Wie sollte eine Kinderkrippe reagieren, wenn Mitarbeiter unter den Verdacht geraten, sich sexuell an einem Kind vergangen zu haben? In der Ostschweiz bewegt ein aktueller Fall die Gemüter. Die betroffene «Hotelkrippe» hatte schnell reagiert, den mutmasslich übergriffigen Mitarbeiter entlassen – und wird dafür jetzt Opfer einer Unia-Kampagne.
Auf Facebook posiert der Kleinkinderzieher mit einer rauchenden Zigarette im Mund vor zwei PS-schwangeren amerikanischen Boliden der Marke Mustang. Nicht eben der Typ Mann, dem man sein Kind überantworten möchte. Aber item. Das Bild stammt vom Februar 2023. Damals war Ruben S.* bei der Hotelkrippe in St. Gallen als Kinderbetreuer angestellt.
Das änderte sich wenige Monate später schlagartig, als die Eltern eines zweieinhalbjährigen Jungen bei der Krippe vorstellig wurden und den schlimmen Verdacht äusserten, Ruben S. habe sich an dem Jungen sexuell vergangen und mit dem Penis des Buben gespielt. In diese Richtung deuteten auf jeden Fall Aussagen des Buben.
Die Hotelkrippe unter der Leitung von Sarah Bösch, die in der Ostschweiz als Politikerin, Regierungsratskandidatin und frühere SVP-Parlamentarierin weitherum bekannt ist, fackelt nicht lange. Am 20. Juni trennt sich der Betrieb von dem Mitarbeiter. In einer Stellungnahme von dieser Woche schreibt sie dazu: «Bei diesem Entscheid stand die Sicherheit und Unversehrtheit der betreuten Kinder im Fokus. Sie sind unser höchstes Gut und nicht verhandelbar.»
Ohne Bedenkfrist geht eine Austrittsvereinbarung nicht
Gemäss Hotelkrippe hatte ihr damaliger Anwalt eine Austrittsvereinbarung vorbereitet und diese Ruben S. unterschreiben lassen. Die Krippe hatte ihm das rechtliche Gehör gewährt, Ruben S. war damals mit der Vereinbarung einverstanden – allerdings hatte es die Krippe versäumt, ihm eine Bedenkfrist einzuräumen. An diesem Punkt setzt denn auch die Kritik an, die Ruben S. letzte Woche in der Gewerkschaftszeitung WORK der Gewerkschaft Unia äusserte. Aber auch der Inhalt der Vereinbarung wurde kritisiert. «Eine solche Vereinbarung muss ausgewogen die Interessen beider Parteien berücksichtigen. Wenn der Arbeitnehmer einseitig auf Ansprüche verzichtet, kann dies zur Ungültigkeit der Vereinbarung führen», wird dort der Unia-Anwalt, der Ruben S. in der Folge vertrat, zitiert.
Die Hotelkrippe bessert in der Folge – mit neuem Anwalt – nach, anfangs 2024 kommt eine gütliche Einigung zustande. Sie sieht vor, dass die Hotelkrippe unter anderem eine zusätzliche Lohnnachzahlung von CHF 3’000 leistet. Die Sache schien für beide Seiten erledigt.
Skandalisierungsversuch ein halbes Jahr später
Ein halbes Jahr später, im Juli 2024, tritt Ruben S. dann plötzlich nach und kritisiert jetzt in der Gewerkschaftszeitung «work» nicht nur, dass er mit der Austrittsvereinbarung überrumpelt worden war. Die Hotelkrippe hätte auch keine Anstrengungen unternommen, um die Vorwürfe abzuklären, lautet jetzt ein weiterer Vorwurf.
Auf Nachfrage von INSIDE JUSTIZ, wie er sich denn eine solche Abklärung konkret vorgestellt hätte, schreibt Ruben S.:
«Ich hatte Kontakt mit mehreren zuständigen Stellen in St. Gallen. Man hätte mich für zwei Wochen dispensieren müssen und anschliessend entweder wieder einstellen oder fristlos kündigen mit einer Strafanzeige.» – Auf die Nachfrage dieser Redaktion, welche «zuständigen Stellen» im Kanton St. Gallen denn davon ausgehen würden, dass eine solche Abklärung innerhalb von zwei Wochen erledigt werden könnte, erhält INSIDE JUSTIZ von Ruben S. keine Antwort mehr.
