Strafverfolgung nach politischem Gusto?

In seinem Artikel „Strafverfolgung nach politischem Gusto?“ legt Volker Boehme-Neßler in der Zeitschrift Cicero (26.01.2024)  dar, wie die deutsche Staatsanwaltschaft durch ihre Abhängigkeit von politischen Weisungen den europäischen Idealen einer rechtsstaatlichen Justiz zuwiderläuft. Er hebt hervor, dass die momentane Einbettung der Staatsanwaltschaft in das politische Gefüge ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert darstellt und dringend einer Modernisierung bedarf, um die Unabhängigkeit und Integrität der Justiz zu gewährleisten.

Der Artikel beginnt mit einem Rückblick auf den Fall von Generalbundesanwalt Harald Range, der 2015 sich gegen den damaligen Bundesjustizminister Heiko Maas stellte. Range kritisierte öffentlich den Versuch des Ministers, Einfluss auf ein Ermittlungsverfahren zu nehmen, und betonte damit die zentrale Problematik der Einmischung der Politik in justizielle Angelegenheiten. Boehme-Neßler nutzt dieses Beispiel, um auf die tiefgreifende Problematik hinzuweisen, die sich aus der fehlenden Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft ergibt.

Der Autor betont die fundamentale Rolle der Staatsanwaltschaft im deutschen Rechtssystem, die bei der Einleitung und Führung von Ermittlungsverfahren sowie bei der Entscheidung über die Erhebung einer Anklage eine Schlüsselposition einnimmt. Das Gesetz verpflichtet Staatsanwälte, sowohl belastende als auch entlastende Umstände gleichgewichtig zu ermitteln, um den rechtsstaatlichen Prinzipien des Grundgesetzes gerecht zu werden.

Boehme-Neßler kritisiert an diesem Punkt scharf das aktuelle Weisungsrecht der Justizminister gegenüber den Staatsanwälten, das eine politische Einflussnahme auf Einzelfälle ermöglicht. Diese Tradition stammt noch aus dem 19. Jahrhundert, wo weisungsgebundene Staatsanwälte ein Mittel der Obrigkeit waren, die ein Gegengewicht zu den unabhängigen Gewichten stellen sollten. Boehme-Nessler argumentiert, dass gerade in Diktaturen weisungsgesteuerte Staatsanwälte eine Speerspitze des Regimes bilden. Diese Praxis, so sagt er, widerspricht dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Justiz und untergräbt das Vertrauen der Bürger in die Objektivität der Strafverfolgung.

Der Autor hebt positive Beispiele hervor, wie die unabhängige Justiz in Italien und die Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft, die zeigen, dass eine effektive Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität nur mit einer unabhängigen Staatsanwaltschaft möglich ist. Er plädiert deswegen unbedingt für eine grundlegende Reform der deutschen Staatsanwaltschaft.

Der Autor Volker Boehme-Neßler

Volker Boehme-Neßler ist ein deutscher Rechtswissenschaftler, der sich insbesondere mit Fragen des Verfassungsrechts, des Medienrechts sowie der Auswirkungen der Digitalisierung auf das Recht und die Gesellschaft beschäftigt. Er ist bekannt für seine Arbeiten zu Themen wie Internetrecht, E-Government, visueller Kommunikation im Recht und den Herausforderungen, die die digitale Transformation für traditionelle Rechtskonzepte darstellt. Boehme-Neßler hat zu diesen und weiteren Themen zahlreiche Bücher und Artikel veröffentlicht, in denen er sich mit den Schnittstellen zwischen Recht, Technologie und Gesellschaft auseinandersetzt. Er analysiert, wie digitale Medien und Technologien die Rechtspraxis und -theorie beeinflussen, und erörtert die Notwendigkeit rechtlicher Anpassungen an die digitale Moderne. Als akademischer Forscher und Dozent hat Boehme-Neßler an verschiedenen Universitäten und Forschungseinrichtungen gelehrt und gearbeitet

Bedeutung für die Schweiz

Der politische Einfluss auf Schweizer Staatsanwälte und Richter ist gegenwärtig ein Diskussionsthema. Natürlich gibt es in der Schweiz Verbindungen bei der Justiz zur Politik bestehen und möglicherweise auch bestehen müssen. Die Idee eines vollkommen objektiven Richters muss wohl eher als Ideal denn als Realität betrachtet werden. Die Diskussionen um die Justiz-Initiative, welche die periodische Neuwahl von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in Frage stellte, zeigen, dass es Bestrebungen gibt, das Justizsystem zu reformieren und möglicherweise den politischen Einfluss darauf zu verringern. Gleichzeitig gibt es Kritik an der aktuellen Praxis, dass Staatsanwälte Freiheitsstrafen ohne Gerichtsverhandlung aussprechen können, was Fragen zur Gewaltenteilung und zum politischen Einfluss aufhebt. Ein kurzer Vergleich zwischen der Schweizer und der deutschen Justiz bietet Einblicke in die jeweiligen Rechtssysteme und deren Funktionsweisen.

Rechtssystem: Die Schweiz hat ein föderales System, während Deutschland eine Bundesrepublik ist. Beide Länder haben ein Zivilrechtssystem, das auf dem römischen Recht basiert, aber es gibt Unterschiede in der Organisation und Struktur der Justiz.

Gerichtsstruktur: In der Schweiz gibt es kantonale Gerichte sowie Bundesgerichte. Deutschland hat ebenfalls eine dreigliedrige Gerichtsstruktur mit Amtsgerichten, Landgerichten und Oberlandesgerichten, ergänzt durch den Bundesgerichtshof.

Verfassung: Die Schweiz hat eine föderale Verfassung, die einzelnen Kantonen weitreichende Befugnisse einräumt. Deutschland hat ebenfalls eine föderale Verfassung, die die Macht zwischen Bund und Ländern aufteilt.

Rechtsprechung: Die Rechtsprechung in der Schweiz und in Deutschland erfolgt durch unabhängige Richter. Allerdings gibt es Unterschiede in der Art und Weise, wie Richter in der Schweiz ernannt und befördert werden, Richterinnen werden nach Parteistärken gewählt, damit alle Werte an den Gerichten demokratisch gerecht vertreten sind. Sobald ein Richter im Amt ist, soll die Partei aber keine Rolle mehr spielen.

Rechtsmittel: Beide Länder haben ein System von Rechtsmitteln, das es Parteien erlaubt, gegen Entscheidungen der Gerichte vorzugehen. In der Schweiz gibt es beispielsweise die Möglichkeit der Beschwerde ans Bundesgericht.

Gesetzgebung: Die Gesetzgebungskompetenzen unterscheiden sich zwischen der Schweiz und Deutschland aufgrund ihrer föderalen Strukturen. In der Schweiz können die Kantone in vielen Bereichen eigene Gesetze erlassen, während in Deutschland der Bund mehr Befugnisse hat. (Mitarbeit Roger Huber)

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