St. Galler Anwalt scheitert am Steuerrecht und am Gestaltungsfreiraum

Ein St. Galler Anwalt wollte eine effektiv erbrachte Leistung über seine Aktiengesellschaft abrechnen und mit diesen versteuerten Einnahmen eine bestehende Schuld der Gesellschaft tilgen. Er scheiterte damit bei der Steuerverwaltung und schliesslich vor Bundesgericht.

Das Bundesgericht hat in einem aktuellen Entscheid (BGE 9C_738/2022) die Auffassung der Steuerverwaltung gestützt. Das Urteil schränkt den Gestaltungsspielraum der Steuerpflichtigen weiter ein und wirft erneut rechtsstaatliche Bedenken auf.

Im Mai 2023 fällte das Bundesgericht in Dreierbesetzung ein bemerkenswertes Urteil, dessen Tragweite nicht unterschätzt werden darf. Verantwortlich dafür war eine SP-Troika, bestehend aus Präsident Bundesrichter Francesco Parrino (SP), Bundesrichter Michael Beusch (SP) und als nebenamtlicher Bundesrichter Markus Berger (SP). Gerichtsschreiberin war Isabelle Rupf.

Der Steuerpflichtige, ein selbständiger Anwalt, ist Alleinaktionär der B. S.A. Aus dem Sachverhalt ergibt sich, dass der Anwalt gegenüber der B. S.A. eine Darlehensforderung hatte. Über die Gesellschaft stellte er Dritten eine nicht näher bezeichnete Leistung in Rechnung. Das auf diese Weise eingenommene Geld überwies der Anwalt an sich selbst zur Verrechnung mit der erwähnten Darlehensschuld.

Geldwerte Leistung

Die Steuerverwaltung rechnet diese Leistung vollumfänglich als geldwerte Leistung an, was zur Folge hat, dass der Anwalt auf den rund CHF 300’000 nebst den üblichen direkten Einkommenssteuern auch AHV-Beiträge und mutmasslich die Mehrwertsteuer zu entrichten hat.

Das Veranlagungsverfahren ist zwischen den Parteien heftig umstritten. Vor dem Gang ans Bundesgericht wurde der Fall zweimal vor der kantonalen Verwaltungsrekurskommission und einmal vor dem Verwaltungsgericht verhandelt. Zum Verhängnis wurde dem Anwalt, dass die Aktiengesellschaft offenbar über keine Infrastruktur und kein Personal verfügte.

Gestaltungsfreiheit

In E. 4.2.1 führt das Bundesgericht zur Gestaltungsfreiheit aus: «Bei der Beurteilung des steuerrechtlichen Verhältnisses zwischen dem Aktionär und seiner Aktiengesellschaft ist in der Praxis vom Grundsatz der Gestaltungsfreiheit des Steuerpflichtigen als Ausfluss der zivilrechtlichen Vertragsfreiheit auszugehen. Soweit die Schranken der Gestaltungsfreiheit eingehalten sind, bleibt den Steuerbehörden einerseits ein Einschreiten verwehrt. Andererseits muss sich die natürliche Person auf die von ihr gewählten Strukturen behaften lassen. Auf diese Gestaltungsfreiheit können sich auch die Aktionäre und Aktiengesellschaften berufen (Urteil 2C_171/2019 vom 11. Oktober 2019 E. 5.2.1 mit zahlreichen Hinweisen). Werden die Grenzen der Gestaltungsfreiheit überschritten, ist das Vorliegen einer Steuerumgehung zu prüfen (Urteil 2C_171/2019 vom 11. Oktober 2019 E. 5.2.2 m.w.H.).»

Das Bundesgericht begründet die Zurechnung der Leistung an die steuerpflichtige Person: «Die Vorinstanz ist vielmehr in tatsächlicher Hinsicht davon ausgegangen, dass die B.________ S.A. selbst – mangels jeglicher Infrastruktur und/oder Ausweis von Drittleistungen, die sie im Hinblick auf die von ihr angeblich erbrachten Beratungsleistungen in Anspruch genommen hat – keine Beratungsleistungen an die C.________ AG erbracht hat, sondern dass diese Leistungen mangels Anhaltspunkten dafür, dass sie von jemand anderem erbracht worden wären, vom Beschwerdeführer persönlich erbracht worden sein müssen.» Damit beschneidet das Bundesgericht die Gestaltungs- und Vertragsfreiheit, obschon das Gericht die Vertragsfreiheit nicht im Ansatz verletzt sehen will.

