Untersuchungshaft im Wandel – neuer Ansatz

Die Kantone Zürich und Bern haben einen Versuch gestartet, um die Bedingungen in der Untersuchungshaft zu verbessern. Durch Gespräche, Stressmanagement und mehr Betreuung sollen die Schäden durch die Haft verringert werden. Dieses Projekt läuft seit Herbst 2023. Es wird von der Universität und der ETH Zürich wissenschaftlich begleitet. Es geht darum, die Ressourcen der Inhaftierten zu erhalten und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu erleichtern. (Bild: Ascot: „Stürm: Bis wir tot sind oder frei“)

Untersuchungshaft ist eine harte Haftform. Betroffene kommen von heute auf morgen ins Gefängnis und müssen den Kontakt zur Aussenwelt abbrechen. So soll verhindert werden, dass Absprachen getroffen werden. Oft bleibt keine Zeit, um private Dinge zu regeln. Das kann zu Problemen führen. Für alle Personen in Untersuchungshaft gilt die Unschuldsvermutung. Das hat die Zürcher Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) erklärt. Der Kanton Zürich hat 2014 eine Rüge von der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter bekommen, weil er Untersuchungshäftlinge schlecht behandelt hat.

Die Kantone Zürich und Bern haben deshalb gemeinsam einen Versuch gestartet, um die Untersuchungshaft weniger schädlich zu machen. Die meisten Gefangenen kommen früher oder später wieder frei, sagt Fehr. Der Versuch hat im Herbst 2023 angefangen. Ab August 2024 werden Mitarbeiter der Zürcher Untersuchungsgefängnisse im ehemaligen Gefängnis Meilen speziell ausgebildet.

Der Modellversuch hat sechs Schwerpunkte:

  • Beim Eintritt in die U-Haft wird mit den Gefangenen gesprochen. In den ersten drei Tagen werden Lebensbereiche wie Wohn- oder Arbeitssituation erfasst. Wenn nötig, werden sofort Massnahmen eingeleitet.
  • Ein Programm zum Umgang mit Stress soll den Inhaftierten helfen, damit sie besser mit ihrer Situation klarkommen.
  • Mitarbeitende in den Untersuchungsgefängnissen machen eine neue Ausbildung. So können sie die Beziehungen zu den Inhaftierten besser gestalten und deren Ressourcen erhalten und fördern.
  • Die Inhaftierten dürfen Kontakt zu ihren Angehörigen und Bezugspersonen haben.
  • Der Übergang in die Freiheit oder in den Strafvollzug nach der U-Haft wird begleitet.

Die Inhaftierten sollen nach der Haftentlassung erfolgreich in die Gesellschaft zurückfinden. Dafür arbeiten die verschiedenen Dienste im Gefängnis enger zusammen.

Insgesamt nehmen elf Gefängnisse an dem Modellversuch der Kantone Zürich und Bern teil. Der Berner Sicherheitsdirektor Philippe Müller sagte: „Es geht darum, Kosten zu vermeiden.” Aber die Untersuchungshaft ist immer noch Haft. Der Modellversuch darf die Strafverfolgung nicht beeinflussen.

23 Stunden

Früher konnte man nicht mehr mit der Aussenwelt kommunizieren, wenn man in Untersuchungshaft kam. Man konnte keine persönlichen Angelegenheiten regeln, niemand wurde informiert und man war 23 Stunden am Tag eingesperrt. Diese Zeiten sind vorbei, zumindest in den Kantonen Zürich und Bern. Die Bedingungen in der Untersuchungshaft wurden verbessert. Neu gilt das 16/8-Modell: Heute sind U-Häftlinge im Gruppenvollzug und dürfen sich tagsüber frei bewegen. Sie müssen aber immer noch 16 Stunden in ihrer Zelle bleiben.

Seit Oktober 2023 läuft in den Kantonen Zürich und Bern ein Modellversuch in elf Untersuchungsgefängnissen. Das Programm ist freiwillig. Bisher haben sich 40 Prozent der Inhaftierten bereit erklärt, mitzumachen. Fehr und Müller haben den Modellversuch den Medien vorgestellt. Aber man muss beachten, dass die Unschuld vermutet wird. Deshalb geht es vor allem darum, die Leute wieder in die Gesellschaft einzugliedern“, sagte Fehr.

