Ein Staatsanwalt hat seinen achtjährigen Sohn vergewaltigt. Nun wurde er dafür verurteilt, nachdem es lange Zeit nicht danach aussah, als würde dieser Fall je vor Gericht landen, obwohl er die Tat nie bestritt.
Die Vorwürfe gegen ihn wiegen schwer: Philipp M., ehemaliger Staatsanwalt, soll in der Nacht vom 27. März 2019 seinen damals achtjährigen Sohn, mit dem er in einem Bett geschlafen hat, vergewaltigt haben. Der Junge erzählt dies am nächsten Morgen der Mutter, diese konfrontiert ihren Ehemann mit den Erzählungen des Sohnes. Philipp M. sagt, dass er seinem Sohn den Missbrauch glaube, aber er könne sich nicht daran erinnern – er habe geschlafwandelt.
Was war genau passiert? Den Ermittlungen zufolge hatte der Vater mit dem achtjährigen Sohn im Bett geschlafen, da die Mutter mit den beiden anderen Kindern in einem anderen Zimmer schlief. Dort hatte er, so die Staatsanwaltschaft, dem Sohn in die Pyjamahose gefasst, dessen Geschlechtsteil berührt, „ihn schmerzhaft“ gedrückt und zu sexuellen Handlungen genötigt. Nach der Konfrontation der Mutter berichtete Philipp M. direkt seinem Vorgesetztem bei der Staatsanwaltschaft in Lübeck von den Vorwürfen und zeigte sich selbst an. Ermittler stellten später fest, dass er im Internet nach dem Begriff „Sexsomnia“ suchte. Dabei handelt es sich um eine Schlafstörung, die seit den 90er-Jahren wissenschaftlich beschrieben ist und strafrechtlich als „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“ gilt. Betroffene haben unbewusst im Schlaf Geschlechtsverkehr oder nehmen sexuelle Handlungen an sich oder anderen vor. Nach dem Aufwachen können sie sich nicht mehr daran erinnern. Philipp M. wurde daraufhin als Staatsanwalt freigestellt, die Ermittlungen gegen ihn eingeleitet.
Kein Klagewille der Staatsanwaltschaft
Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren hingegen ein. Sie glaubte dem Sohn, glaubte aber auch Philipp M., dass er an Sexsomnia leidet. Zudem stützte ein Gutachten damals die Vermutung vom schlafwandelnden Missbrauchstäter. Somit hielt es die Staatsanwaltschaft nicht für nötig, diesen Fall überhaupt vor Gericht verhandeln zu lassen und stellte das Verfahren dreimal ein. Die Mutter des Jungen und Ehefrau von Philipp M. liess diese Einstellung vom Oberlandesgericht (OLG) überprüfen und erzwang vor diesem die Klage. Die Staatsanwaltschaft Kiel musste Anklage erheben.
Ende Januar 2024 begann dann der Prozess zur Beweisaufnahme, gut fünf Jahre nach der Tat, bei dem weniger die Vergewaltigung geklärt werden musste und viel mehr, ob die Schutzbehauptung des Schlafwandelns zutrifft. Zu Hilfe kam Philipp M. dabei eine Partnerin aus der Vergangenheit, die heute Professorin und Richterin ist. In ihrer Beziehung mit Philipp M., die bereits 15 Jahre her ist, sei es mehrfach zu solchem Schlafwandelsex gekommen. Sie hatte sich nicht missbraucht gefühlt, hatte ihn damals aber auch nicht damit konfrontiert, da sie kein richtiges Tool gefunden hatte.
Stress statt Schlafwandel
Vergangene Woche entschied das Landgericht, dass Philipp M. schuldig ist. Die Richterin betonte dabei, dass „Sexsomnia“ dabei ausgeschlossen sei und verurteilte ihn wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs zu einer Strafe von einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis auf Bewährung. Dass die Strafe so mild ausfällt, begründete die Vorsitzende Richterin Helga von Lukowicz wie folgt: „Wir gehen davon aus, dass die Tat als dysfunktionale Bewältigungsstrategie zu verstehen ist, weil er beruflich und privat erheblich belastet war. In dieser Situation brauchte er ein Ventil. Der gewaltsame Missbrauch gab ihm für einen Moment das Machtgefühl zurück.“ Das Urteil wurde von diversen Medienhäusern unterschiedlich kommentiert. Die Bild schreibt, dass die Begründung des Urteils „sprachlos macht“. Die FAZ hebt vor allem hervor: „Dass Philipp M. sich überhaupt noch vor Gericht verantworten musste, ist der Hartnäckigkeit der Anwälte des Sohnes zu verdanken, der im Prozess als Nebenkläger auftrat.“ Die TAZ verweist darauf, dass Sexsomnia auch schon zum Freispruch geführt hat: „Im Oktober 2019 soll in der Schweiz ein 19-Jähriger eine 15-Jährige vergewaltigt haben, während er schlafwandelte. Er wurde freigesprochen, nachdem ein Gutachter ihm eine solche Schlafstörung bescheinigt hatte.“
Was ist Sexsomnia?
Bei Sexsomnia handelt es sich um eine Parasomnie, ähnlich wie der Nachtschreck, Schlafwandeln oder auch das Reden im Schlaf (Somniloquie). Genauer gesagt handelt es sich dabei um eine Non-REM-Parasomnie, also eine Verhaltensweise, die nicht in der REM-Phase (Traumphase) stattfindet. Folgende Punkte werden zu diesem Leiden gezählt:
- Das Nutzen von erotischer Sprache im Schlaf (Sextalk).
- Das Masturbieren im Schlaf.
- Spontane Orgasmen im Schlaf.
- Der Versuch, beziehungsweise das Vollziehen des Geschlechtsverkehrs oder anderer sexueller Handlungen (Oralverkehr).
Teilweise kann es zum kompletten Vollzug des Geschlechtsverkehrs kommen, ohne dass die betroffene Person sich der Handlungen bewusst es. Es besteht eine komplette Amnesie. Betroffene Personen haben währenddessen meist einen leeren und gläsernen Blick.