Bedenklich

Das Urteil ist im Hinblick auf die fehlende Infrastruktur gerade noch vertretbar. Berücksichtigt man jedoch, dass die Aktiengesellschaft zumindest über einen Verwaltungsrat (nämlich den steuerpflichtigen Anwalt selbst) verfügte und damit ein handlungsfähiges Organ vorhanden war, wird das Urteil rechtsstaatlich bedenklich.

Es erscheint nämlich nicht so abwegig, dass der Anwalt in seiner Eigenschaft als Verwaltungsrat die Arbeiten ausgeführt hat, für die schliesslich die Einnahmen zu Recht an die Gesellschaft abgeführt wurden. Hier hätte man zu Recht eine etwas grosszügigere Handhabung des Gestaltungsspielraums erwartet. Und klar bleibt auch, dass eine Organperson für eine Gesellschaft Kraft Gesellschaftsrecht aktiv und tätig werden kann, ohne, dass sie dafür Lohn im arbeitsrechtlichen Sinne beziehen muss.

Die rigide Gerichtspraxis führt nun aber dazu, dass jeder Steuerpflichtige, zumal wenn er selbständig erwerbstätig ist und gleichzeitig eine Gesellschaft besitzt oder an einer solchen massgeblich beteiligt ist, immer mit steuerrechtlichen Aufrechnungen rechnen muss.

Doppelbesteuerung und ruinöse Nebenfolgen

Die Befürchtung einer möglichen Doppelbesteuerung (einmal auf der Stufe des Steuerpflichtigen und einmal auf der Stufe der Gesellschaft) wischt das Bundesgericht schliesslich salopp, um nicht zu sagen ziemlich cool, vom Tisch. Dazu hält das Bundesgericht in E. 4.3.2 fest: «An diesem Ergebnis ändert insbesondere auch der Umstand nichts, dass die B.________ S.A. in ihrer Steuererklärung Einkünfte im Umfang von Fr. 300’000.00 deklariert hat, denn es wird in der Beschwerde nicht dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich, dass die nunmehr dem Beschwerdeführer zugerechneten Einkünfte auch bei der Gewinnbesteuerung der B.________ S.A. (doppelt) erfasst worden wären».

Wie es sich genau verhält, bleibt unbekannt: Jedenfalls kann der St. Galler Anwalt nicht einfach darauf vertrauen, wie das Bundesgericht zu glauben scheint, dass die auf Stufe der B. S.A. «korrekt» deklarierten Einkünfte steuerlich neutralisiert werden. Hinzu kommt eine Kaskade von weiteren Steuerarten, so bleibt die Mehrwertsteuerschuld auf den von der B. AG angeblich deklarierten CHF 300’000 geschuldet und kann nicht zurückgefordert werden. Die nun beim Anwalt aufgerechneten Einnahmen können somit abermals MWST-Forderungen auslösen – das sind im Ergebnis ruinöse Nebenfolgen!

Schweizer Eigenart

Immerhin droht von der Verrechnungssteuer kein Unheil, es sei denn, die ESTV hätte die 5-jährige Verjährungsfrist unterbrochen, worüber der Sachverhalt aber schweigt. Hat die ESTV die Verjährung unterbrochen, gilt grundsätzlich die Unverjährbarkeit…..das ist eine Schweizer Eigenart von singulärer Härtewirkung für den Betroffenen.

Hintergrund: Weil der Anwalt die CHF 300’000 als Darlehen an sich selbst steuerneutral ausbezahlt hat, obwohl es sich nach Auffassung des Bundesgerichts um Einkommen handelte, droht der Gesellschaft grundsätzlich die Nachzahlung von nicht rückforderbaren 35% Verrechnungssteuer zuzüglich Verzugszins von 4% p.a.. Diese Belastung ist auf den Steuerpflichtigen zu überwälzen, andernfalls droht eine noch krassere Aufrechnung bis zum Hundertfachen. Im letzteren Fall gelten nämlich die CHF 300’000 als Nettodividende oder eben 65%, d.h. Steuerfolge mindestens CHF 161’538.

Riesiger Aufwand

Das Veranlagungsverfahren dauerte insgesamt 9 Jahre und beschäftigte mehrere Gerichte und Richterinnen und Richter. Der vor Bundesgericht unterlegene Steuerpflichtige dürfte einen enormen Zeitaufwand für das Beschwerdeverfahren gehabt haben und ihm sind erhebliche Gerichtskosten entstanden. Die beiden kantonalen Gerichte dürften je CHF 3’000.00 in Rechnung gestellt haben. Das Bundesgericht stellt seine «Leistung» mit CHF 4’500.00 in Rechnung, wovon der Steuerpflichtige CHF 4’050.00 zu tragen hat. Der mühsame und letztlich verlorene Kampf durch alle Instanzen dürfte den Steuerpflichtigen aus dem Kanton St. Gallen somit rund CHF 10’000.00 gekostet haben.