Beim ersten Gespräch ist der Sozialdienst dabei und bespricht mit den Inhaftierten ihre Situation. Die Insassen sollen nicht ihren Arbeitsplatz oder ihre Wohnung verlieren. Beim Haftantritt kann man mit dem Sozialdienst sprechen. Wenn man die Miete nicht mehr bezahlen kann, wird gemeinsam nach einer Lösung gesucht. Solche Massnahmen werden immer mit der Staatsanwaltschaft abgesprochen, damit die laufenden Ermittlungen nicht gestört werden.

12,8 Mio. Franken

Ein weiteres Programm hilft den Inhaftierten, mit Stress umzugehen. Auch die Gefängnisangestellten werden geschult, damit sie besser auf die Inhaftierten eingehen können. Das Projekt kostet insgesamt 12,8 Millionen Franken. Das Bundesamt für Justiz unterstützt das Projekt, damit die erfolgreichen Massnahmen auch in anderen Kantonen angewendet werden können.

„Wir machen jetzt erst mal eine Atemübung. Dann schauen wir uns die Probleme an, die sich lösen lassen. Ein Coach sagt in einer Zelle im ehemaligen Gefängnis Meilen: „Wir lassen alles, was nicht lösbar ist, beiseite.“ Es geht gerade um Stressbewältigung. Die meisten Tatverdächtigen sind geschockt, wenn sie in Untersuchungshaft kommen. Die Behörden schränken die Bewegungsfreiheit der Betroffenen stark ein, um zu verhindern, dass sie fliehen, sich absprechen oder Beweismittel zerstören.

Die Mitarbeiter der Justizdirektion spielen im ehemaligen Gefängnis Meilen, das heute als Schulungszentrum dient, verschiedene Szenen. Damit soll gezeigt werden, wie die Untersuchungshaft in Zukunft besser ablaufen soll. Die Kantone Zürich und Bern haben ein Projekt für die ganze Schweiz gestartet: einen Modellversuch für Untersuchungshaft. Der Kanton Zürich stand in der Vergangenheit wegen des strengen Haftregimes und der veralteten Infrastruktur in der Kritik. Die Häftlinge durften 23 Stunden am Tag nicht raus und durften nicht telefonieren. Sie durften auch nicht mit ihren Angehörigen sprechen. Viele Betroffene wurden dadurch psychisch krank. 2014 kritisierte die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter den Umgang mit den Häftlingen.

Negative Folgen mildern

Die Justizdirektorin Fehr wollte die Untersuchungshaft reformieren. Sie will, dass die negativen Folgen so gut wie möglich gemildert werden. Seitdem gibt es in der U-Haft Gruppenvollzug und Beschäftigungsmassnahmen. Auch das Gefängnis Zürich-West, das 2022 eröffnet wurde, soll dazu beitragen, die Situation zu verbessern. Untersuchungshäftlinge können heute bis zu acht Stunden ausserhalb der Zelle verbringen. Sie dürfen arbeiten und Kurse besuchen. Es gibt mehr Sportangebote.

In elf Untersuchungsgefängnissen in den Kantonen Bern und Zürich gibt es einen Modellversuch. Dieser sieht weitere Massnahmen vor, um Haftschäden zu verhindern. In den ersten drei Tagen soll es ein Gespräch über das Leben geben. Darin wird gefragt, ob alle zu Hause versorgt sind. Wer kümmert sich um das Haustier? Ist die Miete bezahlt? Haben Sie Schulden? Wenn nötig, kümmern sich Fachleute sofort um die Betroffenen.

Es soll ein Programm gegen Stress im Gefängnis geben. Das Online-Tool für Stressberufe wurde für den Gebrauch im Gefängnis angepasst. Hier machen die Insassen Atem- und Mentalübungen. Ausserdem gibt es ein neues Ausbildungsprogramm für die Aufseherinnen und Aufseher. Damit sollen sie lernen, besser mit den Insassen umzugehen.

Der Berner Regierungsrat Philippe Müller sagte: „Wenn mehr Menschen im Gefängnis sind, kostet es mehr, sie wieder in die Gesellschaft einzugliedern.“ Untersuchungshaft ist aber immer noch Haft. Es ist wichtig, dass der Versuch keine Auswirkungen auf das Strafverfahren hat. Die Inhaftierten können selbst entscheiden, ob sie am Programm teilnehmen möchten. Im Moment nehmen zwei von fünf Inhaftierten am Eintrittsgespräch teil. Für rund 40 Prozent aller Insassen der Zürcher Untersuchungsgefängnisse gibt es keine solchen Angebote. Diese Gruppe sind ausländische Tatverdächtige, die im Ausland wohnen.

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