Vincenz-Urteil aufgehoben – Klatsche für Staatsanwalt und Bezirksgericht

Eklat in der Causa Vincenz/Stocker. Das Zürcher Obergericht hebt das Urteil der Vorinstanz, des Bezirksgerichts Zürich, auf und weist denn Fall an die Staatsanwaltschaft zurück. Das ist eine Klatsche sowohl für Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel (Bild unten rechts) wie für Bezirksgerichtspräsident Sebastian Aeppli (Bild unten links).

Mit seinem Entscheid SB230113-O/U/cwo vom 25. Januar 2024 urteilt das Obergericht nicht materiell (inhaltlich) über Schuld oder Unschuld. Soweit kam es gar nicht. Das Obergericht (Besetzung: Christian Prinz, Maya Knüsel und Roberto Faga) stellte so gravierende Mängel beim Verfahren der Vorinstanz fest, dass es den Fall zur Überarbeitung an die Staatsanwaltschaft zurückweist. 

In einer Medienmitteilung zu dem Urteil begründet das Obergericht, «die in einem Strafverfahren zentralen Ansprüche auf rechtliches Gehört und auf eine den gesetzlichen Vorgaben entsprechende Anklageschrift» seien verletzt worden. Weil diese Mängel vom Obergericht selbst nicht korrigiert (in Juristendeutsch: «geheilt») werden können, bleibe dem Obergericht nur, das Urteil aufzuheben und an die Staatsanwaltschaft zurückzuweisen.

Interessant auch der letzte Satz im Lead der Medienmitteilung: «Der Anspruch auf ein faires Gerichtsverfahren gilt für alle Beschuldigten, unabhängig von deren Bekanntheit oder der Grösse und Komplexität des Falles.»

Rückblende

Zur Erinnerung: Das Bezirksgericht Zürich hatte 2022 in einem der spektakulärsten Wirtschaftsprozesse seit vielen Jahren den ehemaligen Raiffeisen-CEO Pierin Vincenz, den ehemaligen Aduno-CEO und Weggefährten Vincenz‘, Beat Stocker und vier weitere Beschuldigte wegen gewerbsmässigem Betrug und weiteren Delikten zu teilweise empfindlichen Gefängnisstrafen verurteilt. Die Hauptangeklagten Vincenz und Stocker hätten gemäss dem Urteil Haftstrafen von drei Jahren und neun Monaten (Vincenz) und vier Jahren (Beat Stocker) absitzen müssen. Strafen in dieser Höhe können auch nicht mehr bedingt ausgesprochen werden, d.h. die beiden Hauptbeschuldigten hätten ihre Strafen tatsächlich antreten müssen.

Vorgeworfen worden war den Hauptbeschuldigten insbesondere, dass sie private Vergnügungen als Spesen abgerechnet hatten und dass sie bei Unternehmenstransaktionen für die Unternehmen, bei denen sie als Top-Manager angestellt gewesen waren, im Hintergrund und privat als Teilhaber der Gegenparteien beteiligt waren, ohne das transparent zu machen.

Viele Fragezeichen

Das Verfahren war durch verschiedene Umstände negativ aufgefallen: Zum einen waren bereits während der Strafuntersuchung regelmässig Informationen, welche ein schlechtes Licht auf die Hauptbeschuldigten warfen, an verschiedene Medien, insbesondere die SONNTAGSZEITUNG, durchgestossen. So wurde beispielsweise seitenweise ausgebreitet, wie die Hauptbeschuldigten auf Spesen in Zürcher Nachtclubs verkehrten oder nach einem Prostituiertenbesuch eine Suite demolierten, die dann auf Geschäftskosten repariert werden musste.

Zum anderen leistete sich auch das Bezirksgericht Zürich einige peinliche Fehler. So gelang es Gerichtspräsident Sebastian Aeppli zum Beispiel nicht, für alle Verhandlungstage einen ausreichend grossen Gerichtssaal zu organisieren, um dem Anspruch eines öffentlichen Prozesses zu genügen. Verschiedene Medien konnten so z.B. nicht über den Prozess berichten. Fragwürdig bliebt zudem, dass wichtige Zeugen wie beispielsweise der ehemalige Raiffeisen Verwaltungsratspräsident Prof. Dr. Johannes Rüegg-Stürm, der als Vorgesetzter Vincenz‘ seine Spesenabrechnungen abzeichnete, nicht persönlich gehört wurden. – Das ist zwar gemäss Strafprozessordnung möglich, erscheint aber fragwürdig. Verschiedene Experten machten denn auch darauf aufmerksam, dass es einen Unterschied mache, ob ein Richter eine Person persönlich erlebt oder nur dessen protokollierte Antworten aus den Verfahrensakten liest. Noch einmal negativ aufgefallen war das Bezirksgericht, weil es nach der Hauptverhandlung im Januar 2022 die schriftliche Urteilsbegründung bis zum Sommer 2021 ankündigte, dann aber doch bis zum Januar 2022 benötigte, um den Text fertigzustellen.

Verletzung des rechtlichen Gehörs

Konkret hatten verschiedene der Beschuldigten die Verletzung des rechtlichen Gehörs moniert. Unter dieser juristischen Figur werden verschiedene Aspekte zusammengefasst. Beispielsweise wurde gerügt, das Anklageprinzip als Teilgehalt des rechtlichen Gehörs sei verletzt worden. Das Anklageprinzipt verlangt von der Staatsanwaltschaft, dass eine Anklageschrift knapp, präzise und klar darstellen muss, was einem Beschuldigten vorgeworfen wird und mit welchen Handlungen (oder Unterlassungen) welchen Straftatbestand erfüllt haben soll. – Eine Anklageschrift muss diesen Anforderungen genügen, weil sich ein Beschuldigter nur verteidigen kann, wenn auch hinreichend klar ist, worin denn der Vorwurf besteht.

Das Obergericht kommt nun zum Schluss, die über 350 Seiten dicke Anklageschrift habe dieses Gebot verletzt «In der teilweise ausschweifenden Anklageschrift werden umfangreiche Vorbringen zur Begründung der Anklage angeführt, welche den gesetzlichen Rahmen, der für eine Anklageschrift vorgesehen ist, massgeblich sprengen. Durch diesen Umstand wurde den Beschuldigten im erstinstanzlichen Verfahren erheblich erschwert, sich wirksam zu verteidigen», schreibt das Obergericht in seiner Medienmitteilung.

Weiter rügt das Gericht, dass einer der Beschuldigten, der französischer Muttersprache ist, verlangt habe, die Anklageschrift sei auf französisch zu übersetzen und sowohl das Bezirksgericht wie die Staatsanwaltschaft das verweigert hätten. Auch das sei eine schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs und verletze das Fairnessgebot.

 

Lesen Sie zum Urteil des Zürcher Obergerichts auch unseren Kommentar: Ein erfreuliches Signal

 

 

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