AusEs war eine grosse Geschichte, als 2022 die TA-Media Zeitungen und die RUNDSCHAU des SCHWEIZER FERNSEHEN den Vorwurf erhoben, bei der Richter-Zuteilung am Bundesverwaltungsgericht werde gemauschelt. Insbesondere bei den Asylabteilungen würden die Spruchkörper so zusammengestellt, dass am Ende «wunschgemässe» Urteile resultierten, hiess es.
In der Berichterstattung insbesondere der SONNTAGSZEITUNG wurde dabei das Beispiel von SVP-Asylrichter David Wenger zitiert. «Richter Gnadenlos» müsse sich vor der parlamentarischen Gerichtskommission verantworten, schrieben Denis von Burg und Mischa Aebi, Kommissionspräsident und SP-Nationalrat Matthias Aebischer bestätigte, ohne aber inhaltlich auf den Fall einzugehen. Geprüft werde, ob ein Amtsenthebungsverfahren gegen Wenger eröffnet werde. Die SONNTAGSZEITUNG erhob den Vorwurf, Wenger solle «einen Zweitrichter, der ihm vom automatischen Zuteilungssystem zur Seite gestellt worden war, kurzerhand durch einen ihm nahestehenden Richter ersetzt haben.»
Sachverhalt doch ein wenig anders
Unterdessen stellt sich die Sachlage gemäss einer Exklusivgeschichte von Beni Gafner im TAGESANZEIGER etwas anders dar. Dass Wenger eine Richterkollegin für einen konkreten Fall auswechseln liess, ist zwar erstellt. Der Hintergrund aber offenbar ein ganz anderer, als Wenger vorgeworfen worden war.
Konkret ging es bei dem inkriminierten Entscheid um einen Fall, den Wenger bereits früher – zusammen mit der ursprünglichen Richterkollegin – auf dem Tisch hatte und dann an das Staatssekretariat für Migration SEM schickte, welches weitere Abkehrungen vornehmen sollte. Als der Fall wieder ans Verwaltungsgericht zurückkam, hatte die Gerichtskanzlei offenbar die Richterkollegin, die mit Wenger zusammen bereits mit dem Fall beschäftigt war, durch eine Kollegin ausgetauscht. Das, so der TAGESANZEIGER, entspreche aber nicht der Praxis und dem Reglement, worauf Wenger hinwies und durchsetzte, dass die ursprüngliche Richter-Kollegin wieder auf dem Fall weiterarbeiten würde. Das macht auch aus Gründen der Verfahrensökonmie Sinn.
Andere Richter sehen den Fall gleich
Als die Richterrochade publik wurde, verlangte die Anwältin des Asylbewerbers eine Revision, die sie auch erhielt. Nur: Der Revisionsentscheid, den bislang mit dem Fall nicht betraute Richter fällten, kommt zum selben Schluss wie das ursprüngliche Urteil: Weil der Asylbewerber das Staatssekretariat angelogen hatte, muss er das Land verlassen.
Und mehr noch: Die Revisionsrichter setzten sich auch mit der angeblichen schweren Amtspflichtverletzung Wengers auseinander und kommen zwar zum Schluss, der Richterwechsel sei zu spät in dem Verfahren erfolgt, grundsätzlich habe Wenger aber «lediglich den reglementarisch vorgeschriebenen Zustand wiederherstellen wollen.»
Peinlich für Medien und Verwaltungskommissionen
Damit dreht der Wind in dem Fall um 180 Grad. Der TAGESANZEIGER zitiert dazu Wengers Anwalt Max Imfeld, der festhält, das neue Revisionsurteil sei sowohl für die Verwaltungskommission des Bundesverwaltungsgerichts wie auch diejenige des Bundesgerichts peinlich. Beide hatten die Amtsenthebung Wengers gefordert und müssen sich jetzt den Vorwurf gefallen lassen, den Sachverhalt nur schludrig geprüft – oder von Anbeginn an politisch motiviert gehandelt zu haben. Der TAGESANZEIGER geht davon aus, dass die Gerichtskommission aufgrund der neuen Erkenntnisse die Amtsenthebung wohl fallenlassen würde.
Problematik der Zusammenstellung bleibt
Nicht vom Tisch ist damit aber die Problematik, wie Richterinnen und Richter auf die verschiedenen Fälle verteilt werden. Eine Studie von Konstantin Büchel, Regina Kiener, Andreas Lienhard und Marcus Roller, die in der Richterzeitung publiziert worden war, machte bereits 2021 publik, dass für die Zuteilung der Richterinnen und Richter auf die einzelnen Fälle zwar Softwarelösungen eingesetzt würden, die Zuteilungen aber häufig manuell abgeändert wurden – beim Bundesverwaltungsgericht in rund 40 Prozent der Fälle.
Zudem zeigte die Recherche der RUNDSCHAU, dass das Bundesverwaltungsgericht bei Verfahren eines konkreten Anwalts, nämlich des Zürcher Ausländeranwalts Gabriel Püntner, regelmässig den Spruchkörper umbesetzte und als Grund im System «Püntener» hinterlegte. Der Anwalt, der vom Gericht schon mehrfach wegen tröllerischem Verhalten gebüsst wurde, wittert darin einen Versuch, die Spruchkörper so zusammenzustellen, dass er häufig unterliege. In der RUNDSCHAU erklärte er, in einem Drittel seiner Verfahren seien jeweils zwei SVP-Richter im Spruchkörper. Das Bundesverwaltungsgericht rechtfertigte seine Praxis damit, dass die Verfahren von Püntener häufig so ausufernd seien, dass sie manuell auf verschiedene Instruktionsrichter verteilt werden müssten, um die Arbeit sinnvoll bewältigen zu können.
Dass diese «Manipulationen» (SONNTAGSZEITUNG) grundsätzlich politisch bedingt wären, konnte die Studie allerdings nicht erhärten. – Ebenso wenig wie die Untersuchungen der parlamentarischen Geschäftsprüfungskommissionen, die ebenfalls 2021 einen Bericht in der Angelegenheit veröffentlichten, in dem sie 11 Empfehlungen an die verschiedenen Gerichte auf Bundesstufe aussprach. Beide Untersuchungen sehen allerdings Handlungsbedarf, um mehr Transparenz zu schaffen und den Vorwurf zu entkräften, dass politische Motive bei den Veränderungen der Spruchkörper eine Rolle spielen.