Sonderermittler untersucht gegen Sonderermittler

Die Generalsektetärin des EJPD hat am Dienstag die Ermächtigung erteilt, um gegen den ausserordentlichen Staatsanwalt Peter Marti ein Strafverfahren durchzuführen. Marti, der Amtsgeheimnisverletzung im Umfeld der Crypto-Affäre untersucht, wird von einem Beschuldigten Amtsmissbrauch vorgeworfen.

Ein Sonder-Staatsanwalt des Bundes ermittelt gegen einen Sonderstaatsanwalt des Bundes. Was reichlich absurd klingt, ist eine Affäre um Indiskretionen, politische Ränkespiele und den Filz zwischen Medien und Politik. Aber von vorne.

Im Februar 2020 fliegt die Crypto-Affäre auf. Es wird auf breiter Front publik, dass die Firma Crypto AG aus dem Kanton Zug, die jahrelang Chiffriergeräte insbesondere an Verteidigungsministerien und Armeen verkauft hatte, in diesen Geräten eine Hintertür eingebaut hatte. die Central Intelligence Agency (CIA) der USA und der deutsche Bundesnachrichtendienst BND konnten so jeweils mitlesen und mithören, wenn die Kunden verschlüsselte Botschaften austauschten.

Aufsichtsbehörde setzt Sonderstaatsanwalt ein

Zu den Vorkommnissen wird in der Bundesverwaltung ein Inspektionsbericht ausgearbeitet, der in Bundesbern kursiert und – obwohl klassifiziert – bei den Medien landet. Die Geschäftsprüfungskommissionen von National- und Ständerat reichen Strafanzeige ein bei der Bundesanwaltschaft. Diese leitet die Anzeige an ihre Aufsichtsbehörde, die BA-AB weiter, welche im Januar 2021 Peter Marti als ausserordentlichen Staatsanwalt des Bundes einsetzt. Marti war früher Obergerichtspräsident in Zürich und davor selbst Staatsanwalt. Er gehört der SVP an. Der Sonderermittler schreitet forsch voran und eröffnet ein Strafverfahren gegen den Medienchef von Bundesrat Alain Berset, Peter Lauener. Diesen schickt Marti sogar für einige Tage in Untersuchungshaft. Die weiteren Beschuldigten sind zwei Angestellte des EDA.

Marti stösst offenbar während seinen Untersuchungen auf weitere Lecks, beispielsweise im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Da war nicht nur Medienschaffenden aufgefallen, dass die Medien der Ringier Gruppe regelmässig mit Exklusiv-Informationen aus dem Departement Berset auftrumpfen, die andere Medien nicht hatten. Die AB-BA weitet das Mandat von Marti aus, dieser lädt unerschrocken Medienschaffende zu Einvernahmen vor. Es geschieht, was in solchen Situationen immer geschieht: Die Medienschaffenden üben sich in Rudelbildung, beklagen die Aushöhlung der Medienfreiheit und brandmarken die Strafuntersuchung als Einschüchterungsversuch der freien Presse.

Marti lädt gemäss Zeitungsberichten sogar Bundesrat Berset vor, die Online-Plattform persoenlich.com berichtet, der Arbeitsplatz von Ringier-CEO Marc Walder sei gar durchsucht worden.

Fragliche Rechtsgrundlage

Im Juli 2022 werfen dann die Medien der TX-Gruppe die Frage auf, auf welcher Rechtsgrundlage Marti überhaupt ermittelt. Mehrere Juristen, darunter der Fribourger Strafrechtsprofessor Marcel Niggli machen klar, dass die Aufsichtsbehörde der Bundesanwaltschaft einen ausserordentlichen Staatsanwalt des Bundes nur dann einsetzen kann, wenn ein ordentlicher Bundesstaatsanwalt selbst unter Verdacht steht. Damit soll sichergestellt werden, dass die Behörde nicht gegen eigene Kolleginnen und Kollegen ermitteln muss. Die wörtliche Gesetzesgrundlage findet sich in Art. 67 Abs. 1 des Strafbehördenorganisationsgesetzes: «Richtet sich die Strafverfolgung wegen Straftaten im Zusammenhang mit der amtlichen Tätigkeit gegen einen Leitenden Staatsanwalt, eine Leitende Staatsan­wältin, einen Staatsanwalt oder eine Staatsanwältin, so bezeichnet die Aufsichts­behörde ein Mitglied der Bundesanwaltschaft oder ernennt einen ausserordentlichen Staatsanwalt oder eine ausserordentliche Staatsanwältin für die Leitung des Verfah­rens.»

