaltschaft St. Gallen erteilen könne», zitieren wir aus dem Gesetz. (Art. 17 EG-StPO). Sunic weist in seiner Klage darauf hin, dass jede seiner Strafanzeigen gegen Markus Schultz, von den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten mit einer Nichtanhandnahmeverfügung subito abgeschmettert wurde.

Wie konnte es dazu kommen?

Doch warum ist das eigentlich so abgelaufen? Wären die betroffenen Staatsanwälte nicht von Anfang an aufgrund des offensichtlich vorherrschenden Anscheins der Befangenheit dazu verpflichtet gewesen, in den Ausstand zu treten? Denn gemäss Art. 56 lit. f StPO in Verbindung mit Art. 3 und 4. StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person von sich aus, und nicht erst auf Gesuch hin, in den Ausstand, wenn sie aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte.

Warum hat der erste Staatsanwalt des Kantons St. Gallen, Christoph Ill, davon abgesehen, eine ausserkantonale Verfahrensleitung zu beantragen, welche die Strafuntersuchungen mit der notwendigen Distanz und Unabhängigkeit führen kann?

Wurden Zeugen genötigt?

Wer die Unterlagen dieses Gerichtskrimis durchsucht, findet weitere verstörende Vorgänge. So hat Anwalt Markus Schultz Zeugen der Strafuntersuchungen gleich selbst vertreten oder Zeugen von laufenden Zivil- und Strafverfahren mit eingeschriebenen Briefen unter Androhung von Betreibungen in Millionenhöhe, mutmasslich versucht, zu bestimmten Aussagen zu nötigen. Darunter auch die Mutter von Josip Sunic. Die angezeigten Staatsanwälte und Richter hätten, so Kenner der Materie, in krasser Verletzung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, diese Zeugenkontakte für völlig unproblematisch gehalten.

Inzwischen hat Markus Schultz seinen Job bei der Anklagekammer an seine Kanzleikollegin abgetreten. Bis dahin hatten sich die St. Galler Justizbehörden auf den Standpunkt gestellt, dass die Verflechtungen bei Schultz kein Problem seien. Alle Anträge zur Einsetzung eines ausserkantonalen Staatsanwaltes wurden abgelehnt.

Mit einem neuen Entscheid der Anklagekammer vom 23. Januar 2023 wurde explizit hervorgehoben, dass Markus Schultz ja nun nicht mehr Mitglied der Anklagekammer sei und eine Befangenheit der St. Galler Staatsanwälte gar nicht mehr geprüft werden müsse. Die Nachfolgerin von Markus Schultz heisst übrigens Franziska Ammann und ist die Bürokollegin von Schultz bei der Anwaltskanzlei Advokatur 107. Die Fasnacht startet früh dieses Jahr in der Ostschweiz.

Ermächtigungsverfahren?

Das kantonale Untersuchungsamt St. Gallen, das Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St. Gallen, die Rechtspflegekommission des Kantonsrats St. Gallen und die Parlamentsdienste des Kantons St. Gallen erhielten eine Kopie der Strafanzeige von Sunic. Am 27. Januar 2023 hat Sunic erfahren, dass ein Ermächtigungsverfahren durch die Rechtspflegekommission des Kantonsrates St. Gallen eröffnet wurde. Vielleicht gibt es noch Hoffnung für die St. Galler Justiz.

In kommenden Beiträgen werden wir auf weitere Spezialitäten aus der St. Galler Justiz eingehen und werden dabei auch die staatsrechtliche Seite beleuchten und die Politik zu den Vorgängen im – anscheinend sehr wilden – Osten der Schweiz ansprechen.

