Bahnt sich da ein Korruptionsskandal von grösserem Ausmass an? Walliser Politikerinnen und Politiker erhalten von den Bergbahnbetreibern im Kanton die Saisonkarte fürs Skigebiet fast gratis. Legt man die Massstäbe des Bundesgerichts im Fall Maudet an, liegt zumindest der Anfangsverdacht für eine Vorteilsannahme vor – gegen Politiker wie Bergbahnen müsste eine Strafuntersuchung geführt werden. Ob die Walliser Staatsanwaltschaft die Kraft dazu hat?
Die Recherche von RADIO TELEVISON SUISSE ROMANDE RTS hat das Potential, einen veritablen Korruptionsskandal ins Rollen zu bringen. Wie der Sender am Freitag vor Heiligabend berichtet, ist es im Kanton Wallis geübte Praxis, dass Politikerinnen und Politiker Skipässe zum Teil geschenkt, zum Teil zu massiv vergünstigen Preisen erhalten. Korruptionsexperten sehen die Angelegenheit kritisch, den betroffenen Politikern fehlt es hingegen sowohl an Einsicht wie an politischem Gespür.
Happige Vergünstigungen
Die Politiker-Geschenke sind unterschiedlich ausgeprägt, wie RTS in verschiedenen Sendungen berichtet. Da sind einmal Skidestinationen wie Verbier, Portes du Soleil, Nax oder Nendeaz/Veysonnaz, die den Gemeinderäten am Standort das Skiabo schlicht schenken. Je nach Gebiet könne ein solcher Saison-Skipass gut und gerne einen Wert um die CHF 1’000 haben.
Noch grösser fällt die Bescherung für die National-, Stände- und Staatsräte (kantonale Regierungsmitglieder) des Kantons Wallis aus. Sie erhalten – auf Wunsch – für CHF 100 den «Snowpass Limited», der fast überall im Kanton für die ganze Saison freie Fahrt auf allen Bergbahnen gewährt – in Zermatt und 4Vallées ist die freie Fahrt auf je vier Tage pro Saison beschränkt. Für Normalsterbliche kostet der Snowpass Limited immerhin stolze CHF 1’570.
Mehrheit sieht die Problematik
Wie der Bericht von RTS enthüllt, verzichtet eine Mehrheit der nationalen Parlamentarier auf das heikle Geschenk. Benjamin Roduit (Mitte) und Jean-Loc Addor (SVP) haben das Geschenk indes angenommen. Mitte-Nationalrat und Rechtsanwalt Philipp Matthias Bregy in früheren Jahren auch schon, zuletzt aber nicht mehr. Im WALLISER BOTEN wird er damit zitiert, das Angebot habe nichts Anrüchiges, da dieses schon seit Jahren Gültigkeit hatte und auch auf Gemeindeebene durchaus üblich sei – für einen Rechtsanwalt eine erstaunlich unfundierte Aussage – keiner der Aspekte hat für eine strafrechtliche Beurteilung auch nur die geringste Relevanz.
Dementsprechend geharnischt fallen auch die Kommentare der Leserinnen und Leser im Netz aus. Der WALLISER BOTE zitiert eine Leserin: «Ich finde das eine Frechtheit gegenüber den Bürgern.»
Weniger Zurückhaltung in der Regierung
In der kantonalen Regierung war die Zurückhaltung noch bescheidener als bei den nationalen Abgeordneten: Drei von fünf Mitgliedern haben die Vergünstigung angenommen: Frédeéric Favre (FDP), Roberto Schmidt (Mitte) und Christophe Darbelley (Mitte).
Darbelley hat sich in einem Radio-Interview mit RTS erklärt und findet, die Regierung handle trotz der massiven Rabatte «völlig unabhängig». Das zeige der Gesamtarbeitsvertrag, den die Walliser Regierung verhängt habe – gegen den Wunsch der Bergbahnbetreiber. Zudem sei die Walliser Praxis «völlig transparent», womit Darbelley wohl meinte, dass die Vergünstigungen der Kantonsverwaltung gemeldet werden. – Alleine, im Fall des ehemaligen Genfer Staatsrates Pierre Maudet hatte das Bundesgericht eben erst keines dieser Argumente berücksichtigt und die Vorteilsannahme als Straftatbestand nicht davon abhängig gemacht, dass der Vorteilsnehmer dem Spender tatsächlich ein Versprechen gemacht oder bei Entscheidungen in dessen Interesse gehandelt hat.