In allen anderen Fällen wäre die Strafanzeige von einem ordentlichen Staatsanwalt des Bundes oder aber von einer kantonalen Staatsanwaltschaft abzuklären.

Im vorliegenden Fall begründet die AB-BA die Einsetzung eines ausserordentlichen Staatsanwaltes damit, dass die Bundesanwaltschaft selbst ebenfalls vorab Einblick in den mutmasslich durchgestossenen Inspektionsbericht hatte und damit zum grundsätzlich zum Täterkreis gehören könnte. Verschiedene Rechtsexperten lassen sich damit zitieren, dass ein solcher Tatverdacht aber konkret hätte sein müssen, «es reicht nicht, dass eine blosse Möglichkeit für eine solche Täterschaft besteht», sagt beispielsweise Niggli im TAGESANZEIGER zu dem besagten Art. 67. Will heissen: Die Untersuchung gegen Lauener und die weiteren Bundesbeamten hätten nur dann eine gesetzliche Basis, wenn diese als Gehilfen oder Mittäter gewirkt hätten, aber auch ein Staatsanwalt des Bundes als Beschuldigter geführt wird. Die Ausdehnung auf die weiteren Tatbestände zur Corona-Berichterstattung sei rechtens, betont die AB-BA, und beruft sich auf den Grundsatz der Verfahrenseinheit – was von den Rechtsexperten aber ebenfalls kritisch gesehen wird.

Untersuchungen gegen Marti

Wie Medien berichtet haben und Marti selbst in einer Stellungnahme einräumt, hat der beschuldigte Peter Lauener nun den Spiess umgedreht und seinerseits Strafanzeige gegen Marti eingereicht. Um abzuklären, ob Marti sich tatsächlich des Amtsmissbrauch oder allenfalls der Amtsanmassung schuldig gemacht hat, hat die Aufsicht über die Bundesanwaltschaft mit Stephan Zimmerli bereits den nächsten ausserordentlichen Staatsanwalt eingesetzt.

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Grundsätzlich ist es löblich, dass die Bundesanwaltschaft in dem vorliegenden Falle die Sensibilität hatte, die Strafanzeige der Geschäftsprüfungskommissionen wegen der mutmasslichen Amtsgeheimnisverletzung an ihre Aufsichtsbehörde weiterzuleiten. Man stelle sich das Kesseltreiben vor, wenn die BA selbst untersucht hätte und im Verlaufe dieses Verfahrens dann irgendwann publik geworden wäre, dass die Behörde selbst ebenfalls Einblick in die klassifizierten Akten hatte und damit das Leck hätte sein können. Der Anschein der Befangenheit wäre nicht mehr aus der Welt zu schaffen und der nächste Skandal um die Bundesanwaltschaft Tatsache gewesen.

Gleichzeitig muss im Strafverfahren wie überall sonst die «Rule of Law» gelten – oder eben Art. 5 Abs. 1 der Bundesverfassung, die postuliert: «Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht.» Will heissen: Der Staat hat sich in jeder Situation gemäss dem Gesetz zu verhalten. Wenn das Gesetz in dem vorliegenden Falle die Einsetzung eines Sonderstaatsanwaltes nicht hergibt, wie mehrere Juristen nachvollziehbar aufzeigen, dann wird die Einsetzung Martis für die AB-BA zu einem peinlichen Bumerang. Und noch weit mehr: Obwohl die Kontroverse um Art. 67 Abs. 1 StBOG schon seit Sommer aktuell ist, hat die AB-BA eben erst erneut einen Sonderstaatsanwalt eingesetzt: Der ehemalige Genfer Staatsanwalt Stéphane Grodecki soll untersuchen, wie im Sommer Berichte des Nachrichtendienstes des Bundes NDB an den SONNTAGSBLICK gelangten. Ob die Einsetzung eines Sonderermittlers den gesetzlichen Grundlagen standhält, erscheint auch in diesem Falle mehr als fraglich.

Noch peinlicher als für die AB-BA ist die Angelegenheit allerdings für das Parlament, welches das Strafverfolgungsorganisationsgesetz geschaffen hat. Dass in den vielen Fachkommissionen und trotz all‘ der Juristinnen und Juristen im Parlament niemand auf die Idee kam, den Artikel zur Einsetzung von Sonder-Staatsanwälten offener zu fassen und der AB-BA die Kompetenz zu geben, auch bei weiteren Fällen, in denen der Anschein der Befangenheit bestehen könnte, einen Sonderstaatsanwalt einzusetzen, ist schlicht und einfach peinlich. Und gehört dringend nachgebessert.

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