Bundesgericht: „ungeschickte Äusserungen“ oder „Lüge“ in zwei Steuerverfahren?

instan Das Steuerrecht ist getragen vom Prinzip der Mitwirkungs- und Kooperationsmaxime. Steuerpflichtiger und Steuerkommissär sollen nach Art. 123 Abs. 1 DBG gemeinsam die für eine vollständige und richtige Besteuerung massgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse festsetzen. Der Steuerkommissär ist der Verfahrensleiter und gehalten, die allgemeinen Verfahrensgarantien zu beachten. Die Praxis zeigt jedoch vielfach sonderbare Verhaltensweisen der Steuerbehörde und zweifelhafte Bundesgerichtsentscheide.

 Das Steuerveranlagungsverfahren ist konzeptionell so ausgerichtet, dass Steuerbehörde und Steuerpflichtiger kooperativ den massgebenden Sachverhalt erarbeiten. Diese Art der gesetzlich vorgesehenen Zusammenarbeit bedingt einen anständigen und pfleglichen Umgang miteinander. Den Steuerkommissär trifft als Verfahrensleiter eine sogenannte Fürsorgepflicht. Inhalt dieser Fürsorgepflicht ist die Gewährleistung der allgemeinen Verfahrensgarantien und die Einhaltung von fair trial.

 Zu Recht erwarten die Steuerpflichtigen, dass sie im Rechtsverkehr mit den Steuerbehörden korrekt und anständig behandelt werden. Noch gar nicht lange her ist die überlieferte Überzeugung, wonach es sich bei den Steuerpflichtigen um «Kunden» der Steuerbehörde handelt. Zwei Bundesgerichtsentscheide Zeit belegen einen sonderbaren Umgang der Steuerbehörde mit Steuerpflichtigen.

Fall 1 – Kanton St. Gallen

 Sehen wir uns als erstes das Urteil vom 24. Januar 2020 im Fall BGE 2C_717/2018 des Bundesgerichtes II. öffentlich-rechtliche Abteilung an. Die Besetzung: Bundesrichter Hansjörg Seiler (SVP), Präsident, Bundesrichter Thomas Stadelmann (Mitte), Bundesrichterin Julia Hänni (Mitte) Gerichtsschreiber König.

Eine AG klagte dabei gegen die Veranlagung der direkten Bundessteuer 2010-2012 bei den Staats- und Gemeindesteuern des Kantons St. Gallen. Und greift das Urteil B 2017/148 und 149 des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 13. Juli 2018 an.

 In Ziffer 4.2 des Urteils wird ausgeführt: «Die Beschwerdeführerin betrachtet die im E-Mail vom 29. September 2015 enthaltenen Wendungen „bekannte Masche bei <F.________-Gesellschaften>“, „<bekannte> Herren“ und „dahinter steckt z.T. wiederum M.________“ als genügend, um eine Voreingenommenheit des Steuerkommissärs L.________ zu bejahen.»  

Negative Konnotation

Die erwähnten Formulierungen finden sich in einem Abschnitt eines E-Mails, in welchem der Steuerkommissär die anlässlich einer Besprechung mit F. gemachten Feststellungen darlegt und von der Beschwerdeführerin getätigte Aufwendungen zugunsten nahestehender Personen thematisiert. Dabei erschöpfen sich die Formulierungen nicht darin, objektiv darauf hinzudeuten, dass die gleichen Beteiligten mehrfach ein gleiches Verhaltensmuster an den Tag gelegt hätten. Vielmehr weisen sie in ihrem Kontext in dem Sinne eine negative Konnotation auf, als damit implizit unterstellt wird, die jeweils gleichen Personen hätten wiederholt einen „Trick“ angewendet, um Steuern einzusparen. 

Der St. Galler Steuerkommissär ersuchte aber im Anschluss an die genannten Formulierungen die ASU, die Abteilung Strafsachen und Untersuchungen der Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV  um eine steuerliche Beurteilung der im E-Mail genannten Aufwendungen und tat damit kund, dass er sich noch keine definitive Meinung gebildet hat. Deshalb sind die erwähnten Formulierungen, obschon sie ungeschickt sind, nicht derart, dass auf einen Ausstandsgrund zu schliessen wäre. Das Bundesgericht belässt es also bei der Feststellung, dass es sich um «ungeschickte» Äusserungen des Steuerkommissärs handelt, die jedoch keinen Ausstand rechtfertigen.

