Hand aufs Herz; wenn Ihnen ein «guter Bekannter» eine Verzinsung ihres Kapitals von 4.0% im Jahr offeriert, dann würden Sie wohl schnell einmal die Augenbrauen hochziehen und dem «Bekannten» freundlich aber bestimmt die Türe weisen. Wer jedoch Steuern zu spät bezahlt, wird in der Schweiz massiv zur Kasse gebeten.
Hand aufs Herz; wenn Ihnen ein «guter Bekannter» eine Verzinsung ihres Kapitals von 4.0% im Jahr offeriert, dann würden Sie wohl schnell einmal die Augenbrauen hochziehen und dem «Bekannten» freundlich aber bestimmt die Türe weisen.
Wer jedoch Steuern zu spät bezahlt, wird in der Schweiz massiv zur Kasse gebeten. Nach der Zinssatzverordnung des Bundes (SR.631.014, in Kraft seit 01. Januar 2022) «genehmigt» sich die Steuerbehörde einen Verzugszins von 4.0% p.a. Soweit erkennbar, drückt die Steuerbehörde diesen «Forderungstitel» gegenüber säumigen Steuerzahlern jeweils kompromisslos durch, was bei langwierigen Veranlagungsstreitereien schnell absurd hohe Verzugszinsen produziert. Verzugszinsen dienen aber nach der Bundesgerichtspraxis höchstens dem Ausgleich von Zinsvorteil und Zinsnachteil.
Allerdings stellt sich nun die Frage, wo denn bei der jahrelang anhaltenden Nullzinsphase der angebliche Zinsgewinn liegen soll? Die Teuerung zwischen Januar 2010 und März 2022, ein Zeitraum von 12 Jahren, beläuft sich gemäss Bundesamt für Statistik auf bescheidene 1.0 Punkt (*).
Bewusstes Gericht
Steuerbehörden und Bundesgericht sind sich dieser Problematik wohl durchaus bewusst. So führt das Bundesgericht in der Besetzung Kernen als Präsident, Richter Meyer und Borella, Richterinnen Piffner, Rauber und Glanzmann sowie Gerichtsschreiberin Dormann im Entscheid 9C_62/2013 E. 3.3.2.2 aus, dass der Verzugszins auch der Abgeltung des administrativen Aufwands der Behörde dient.
Die Abgeltung des administrativen Aufwands in eine direkte Korrelation zum Verzugszins zu stellen, wirkt aber gesucht und falsch. Es ist nicht erkennbar, worin der aufwandmässige Unterschied des Mahnwesens zwischen einer kleinen und einer grossen Steuerforderung liegen soll. Der in Rechnung gestellte Betrag des Verzugszinses als Ersatz des «administrativen Aufwand» führt jedoch in der Anbindung an den Verzugszins je nach geschuldetem Steuerbetrag zu unverhältnismässig geringen oder zu absurd hohen Beträgen. Hierzu stellen sich allein Fragen der Gleichbehandlung.
Weiter stellen sich Überlegungen, ob der allenfalls tatsächlich angefallene Inkassoaufwand nicht viel eher über die Regelung des Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (SchKG) geregelt werden soll. Das SchKG ist thematisch deutlich näher an der Sache dran als der Verzugszins als abstrakte Grösse.
Immer mehr Steuerpflichtige wehren sich gegen die steuerrechtliche Verzugszinspraxis und wagen den Gang durch die Rechtsmittelinstanzen. Zu Recht, denn Verzugszinsen in Höhe von 4.0% p.a. stellen in einem Nullzinsumfeld nichts anderes dar als eine verpönte Verdachtsstrafe. Solche Strafen wirken mit Blick auf die EMRK bedenklich. Mit Spannung wird die weitere Gerichtspraxis zu den Verzugszinsen weiterverfolgt und wer weiss, vielleicht entscheidet demnächst der Europäische Gerichtshof (EGMR) über diese Frage.
Dass es nämlich auch ganz anders gehen kann, zeigt Deutschland in einem Entscheid vom 8. Juli 2021 (deutsches Bundesverfassungsgerichts 1BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17). Das deutsche Verfassungsgericht erklärt solche Verzugszinsen als «evident realitätsfern».
(*) Quelle: https://lik-app.bfs.admin.ch, Indexbasis: 12.2010 = 100 Punkte, Indexstand März 2022: 101.00 Punkte, die Teuerung in dieser Zeit betrug 1.0 Punkt!