Mit dem Urteil des Bundesgerichts vom 30. Mai 2023 ist der Fall aber noch nicht abgeschlossen. Die obersten Richter weisen den Fall nicht an die Vorinstanz, sondern an das KSTA SG als Vorinstanz zurück, so dass der Fall wohl noch bis Ende 2028 umstritten bleiben und die Gerichte beschäftigen wird. So oder so tritt Ende 2028 die absolute Verjährung ein. 

Das Steuerrecht wird immer engmaschiger und der sogenannte Gestaltungsspielraum und die Vertragsfreiheit stehen zur Disposition der Steuerbehörden. Hinzu kommen die regelmässig enormen finanziellen Auswirkungen im Einzelfall sowie die erheblichen Nachzahlungszinsen, die bei zehnjährigen Fällen wie dem vorliegenden schnell hohe Beträge generieren. Im Ergebnis sind dies bedenkliche Entwicklungen an der Steuerfront, die bei den Betroffenen kaum auf Verständnis stossen.

Die RIchterschaft hinter dem Urteil

Das Bundesgericht nennt die urteilenden Richterinnen und Richter sowie die Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber immer nur mit dem Familiennamen. Inside Justiz ist der Ansicht, dass die Richterinnen und Richter sowie die Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber mit vollem Namen genannt werden sollten.

Während die hauptamtlichen Richter auf der Homepage des Bundesgerichts mit einem kurzen Lebenslauf vorgestellt werden, findet man bei den nebenamtlichen Bundesrichtern und vor allem bei den Gerichtsschreibern nur die Namen, aber keinerlei Hintergrundinformationen. Dabei sind es vor allem die Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber, die in vielfältiger Weise die Urteilsfindung massgeblich beeinflussen und die Urteile prägen.

Steuerrechtsfälle haben vor Bundesgericht traditionell einen schweren Stand, wenn die Beschwerdeführer die Steuerpflichtigen sind. Nur ein verschwindend kleiner Teil der Beschwerden wird gutgeheissen, wobei viele Beschwerdeführer bereits an den strengen Formvorschriften des Bundesgerichts scheitern. Solche Fälle werden vom Gerichtspräsidenten zusammen mit einem Gerichtsschreiber/einer Gerichtsschreiberin durch Nichteintreten erledigt.

Ist hingegen ein kantonales Steueramt oder die ESTV Beschwerdeführerin, so fällt die wohlwollende Haltung des Bundesgerichts auf. Die Erfolgsquote von Beschwerden mit einer Steuerbehörde als Beschwerdeführerin ist signifikant höher. Inside Justiz wird die Steuerrechtsfälle statistisch auswerten und in einem eigenen Artikel behandeln.

Die RIchterschaft hinter dem Urteil

Francesco Parrino (SP)
2013 wurde Francesco Parrino, Jahrgang 1967, als SP-Kandidat gewählt. Er war zuvor Präsident der Sozialversicherungs- und Gesundheitskammer des Bundesverwaltungsgerichts. Er setzte sich in einer Kampfwahl gegen den FDP-Kandidaten Luca Grisanti durch.

Markus Berger (SP), (leider ohne Foto) Aargau. wurde 2016 von der Bundesversammlung mit 174 von 174 gültigen Stimmen gewählt. Berger war Vizepräsident des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau.

Michael Beusch (SP) aus Buchs SG sorgte mit einem Etappensieg für den Milliardär Urs Schwarzenbach vor dem Bundesverwaltungsgericht 2019 für Aufsehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Zwangsversteigerung von 114 Kunstwerken von Urs Schwarzenbach in letzter Minute gestoppt. Die Zollverwaltung wollte 11 Millionen eintreiben, die der Besitzer des Hotel Dolder schuldete. Schwarzenbach hatte jahrelang Bilder, Skulpturen und Nippes am Zoll vorbeigeschmuggelt.

Isabelle Rupf – Gerichtsschreiberin
Rechtsanwältin, M.A. (HSG) in Law & Economics, dipl. Steuerexpertin; Gerichtsschreiberin am Bundesgericht, Lausanne. 

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