Der Ousman Sonko, ehemaliger Innenminister Gambias, ist vom Bundesstrafgericht in Bellinzona zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt worden. Die Verhandlung führten die Bundesstrafrichter Alberto Fabbri (Vorsitz, Bild unten links), Martin Stupf (Bild unten, in der Mitte) und Joséphine Contu Albrizio (ohne Bild). Gerichtsschreiberin war Fiona Krummenacher. Die zuständige Staatsanwältin spricht von einem Meilenstein der Rechtsprechung.
Ousman Sonko, der ehemalige Innenminister Gambias und dort als „Folterkommandant“ berüchtigt, ist am Bundesstrafgericht in Bellinzona am Mittwoch zu einer Freiheitsstrafe von 20 Jahren verurteilt worden. Die Bundesanwaltschaft hatte mehrere Jahre ermittelt, die Hauptverhandlung dauerte über mehrere Monate.
Sonko hatte in einer Unterkunft für Asylbewerber in Lyss im Kanton Bern gewohnt. Dort wurde er von einem Landsmann erkannt und im Januar 2017 verhaftet. Die Genfer Menschenrechtsorganisation Trial erstattete daraufhin Strafanzeige. In der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft werden Sonko etliche Verbrechen vorgeworfen.
Anklage
In der Anklageschrift liest sich dies wie folgt: Mord, eventualiter vorsätzliche Tötung, subeventualiter vorsätzliche Tötung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit; mehrfache schwere Körperverletzung, eventualiter mehrfache Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit; mehrfache Gefährdung des Lebens, mehrfache Nötigung, mehrfache Vergewaltigung, eventualiter mehrfache Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung durch Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit; mehrfache qualifizierte Freiheitsberaubung, eventualiter mehrfache Freiheitsberaubung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit; mehrfache vorsätzliche Tötung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, eventualiter vorsätzliches Nichtverhindern der Tötung als Vorgesetzter; mehrfache Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, eventualiter mehrfaches vorsätzliches Nichtverhindern von Folter als Vorgesetzter; mehrfache Freiheitsberaubung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit; eventualiter mehrfaches vorsätzliches Nichtverhindern von Freiheitsberaubung als Vorgesetzter.
Verübt hatte er diese als Polizeichef und Innenminister über mehrere Jahre hinweg, als er Teil der Regierung von Yahya Yameh. Der Diktator regierte das Land gut zwanzig Jahre äusserst repressiv. Die meisten der Verbrechen hatte Sonko selbst ausgeführt oder ihm unterstellte Personen beauftragt. Opfer waren häufig Oppositionelle, Journalisten und mutmassliche Putsch-Beteiligte.
Verfahren in der Schweiz
Dass die Schweizer Justiz in diesem Fall ermittelte, liegt am sogenannten Weltrechtsprinzip, auch universelle Gerichtsbarkeit genannt. Dadurch soll verhindert werden, dass sich Täter in Drittländer absetzen können, um sich einer strafrechtlichen Untersuchung zu entziehen. Zudem hat die Schweiz bereits 2011 einen neuen Passus ins Strafgesetzbuch (Art. 264 a ff. StGB) aufgenommen. Dieser sieht vor, dass «Verbrechen gegen die Menschlichkeit», also Kriegsverbrechen und Genozid verfolgt werden müssen, sobald sich der Tatverdächtige in der Schweiz befindet.
Der Verteidiger des Beschuldigten, Rechtsanwalt Philippe Currat, hat immer wieder argumentiert, dass der neue Gesetzesartikel rückwirkend angewendet werden dürfe. Alle Anklagepunkte, die sich auf den Zeitraum vor 2011 beziehen, seien deshalb zu streichen. Die Richter widersprachen dieser Sichtweise, das Rückwirkungsverbot gelte in diesem Gesetzesartikel nicht. Diese Frage muss jedoch noch abschliessend vom Bundesgericht geklärt werden, wo ein ähnlicher Fall hängig ist, bei dem es um Kriegsverbrechen in Liberia geht.
Verurteilungen würden für 75 Jahre reichen
Die Bundesanwaltschaft hatte eine lebenslängliche Freiheitsstrafe für Ousman Sonko beantragt. Sonko ist seit Januar 2017 in der Schweiz inhaftiert. Der Verteidiger forderte einen vollumfänglichen Freispruch für seinen Mandanten. Der Gerichtsvorsitzende Alberto Fabbri führte aus, dass die Kumulierung aller Verurteilung theoretisch zu einer Gefängnisstrafe von über 75 Jahren führen würde. Eine solch hohe Freiheitsstrafe ist in der Schweiz aber nicht möglich. Das Gericht legte das Strafmass schlussendlich auf 20 Jahre fest. Der Mord an Baba Jobe zog die höchste Einzelstrafe von 15 Jahren nach sich.
Schuldig gesprochen wurde er für mehrfache vorsätzliche Tötung (der mehrfachen vorsätzlichen Tötung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a Abs. 1 lit. a StGB), mehrfache Freiheitsberaubung (der mehrfachen Freiheitsberaubung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a Abs. 1 lit. d StGB)) und mehrfache Folter (der mehrfachen Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Art. 264a Abs. 1 lit. f StGB).