Die Eltern wollen es wissen
Tatsache ist: Die Hotelkrippe verzichtet auf eine Strafanzeige. Sie führt dafür zwei Gründe an. Zum einen den Schutz des Mitarbeiters: «Uns war klar, dass das Vertrauen nicht mehr wiederhergestellt werden konnte und deshalb suchten wir eine Lösung, die möglichst wenig Schaden anrichtet: Ein Krippenmitarbeiter, der unter einen solchen Verdacht gerät, ist in der Branche erledigt, sobald der Verdacht ruchbar wird. Daran ändert sich auch nichts, wenn eine Strafuntersuchung wieder eingestellt wird. Die Wahrnehmung bleibt, dass da etwas war, bleibt.» Zum zweiten war der Geschäftsleitung der Hotelkrippe nach einer juristischen und pädagogischen Beratung schnell klar, dass die Chance, das behauptete Vieraugendelikt zwischen einem zweieinhalbjährigen Kind und einem Betreuer im Rahmen einer Strafuntersuchung aufklären zu können, gegen Null tendiere.
Eine Einschätzung, die sich nach wenigen Wochen bewahrheiten sollte.
Denn die Eltern des betroffenen Jungen wollten die Sache nicht auf sich sitzen lassen und reichten ihrerseits Strafanzeige gegen Ruben S. ein. Diese, so der Artikel in der WORK, wurde am 4. Oktober 2023 und damit nach drei Monaten (und nicht nach zwei Wochen) eingestellt. Begründung: Der Verdacht habe sich nicht erhärtet.
Der Anwalt sieht es anders
Andreas Dudli, Rechtsanwalt in St. Gallen, kennt den Fall der Hotelkrippe aus den Medien und der öffentlichen Stellungnahme der Krippe. Auch für ihn gilt: «Dies stellt das Worst-Case-Szenario für eine Kinderkrippe dar. Die Krippe muss sofort reagieren.» Wobei er einräumt, dass die richtige Reaktion vom Einzelfall abhängig sei: «Die Krippe hat eine auftragsrechtliche Treuepflicht gegenüber den Kindern (Kindeswohl) und den Eltern, gleichzeitig aber auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den Arbeitnehmenden. Die sofortige Trennung vom betreffenden Mitarbeitenden ist unter beiden Aspekten nachvollziehbar – nicht zuletzt dient die Massnahme auch dem Schutz des betreffenden Mitarbeitenden.» – Tatsächlich hatte die Hotelkrippe damals nicht einmal intern die Umstände des Austretens kommentiert, um keine Vorwürfe gegen ihn in Umlauf zu bringen.
Dudli würde Krippen, die von einem solchen Vorwurf betroffen sind, im Grundsatz eher empfehlen, eine Strafanzeige einzureichen: «Die zuständigen Behörden werden die Angelegenheit in der Folge untersuchen und für alle Beteiligten mit einem Ergebnis abschliessen. Bei einer Strafanzeige kann sich die Krippe ausserdem etwas aus dem Schussfeuer nehmen. Verantwortlich zu untersuchen sind dann die Strafbehörden und nicht mehr die Krippe als Arbeitgeberin.»
Aber: Für Dudli bedeutet auch eine Einstellungsverfügung nach einer strafrechtlichen Untersuchung nicht einfach, dass jetzt wieder zum «Courrant normal» zurückgekehrt werden kann: «Aus unternehmerischer Perspektive ist es sowohl für die Krippe als auch für den betreffenden Mitarbeiter auch nach einem Freispruch nicht zumutbar, dass der betreffende Mitarbeiter in der Krippe weiter beschäftigt wird. Auch wenn die Einstellung eines Strafverfahrens von Gesetzes wegen einem Freispruch gleichkommt, bleibt bei einigen dennoch latent das Bauchgefühl bestehen, dass das Verfahren nur deshalb eingestellt wurde, da einfach nicht genügend Beweise für eine Verurteilung vorlagen. Gewisse Eltern würden ihre Kinder wohl nicht mehr in diese Krippe schicken, wenn die betreffende Person weiter dort angestellt ist.»
Verleumdung oder üble Nachrede
Ruben S. ist aber noch nicht am Ende mit seinen Vorwürfen. Dass er ein halbes Jahr, nachdem er zusammen mit seinem Anwalt eine gütliche Einigung erzielt hatte, den ehemaligen Arbeitgeber öffentlich angreift, begründet er noch ganz anders. Es gehe ihm um die Kinder, schreibt er INSIDE JUSTIZ. Diese würden mangelhaft betreut: Es seien regelmässig zu wenig Fachpersonen für zu viele Kinder in der Kita anwesend gewesen. Das könne er mit Dienst- und Tagesplänen beweisen, schreibt er. Vorlegen mag er sie allerdings nicht, weil darauf die Namen der Krippenmitarbeiter zu lesen seien.
Eine andere ehemalige Mitarbeiterin stützt im ST. GALLER TAGBLATT die Behauptung von Ruben S. und gibt an, die Missstände den Behörden angezeigt zu haben. Allerdings vermeldet die Zeitung auch, eine Nachfrage bei der zuständigen Aufsichtsstelle des Kantons habe ergeben, dass die Hotelkrippe alle regulatorischen Bedingungen erfülle und über eine rechtsgültige Betriebsbewilligung verfüge. Und zitiert die Aufsichtsbehörde damit, man gehe solchen Vorwürfen rigoros nach.
