Eine heute 73-jährige Frau hat als Geschäftsführerin der inzwischen in Konkurs gegangenen Fera AG gut 400 Millionen Franken veruntreut. Dafür muss sie nun gut vier Jahre ins Gefängnis. Dass sie so glimpflich davonkommt, liegt vor allem an der Überforderung der Bundesanwaltschaft und einem groben Fehler des ehemaligen Bundesanwalts Michael Lauber.
Im Alter von 40 Jahren emigrierte die heute 73-Jährige aus Deutschland. Dort hatte sie die längste Zeit als Arzthelferin gearbeitet. In der Schweiz gelang es ihr – die Umstände sind bis heute nicht geklärt -, Geschäftsführerin der Luzerner Maschinenhandelsfirma Fera AG zu werden. Zu ihren Aufgaben gehörte es, Vorfinanzierungen für Maschinenkäufe zu organisieren. Zu diesem Zweck schloss sie Verträge mit Banken und Versicherungen ab, um angeblich im Auftrag anderer Firmen Maschinen zu kaufen. Die Banken überprüften diese Aufträge nicht weiter. Das Geld floss dann grösstenteils in ihre eigene Tasche. Damit finanzierte sie sich ein luxuriöses Leben in der Schweiz.
Doch 2010 kam ihr die Zürcher Bank Skandifinanz auf die Schliche. Da es sich um einen Betrug riesigen Ausmasses handelte, übernahm die Bundesanwaltschaft den Fall. Der Schaden: 400 Millionen Franken. Urkundenfälschung in über 100 Fällen und gewerbsmässiger Betrug lauten die Hauptanklagepunkte gegen die heute 71-jährige Angeklagte. Gemäss Anklageschrift der Bundesanwaltschaft (BA) soll sie von 2002 bis 2010 als Geschäftsführerin der Fera AG unzählige Urkunden gefälscht und damit Scheingeschäfte vorgetäuscht haben, um von Banken Kredite in Millionenhöhe zu erhalten. Dabei hat sie laut Bundesanwaltschaft ein ausgeklügeltes Lügengebäude aufgebaut, um die Banken von der Echtheit der Geschäfte zu überzeugen. So soll die Angeklagte die einzelnen Geschäfte tatsächlich versichert haben.
Tatsächlich gab es aber nur wenige Maschinen und noch weniger abgeschlossene Geschäfte. Die 71-Jährige und ihr Ehemann sollen Gelder aus den Firmen entnommen haben. Allein bei der St. Galler Boutique Akris in Frankfurt habe die Angeklagte zwischen 2002 und 2009 für rund eine Million Franken eingekauft. Etwa im gleichen Zeitraum wurden Bargeldbezüge in der Höhe von 9,4 Millionen Franken getätigt. Über elf Jahre dauerte es, bis sie insgesamt 1550 Bundesordner mit Akten zusammengetragen hatte. Dann begann der Prozess: 2021 forderte Skandifinanz vor Gericht 134 Millionen Euro zurück. Und auch die Konkursmassen der Fera und ihrer Muttergesellschaft Blue Steel Holding (BSH) stellten laut Anklageschrift Zivilforderungen von rund 206 Millionen beziehungsweise 123 Millionen Franken. Die BSH wurde vom Ehemann der Angeklagten kontrolliert. Neben der Hauptangeklagten ist ein ehemaliger Vizedirektor der Skandifinanz Bank wegen Gehilfenschaft bei einer Transaktion im Jahr 2009 angeklagt. Es handelt sich um einen der grössten Betrugsfälle der Schweiz. Die Akten umfassen 1550 Bundesordner und mussten mit einem Lastwagen zum Gericht transportiert werden.
Lange Verfahrensdauer und Verfahrensfehler
Allein die Bundesanwaltschaft brauchte elf Jahre, um den Fall vor Gericht zu bringen. 2021 kam es zur Hauptverhandlung. Schon da gewährte das Bundesstrafgericht der Deutschen einen Strafrabatt von 50 Prozent und verurteilte sie deshalb nur zu vier Jahren Haft.
Im Januar 2024 sollte die Berufungsverhandlung stattfinden. Dort wollte die Bundesanwaltschaft das Strafmass erhöhen. Doch die Verhandlung wurde abgesagt, eine Verschärfung der Strafe ist nicht mehr möglich. Grund dafür ist ein Fehler des damaligen Bundesanwalts Michael Lauber. Er war wegen Geheimgesprächen im Fifa-Korruptionsverfahren stark in die Kritik geraten und deshalb zurückgetreten. Er war es auch, der im Fall Fera die Ermittlungen leitete und sie einem Privatanwalt aus Olten übergab, der dann als „ausserordentlicher Staatsanwalt“ fungierte. Lauber hatte ohne gesetzliche Grundlage einen ausserordentlichen Staatsanwalt eingesetzt. Wie sich nun vor dem Berufungsverfahren herausstellte, war dies nicht zulässig. Ein ausserordentlicher Staatsanwalt darf nur für Verfahren gegen eigene Personen eingesetzt werden. Sämtliche Verfahrenshandlungen des ausserordentlichen Staatsanwalts müssten daher für nichtig erklärt werden.
Das Bundesgericht geht nun aber einen besonderen Kompromiss ein und erklärt nicht alle Verfahrenshandlungen des ausserordentlichen Staatsanwalts für nichtig, sondern nur die Berufungserklärung. Eine Verschärfung des Strafmasses ist damit vom Tisch. Bis das Hauptverfahren weitergeführt werden kann, muss nun das Bundesgericht klären, wer das Verfahren leitet. Dieses dauert bereits 14 Jahre und das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Angeklagte sass erst 107 Tage in Untersuchungshaft. Verschiedene Delikte sind wegen der langen Verfahrensdauer bereits verjährt.
Zuständig für die Ernennung eines ausserordentlichen Staatsanwalt des Bundes ist nicht der Bundesanwalt, sondern die AB–BA, also die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (Art. 67 StBOG). Hat hier tatsächlich der Bundesanwalt einen ausserordentlichen Staatsanwalt ernannt oder handelt es sich bei dieser Behauptung um eine Fehlaussage?