Spiess-Hegglin scheitert vor Bundesgericht

Jolanda Spiess-Hegglins Beschwerde gegen das Obergericht Zug wird am Bundesgericht nicht verhandelt. Die Richter in Lausanne teilten mit, die Beschwerdeschrift erfülle die Anforderungen nicht, weshalb das Gericht nicht darauf eintrete. Spiess-Hegglin und ihre Anwältin Rena Zulauf werfen dem Bundesgericht daraufhin in einer Mitteilung Rechtsverweigerung vor.

Dass das Bundesgericht zu einem Einzelfall ohne Leiturteil-Charakter und dann auch noch unter Namensnennung der Parteien eine Medienmitteilung publiziert, ist für sich genommen bereits mehr aus aussergewöhnlich. Genau das ist vorliegend allerdings geschehen. Das höchste Gericht erscheint damit die Brisanz des Falles zumindest erkannt zu haben. Zum einen, weil in dem gesamten Verfahren bereits vor den unteren Instanzen die Wogen medial hochgingen:

Gerichten, welche die Anträge von Spiel-Hegglin durchwinkten, wurde Zensur und damit Verfassungsbruch vorgeworfen – insbesondere von vielen Medienbetrieben und -schaffenden, die auf Urteile, die Persönlichkeitsrechte gegen überbordende Medienberichterstattung schützen, reflexartig das Zensurargument bemühen.

Diejenigen Gerichte, welche die Persönlichkeitsreche weniger gewichteten als Presse- und Medienfreiheit, wurde vorgeworfen, sie würden ein Opfer der öffentlichen Hinrichtung zuführen. Zusätzliche Brisanz erhält der Fall dadurch, dass der Spruchkörper nicht eben mit grosser Sensibilität zusammengesetzt war. Das Bundesgericht urteilte in einer hochgrad auch parteipolitischen Angelegenheit in der Besetzung Christian Herrmann (SVP) , Elisabeth Escher (Die Mitte) und Felix Schöbi (BDP). Mit anderen Worten: Mit einer Besetzung mit klarem Rechtsdrall.

Worum geht es eigentlich?

Gegenstand der Beschwerde war ein Entscheid über eine superprovisorische Verfügung. Diese hatte Spiess-Hegglin am 4. Mai 2020 beim Kantonsgericht Zug beantragt im Sinne einer vorsorglichen Massnahme gegen eine drohende Persönlichkeitsverletzung und vom zuständigen Richter auch erhalten. Hintergrund war, dass Spiess-Hegglin von der TAGES-ANZEIGER-Journalistin Michèle Binswanger informiert worden war, dass diese an einem Buch arbeite zu den Vorkommnissen anlässlich der Landammanfeier 2014 in Zug. Damals hatten die damaligen Kantonsräte Spiess-Hegglin und Markus Hürlimann am Rande der Veranstaltung unter bis heute nicht vollends geklärten Umständen Geschlechtsverkehr. Die „Sex-Affäre“ wurde insbesondere im BLICK, aber auch in anderen Zeitungen, über Wochen skandalisiert. Im Raum stand, ob zumindest Spiess-Hegglin oder auch beide Protogonisten mit Substanzen wie K.O.-Tropfen ihres Willens beraubt worden waren, nachdem beide angegeben hatten, sich nur bruchstückweise an die Vorgänge erinnern zu können.  Die Untersuchungen kamen allerdings nie zu einem belastbaren Ergebnis. Binswanger berichtete schon damals für den TAGES-ANZEIGER und bezichtige Spiess-Hegglin der Lüge, bevor sie überhaupt je mit ihr gesprochen hatte.

In der Aufarbeitung ging Spiess-Hegglin insbesondere gegen den Ringier-Verlag juristisch vor und erhielt auch in dem Sinne Recht, dass die involvierten Gerichte auf eine Persönlichkeitsverletzung erkannten. Weitere Verfahren, insbesondere eines um Gewinnherausgabe gegen Ringier, ist aktuell hängig.