Die Hotelkrippe bestreitet in ihrer Stellungnahme, dass zu wenig Personal angestellt gewesen sei, räumt aber ein, dass es aufgrund von kurzfristigen, z.B. krankheitsbedingten Ausfällen vorgekommen sei, dass «Springer» eingesetzt werden mussten oder einmal für kurze Zeit mehr Kinder in einer Gruppe waren. Richtig sei auch, dass man zwischen Herbst 2022 und Sommer 2023 eine höhere Fluktuation gehabt habe. Die Geschäftsleitung habe aber bereits per anfangs 2023 eine externe Beraterin hinzugezogen, die seitdem regelmässig zur Qualitätssicherung der Krippe beitrage und die Krippenleiterin unterstütze.
Der neue Anwalt der Hotelkrippe sieht deshalb mit den diesbezüglichen Vorwürfen von Ruben S. möglicherweise die Straftatbestände der üblen Nachrede oder der Verleumdung erfülllt und prüft eine diesbezügliche Strafanzeige gegen Ruben S.
Die fragwürdige Rolle der Unia
Ruben S. ist sich der strafrechtlichen Problematik seiner Vorwürfe nicht bewusst. INSIDE JUSTIZ schreibt er, seine Aussagen seien durch die Meinungsäusserungs-freiheit abgedeckt. Was ein Strafrechtsexperte in Frage stellt: «Natürlich findet die Meinungsäusserungsfreiheit ihre Grenzen dort, wo persönlichkeitsverletzende Äusserungen gemacht werden und insbesondere, wenn einfach Behauptungen aufgestellt werden, die eine andere Person schädigen und die nicht bewiesen werden können. Wird die Grenze überschritten, ist es eine Straftat.»
Die Frage, ob der Journalist der Unia-Zeitung WORK ihn darauf aufmerksam gemacht habe, dass er sich ohne gerichtsfeste Belege für diese Aussagen möglicherweise strafbar mache, verneint Ruben S. Lediglich der Anwalt der Unia habe Bedenken geäussert.
Es ist nicht die einzige Unstimmigkeit in der Berichterstattung der Unia. Die Gewerkschaftszeitung beschreibt auch sehr konkret nicht nur den Zeitpunkt der Kündigung von Ruben S., sondern auch, in welchem konkreten Arbeitsumfeld dieser schon kurze Zeit nach der Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit der Krippe eine neue Beschäftigung fand. Damit ist Ruben S. für jeden künftigen Arbeitgeber als die Person identifizierbar, der einst sexuelle Handlungen mit einem Kind vorgeworfen wurden. Und die anschliessend in den Medien über seinen ehemaligen Arbeitgeber abgelästert hat. Der neue Arbeitgeber muss nur Ruben S.’ Lebenslauf mit dem Unia-Artikel abgleichen.
Die Gewerkschaftszeitung ist auf diese konkreten Vorwürfe nicht eingegangen. Co-Chefredaktor Jonas Komposch schreibt lediglich, man habe Frau Bösch mehrmals und sowohl schriftlich als auch telefonisch Gelegenheit gegeben, zu allen erhobenen Vorwürfen Stellung zu nehmen und habe nie eine Antwort erhalten.»
Lesen Sie hier das vollständige Interview mit Rechtsanwalt Dr. Andreas Dudli
*Name zum Schutz der Persönlichkeit geändert
Ich bedanke mich bei Inside Justiz für diese ausgewogene und GUTE Berichterstattung. Hut ab!
Es ist erstaunlich, dass sich ausgerechnet die Unia vor einen mutmasslichen Pädophilen stellt. Der Gewerkschaft fehlt es offenbar an der Sensibilität in diesem Delikt-Spektrum. Davon zeugen ja auch die Vorfälle in den eigenen Reihen. Man braucht nur einmal Unia AND sexuelle Belästigung zu googeln.
Da trifft wohl ein zumindest Naiver, vielleicht sogar Pädophiler, auf eine Gewerkschaft, die sich nicht zu schade ist, sich auf dem Buckel dieses mutmasslichen Gen-Z-Mitglieds selbst auf die Brust zu klopfen dafür, dass sie noch 3000 Stützli für ihn rausgehauen hat. Skrupellose Selbstdarstellung einer Unia, die ja selbst beim Thema «Sexuelle Übergriffe» einfach nur schamvoll schweigen und in die Ecke stehen sollte. Man google mal UNIA AND sexuelle Belästigung – da erscheint ein Tagblatt-Artikel, welche zeigt, dass die Unia mehr Täterin als Opfervertretung ist bei diesem Thema.