Wie politisch entscheiden Richter?

Entscheiden Richterinnen und Richter entlang der politischen Parteilinie ihrer Partei? Es kommt darauf an, legt eine Doktorarbeit des Zürcher Juristen Gabriel Gertsch nahe: Im Asylrecht scheint es tatsächlich so zu sein, im Ausländerrecht dagegen nicht. Die NZZ berichtet heute darüber.

Beeindruckend sind die Zahlen im Asylbereich – wobei die Erkenntnisse hierzu nicht ganz neu sind. Bereits früher hatten Dominik Hangartner, Benjam Lauderdale und Judith Spirig sämtliche Asylentscheide des Bundesverwaltungsgerichts zwischen 2007 und 2015 untersucht und dabei festgestellt, dass der Ausgang eines Verfahrens signifikant mit der Parteizugehörigkeit der Richterinnen und Richter korrelierte. Konkret: Richterinnen und Richter der Grünen oder der SP hiessen 20% der Beschwerden gut, solche der SVP lediglich 5%.

Unterschiede ja, aber nicht entlang der Parteilinien

Gertsch untersuchte nun Entscheide aus den Jahren 2007 bis 2019 aus den Rechtsgebieten Sozialversicherungs- und Ausländerrecht. Und stellte dabei fest, dass sich die Befunde aus dem Asylrecht nicht wiederholten. Zwar liessen sich auch im Sozialversicherungsrecht besonders milde Richter finden, die Beschwerden doppelt so häufig gut hiessen wie die strengsten. Die Unterschiede verliefen allerdings nicht entlang der Parteilinien. In der Quintessenz von Kathrin Alder in der NZZ: „Die Richterinnen und Richter urteilen im Sozialversicherungsrecht zwar unterschiedlich streng, aber – anders als im Asylbereich – nicht parteipolitisch.“

Im Ausländerrecht hingegen liessen sich – für einige wohl überraschend – überhaupt keine Korrelationen finden.

Gerichtsverfahren als Glücksspiel?

Gertsch kommt in seiner Doktorarbeit zum Schluss, dass auch im Asylbereich, wo die Korrelation zwischen Urteil und parteipolitischer Linie am deutlichsten ist, nicht mehr als 4% der Urteile anders ausfallen, als wenn alle Richterinnen und Richter nach den gleichen Massstäben urteilen würden. Grund dafür ist die Tatsache, dass die Spruchkörper ja nicht nur aus einer Person besteht, sondern grundsätzlich in Dreierbesetzung entschieden wird. Über die Zusammensetzung entscheidet der Algorhythmus einer Software, die allerdings ebenfalls in der Kritik steht. Im Jahr 2007 beispielsweise soll in über 40 Prozent aller Fälle eine bestimmte politische Partei in der Mehrheit gewesen sein. Gertsch rät deshalb, die Software neu zu programmieren. Gegenwärtig ist beispielsweise die Parteizugehörigkeit einer Richterin oder eines Richters in der Software nicht hinterlegt.

Bundesverwaltungsgericht sieht keinen Handlungsbedarf

Das Bundesverwaltungsgericht selbst sieht keinen Handlungsbedarf, wie es über seinen Sprecher gegenüber der NZZ ausführen lässt. Gestützt auf die Erfahrung der letzten 14 Jahre, in denen knapp 110 000 Fälle erledigt worden seien, sehe man bis anhin keinen Handlungsbedarf, die Parteizugehörigkeit bei der Spruchkörperbildung zu berücksichtigen – weder für das gesamte Gericht noch für einzelne Rechtsgebiete. 

Kommentar der NZZ