 Distanzgefühl

Die Begründung des Bundesgerichts erstaunt. Begriffe wie «bekannte Masche», «bekannte Herren» und «Trick» lassen aus unabhängiger Distanz eine Form der Geringschätzung der Betroffenen durch den Steuerkommissär schliessen. Personen, die in der gegenseitigen Kommunikation derartige Begriffe verwenden, stehen offenkundig nicht in einem unbelasteten Verhältnis zueinander. Im Verfahren zur Steuerveranlagung sollte der Steuerpflichtige nicht mit der Verwendung solcher Begriffe rechnen müssen. Die Kooperationsmaxime im Steuerrecht setzt grundsätzlich ein «anständiges» Miteinander voraus. Einem Steuerkommissär, der Begriffe von der genannten Art verwendet, fehlt aber nachvollziehbar das sachliche Distanzgefühl. Deshalb müsste ein solcher er grundsätzlich von sich aus in den Ausstand treten und die Fallbearbeitung einem anderen Steuerkommissär übertragen.

Interessant ist der Vergleich, ob das Bundesgericht gegenüber dem Steuerpflichtigen ebenso grosszügig begegnet, wenn dieser solche Begriffe verwendet. Wir haben recherchiert, leider aber keinen einzigen Fall dafür gefunden.

 Fall 2 – Kanton Zürich

Im zweiten heutigen Fall 2C_649/2021 vom 21. Oktober 2021 ist nochmals Bundesrichter Hansjörg Seiler (SVP) und Bundesrichterin Julia Hänni (Mitte) dabei. Zusätzlich Bundesrichter Stephan Hartmann (Grüne Partei) sowie Gerichtsschreiber Zollinger.

 Dieses Verfahren hatte die direkte Bundessteuer 2012 der Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Zürich zum Thema. Der Beschwerdeführer A. klagte gegen das Kantonale Steueramt Zürich und gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 2. Abteilung, vom 26. Mai 2021 (SB.2021.00037). 

Dabei monierte Ankläger A. in einem Ausstandsverfahren gegen einen Zürcher Steuerkommissär monierte der Steuerpflichtige, dass der zuständige Steuerkommissär fallrelevante Akten berechnend mehrfach verschwiegen hatte. In Erwägung 5.2.3 erwähnt das Bundesgericht, «dass der Beschwerdeführer in seinem Gesuch um Akteneinsicht vom 23. September 2019 ausdrücklich auf eine „ASU-Kontamination“ des Veranlagungsverfahrens hinwies.»

 Die Unwahrheit

Pauschal ausgedrückt, hat das Bundesgericht verbindlich festgestellt, dass der Steuerkommissär einen ökonomischen Umgang mit der Wahrheit gepflegt hat oder schlicht die Unwahrheit geäussert hat. Trotz dieser (wenigstens für Aussenstehende) schockierenden Einschätzung ahndet es das Bundesgericht in seinem im Urteil nicht. Ausser mit dem Hinweis, die Aussage des Steuerkommissärs sei «ungeschickt» gewesen. Einen Ausstandsgrund will das Bundesgericht in diesem Verhalten nicht erkennen. Umgekehrt verhält es sich anders. Wenn ein Steuerpflichtiger lügt, ist seine Glaubwürdigkeit im Verfahren dahin.

Hier misst das Bundesgericht offenbar mit zwei unterschiedlichen Ellen. Es wird interessant sein zu beobachten, ob die Bundesgerichtspraxis die Taktik der «ungeschickten» Kommunikation künftig auch den Steuerpflichtigen zubilligt. Damit wäre dem im Verwaltungsrecht herrschenden Paradigma der Waffengleichheit einen Dienst erwiesen. Allerdings muss auch hierzu an die Kooperationsmaxime erinnert werden. Eine vertrauliche Kommunikation zwischen Steuerbehörde und Steuerpflichtigem ist bei Anwendung der «ungeschickten Kommunikation» eigentlich nicht vorstellbar. Mitarbeit Marc Huber

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