Keine der Parteien beantwortet unsere Fragen

Natürlich haben wir involvierte Parteien zu einer Stellungnahme aufgefordert. Die Hauptperson Markus Schultz reagiert: «Aufgrund Ihrer Ausführungen muss ich annehmen, dass Sie von dem von Ihnen erwähnten Josip Sunic instruiert worden sind» und verweist uns für die restlichen Fragen an die Staatsanwaltschaft und schliesst: «soweit Sie Fragen zu laufenden Verfahren haben, sollte Ihnen klar sein, dass ich dazu keine Äusserungen machen werde». Zwei Sekunden später werden auch die Fragen an die Fortimo/Remo Bienz durch den Mann mit den vielen Hüten beantwortet. Markus Schultz weist sich in diesem Mail aus, dass er «die rechtlichen Interessen der Fortimo Group AG und deren Tochtergesellschaften wahrnehme.» Und lässt seine Einstellung zu Medien einfliessen. «Ihre Fragen betreffen laufende Gerichtsverfahren und dazu werden grundsätzlich keine Stellungnahmen abgegeben. Die rechtliche Beurteilung der gegenseitigen Ansprüche der Parteien ist eben Aufgabe der Gerichte und nicht der Presse.»

Die Medienbeauftragte der Staatsanwaltschaft SG, Beatrice Giger, beantwortet ebenfalls keine der einzelnen Vorgänge. Sie schreibt: «…da diverse (Beschwerde-) Verfahren am Laufen sind, können wir uns zum heutigen Zeitpunkt nicht weiter dazu äussern.» Und warnt inside-justiz.ch: «Insbesondere weise ich Sie darauf hin, dass die Medienhoheit in den Beschwerdesachen bei der Anklagekammer des Kantonsgerichts sowie der Rechtspflegekommission des Kantons St. Gallen liegt.»

***

Der zweite Versuch

Es ist bereits der zweite Versuch des Klägers, die St. Galler Justizbehörden strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Anfangs Jahr hat Josip Sunic eine erste Strafanzeige bei der Kantonspolizei St. Gallen eingereicht. Die Kantonspolizei St. Gallen hat die Strafanzeige aber formell nicht entgegengenommen und wollte sie zuerst mit dem Polizeikommandanten besprechen. Ein paar Tage später wurde Josip Sunic von der Kapo St. Gallen kontaktiert und wurde gebeten, die Strafanzeige ausserhalb des Kantons St. Gallen zu erstatten, damit die Strafuntersuchung von Anfang an von einer unabhängigen Strafbehörde geführt wird. «Mir wurde mitgeteilt, dass nach Rücksprache mit dem Kommandanten entschieden wurde, dass die Kantonspolizei St. Gallen die Strafanzeige nicht bearbeiten darf/will, da sich diese als offensichtlich befangen ansieht und diese Strafanzeige ohnehin an die darin aufgeführten Personen zur Bearbeitung weitergeleitet werden müsste.» Hier scheint es für einmal korrekt abgelaufen zu sein.

6 thoughts on “Seltsame Vorgänge in der Ostschweizer Justiz

    1. Da sind wir schon seit vielen Jahren angekommen, nur merken es die meisten nicht. (die einen wollen es auch nicht merken)
      Aber informiert euch selbst und nicht nur bei den Leitmedien. 😉

    1. Bin Deutsche, wohne seit 2012 in der Schweiz. Es war ein Fehler herzukommen. Schweizer Ämter haben mir mein Leben zerstört, indem sie Gesetze wie Luft behandelt haben. Hat niemanden gestört. Aufsichtsbehörden nicht, Staatsanwaltschaft nicht, das Ministerium in Bern nicht, …. Gesetze stehen auf dem Papier, um schön aussehen. Daran halten muss man sich offenbar nicht. Ich habe die Schweiz als Unrechtsstaat kennengelernt, in dem höchste Willkür herrscht und Bürger, wie mir scheint aus reiner Machtbesessenheit, von Behörden grausamst bis zur seelischen Zerstörung tyrannisiert werden. Wenn man Pech hat, und ich hatte Pech, ist man als Bürger dem Terror schutzlos ausgeliefert, denn alle Behörden, die in der Pflicht stehen einzugreifen, schauen weg.

      1. Ja, und ich habe deutsche Verwandte. In Deutschland funktioniert rein gar nix. Beamte auf Lebenszeit… Viel Spass beim Umzug. Adieu!

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