Obergericht lehnt vorsorgliche Massnahme ab

In der Hauptsache wurde über die drohende Persönlichkeitsverletzung am Zuger Kantonsgericht noch nicht entschieden, der TAGES-ANZEIGER zog den Entscheid  über die vorsorgliche Massnahme allerdings ans Zuger Obergericht weiter und erhielt dort Recht: Die superprovisorische Verfügung gegen die Buchpublikation wurde aufgehoben. Daraufhin gelangte Spiess-Hegglin an das Bundesgericht. In einem ersten prozessleitenden Entscheid stellte das Bundesgericht klar, dass das Publikationsverbot bis zum Entscheid des Gerichts in Kraft bleibe. Dieser Entscheid erschien Juristinnen und Juristen aller Couleur als nachvollziehbar, hätte sich sonst das Bundesgericht einen Entscheid überhaupt ersparen können. Einige Beobachter wollten darin allerdings bereits einen Etappensieg für Spiess-Hegglin erblicken und interpretierten den Entscheid wohl dahingehend, dass das Bundesgericht die Beschwerde gutheissen würde.

Das tat das Gericht in Entscheid 5A_824/2021 nun allerdings nicht, sondern trat im Gegenteil gar nicht erst auf die Beschwerde ein. Als Begründung führt das Bundesgericht an, die Beschwerdeführerin habe nicht dargelegt, worin der nicht mehr gutzumachende Nachteil bestehe, falls die Publikation doch erfolge. Einen solchen zu belegen, sei eine Prozessvoraussetzung nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, so das Bundesgericht. Die Lausanner Richter verweisen dabei selbst auf BGE 141 III 80, Erwägung 1.2, in dem das Gericht festgehalten hatte: „Es obliegt dem Beschwerdeführer, das Vorliegen eines solchen Schadens nachzuweisen, wenn dieser nicht von vornherein offensichtlich ist.“ Das Bundesgericht behauptet zunächst, Spiess-Hegglin äussere sich nicht dazu, was ihre Rechtsanwältin Rena Zulauf in einer schriftlichen Stellungnahme vehement bestreitet: „Diese Nachteilsprognose ist in den Rechtsschriften zur Genüge ausformuliert und liegt dem Bundesgericht vor.“ Spiess-Hegglin selbst twittert, „auf öppe 50 Seiten haben wir all die nichtwiederzugzumachenden Nachteile dargelegt, welche dieses Binswanger-Buch nach sich zieht.“

Aber selbst wenn dem nicht so wäre: Die Rechtsprechung verlangt den Nachweis lediglich dann, wenn der Schaden nicht von vornherein offensichtlich sei. Wenn mit der Publikation intimer Details aus dem überhaupt schützenswertesten Bereich der Persönlichkeitssphäre ein nicht wiedergutzumachender Schaden nicht von vornherein offensichtlich ist: was wäre dann darunter überhaupt noch zu subsumieren? Dazu schreibt das Bundesgericht in seinem Urteil freilich nichts.

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Schlicht nicht nachvollziehbar

Der Entscheid des Bundesgerichts und der drei Richter Herrmann, Escher und Schöbi ist weder juristisch noch mit gesundem Menschenverstand nachvollziehbar. Wie das Gericht selbst mit Verweis auf die Bundesgerichtspraxis festhält, ist der Nachweis des nicht wiedergutmachenden Nachteils nicht explizit zu erbringen, wenn er „ins Auge springt“.  Mit anderen Worten: Das Bundesgericht schafft keine neue Rechtspraxis oder eine Konkretisierung, sondern gibt vor, lediglich die bestehende weiterzuführen. Wenn das Bundesgericht allerdings nicht in der Lage ist zu erkennen, dass ein erneutes Aufwärmen eines mehr als acht Jahre zurückliegenden Vorfalls, welcher die intimste Persönlichkeitssphäre zweier Menschen betrifft und dessen öffentliche Zurschaustellung ein hohes Traumatisierungspotential hat, dann ist diesen Bundesrichtern fürwahr nicht mehr zu helfen.

Wenn zudem die renommierte Medienanwältin Rena Zulauf nicht vollständig tatsachenwidrig behauptet, die nicht wiedergutzumachenden Nachteilen wären in der Beschwerdeschrift sehr wohl prominent dargestellt worden, irritiert der Entscheid des Bundesgerichts nur noch mehr.

So liegt denn der Verdacht nahe, dass es hier nicht juristisch geurteilt wurde, sondern politisch. Und dass Justizia hier nicht blind war, sondern es vielmehr darum ging, einer polarisierenden, streitbaren und kontrovers wahrgenommenen Person wie Spiess-Hegglin allein aufgrund dieser Tatsache und nicht unbesehen ihrer Person den gesetzlichen Rechtsschutz zu verweigern. Dieses Urteil ist eine Blamage für das Bundesgericht.

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