Millionenkosten für die Eidgenossenschaft – gutes Geschäft für die Anwälte
Der Gerichtspräsident sagte weiter, der Angeklagte habe keine Reue gezeigt und sei nicht an einer Klärung interessiert. Er kritisierte das „obstruktive Verhalten“ des Angeklagten. Sonko wurde auch dazu verurteilt, den Klägern und der Schweizerischen Eidgenossenschaft eine Entschädigung für die in diesem Prozess entstandenen Kosten zu zahlen. Dies würde sich auf 3,9 Millionen US-Dollar belaufen. Die von Sonko einbehaltenen 14.413,30 Schweizer Franken (16.000 USD) wurden bereits den Klägern zur Deckung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche zugewiesen. Anwalt Konrad Jeker hat noch weitere Zahlen auf seiner Plattform strafprozess.ch publiziert. So haben die Opfer Sonkos als Privatklägerinnen insgesamt ca. CHF 220’000 als Genugtuung erstritten haben. Sie erhalten davon ca. CHF 14,000, die man bei Sonko beschlagnahmen konnte. Die Parteientschädigungen ihrer Vertreterinnen (unentgeltliche Rechtsvertretungen) betrugen ca. CHF 1,4 Mio., die von der Eidgenossenschaft übernommen werden. Das entspricht ungefähr dem Hundertfachten dessen, das ihre Klientinnen tatsächlich erhalten werden. Ein gutes Geschäft hat auch der amtliche Verteidiger Currat mit diesem Fall gemacht. Er wurde für seine Arbeit übrigens mit rund 1.1 Millionen Franken entschädigt. Auch hier zahlbar durch die Eidgenossenschaft oder uns Steuerzahler.
In den Vergewaltigungsfällen wurde das Verfahren eingestellt. Die bis zum Urteilsdatum ausgestandene Polizei-, Untersuchungs- und Sicherheitshaft von insgesamt 2667 Tagen wird auf den Vollzug der Strafe angerechnet. Ousman Sonko wird für die Dauer von 12 Jahren des Landes verwiesen. Es wird die Ausschreibung der Landesverweisung (Einreise- und Aufenthaltsverweigerung) im Schengener Informationssystem angeordnet. Der Kanton Bern wird dabei als Vollzugskanton bestimmt.
JUSTICEINFO.NET
In der Publikation JUSTICEINFO.NET aus Lausanne wurde ausführlich über den Fall berichtet. „Die Räder der Justiz mögen sich langsam drehen, aber dieses Urteil ist ein klares Zeichen dafür, dass sie sich drehen, und zu gegebener Zeit werden alle, die für solche Verbrechen verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden. Es ist ein starker Präzedenzfall für die Rechenschaftspflicht, unabhängig von der Position oder dem Standort einer Person. Die Auswirkungen gehen weit über diesen Fall hinaus und signalisieren den Tätern weltweit, dass die Gerechtigkeit sie irgendwann einholen wird“, sagte Isatou Jammeh, eine gambische Menschenrechtsaktivistin. „Ich denke, dass dies die Chancen für weitere Strafverfolgungen in Gambia, aber auch in anderen Teilen der Welt erhöhen wird. Es ist also ein guter Tag für die Justiz“, pflichtete Philip Grant, Direktor von Trial International, der Schweizer Nichtregierungsorganisation, die das Verfahren gegen Sonko initiiert hatte, bei.
„Die Verurteilung von Ousman Sonko, einer der Stützen des brutalen Regimes von Yahya Jammeh, ist ein wichtiger Schritt auf dem langen Weg zur Gerechtigkeit für die Opfer Jammehs“, sagte der amerikanische Menschenrechtsanwalt Reed Brody in Bellinzona, der eine Kampagne zur Auslieferung Jammehs aus Äquatorialguinea, wo er nach seinem Sturz Asyl suchte, und zu seiner Verurteilung anführt. Brody sagte, der Prozess zeige, „wie schwierig es ist, wenn Richter Tausende von Kilometern von dem Ort entfernt sitzen, an dem die Verbrechen stattgefunden haben oder angeblich stattgefunden haben, wenn die meisten Beweise, eigentlich alle Beweise auf Zeugenaussagen beruhen und es nur sehr wenige bestätigende Dokumente gibt“. Er betonte jedoch, dass die gambische Wahrheits-, Versöhnungs- und Wiedergutmachungskommission (TRRC), die drei Jahre lang die unter Jammehs Regime begangenen Verbrechen untersuchte, „eine wirklich wichtige Arbeit geleistet hat, um den Kontext zu schaffen. Die Schweizer Behörden haben ihr Bestes getan und die Zeugen waren sehr überzeugend“.
Sabrina Beyeler, die zuständige Staatsanwältin der Schweiz , zeigte sich im Anschluss zufrieden über das Urteil. Es sei ein wichtiger Meilenstein im Bereich Völkerstrafrecht. Die Schweiz leiste damit einen wesentlichen Beitrag zur Fortentwicklung der Rechtsprechung, nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene.
Sonkos Anwalt Currat (Bild untern, rechts) will nun in Absprache mit seinem Mandanten prüfen, ob sie gegen das Urteil Beschwerde erheben, jedoch erst, wenn das schriftliche Urteil vorliegt.