Korruptionsexperten kritisch
RTS hat im Rahmen der Recherchen mit verschiedenen Strafrechtsexperten gesprochen. Mark Pieth beispielsweise, einer der präsentesten Korruptionsexperten in der Schweiz, hält den Walliser Fall für «sehr wahrscheinlich strafrechtlich relevant». Martin Hilty von Transparency Schweiz wirft die Frage auf, ob die Walliser Staatsanwaltschaft nicht aufgrund des Anfangsverdachts auf Vorteilsgewährung und Vorteilsannahme ein Verfahren eröffnen müsste – beide Delikte sind Offizialdelikte und müssten von Amtes wegen verfolgt werden, wenn ein Fall den Behörden bekannt wird.
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Zeiten ändern sich. Ältere Kollegen auf der Redaktion von INSIDE JUSTIZ erinnern sich noch gut, wie Journalistinnen und Journalisten früher scharf waren auf den Eintrag im sogennanten «Berufsregister» der Journlistenverbände. Der Eintrag eröffnete eine Reihe von Vergünstigungen. Das GA der SBB für die 1 Klasse gab’s zum Preis des 2. Klass-GAs, Flüge mit der damaligen Swissair waren teilweise um 50 Prozent vergünstigt, auch die Autovermieter liessen sich nicht lumpen und gewährten den Medienschaffenden Rabatte. All‘ das gibt es unterdessen nicht mehr. Und das ist richtig. Zwar wurde in all‘ den Jahren nie ein Fall bekannt, in dem eine dieser Firmen einem Journalisten nach einer kritischen Berichterstattung den Rabatt verweigert hätte. Aber bei Korruption reicht eben schon der Anschein der Befangenheit.
Wenn Walliser Politiker von den Bergbahn-Betreibern teilweise mehr als CHF 1’000 auf ihre Saisonkarte geschenkt erhalten, dann ist dieser Anschein der Befangenheit mehr als nur gegeben. Da helfen dann auch die wortreichen Beteuuerungen eines Staatsrates Darbelley nichts, die Regierung habe ja auch Entscheide gefällt, die den Bergbahnbetreibern weh taten. Die Ausrede Darbelleys ist schlicht dumm und trifft am Kern der Sache vorbei. Dumm deshalb, weil jeder andere Entscheid, der im Sinne von Bergbahnbetreibern ausgefallen ist, gleichwohl unter Korruptionsverdacht steht. – Und auch niemand weiss, welchen Einfluss welche Politikerinnen und Politiker beim GAV allenfalls eben doch genommen hatten. Der Anschein der Befangenheit bleibt, und die Aussage Darbelleys, er gedenke keineswegs, auf die Annahme der Vergünstigungen zu verzichten, zeigt eine Unbelehrbarkeit, wie sie auch schon bei Pierre Maudet zu beobachten war.
Am Kern der Sache vorbei trifft die Ausrede Darbelleys, wenn er behauptet, die Vergünstigungen seien ja transparent gewesen. Darbelley vergisst dabei, dass die Frage der Transparenz bei der Vorteilsnahme kein Tatbestandsmerkmal darstellt. Dass verschiedene Walliser Politikerinnen und Politiker auf die stark vergünstigten Skipässe verzichteten zeigt, dass ihnen ganz offensichtlich sehr bewusst war, dass die Zeiten solcher Geschenke, die die Freundschaft erhalten, vorbei sind und heute als Straftatbestand gesehen werden. Und ganz abgesehen vom strafrechtlichen Gehalt geht den anderen ganz offensichtlich das politische Gespür dafür ab, was korrekt ist und was nicht. Inwieweit die Walliserinnen und Walliser dieser „Classe politique“ das Vertrauen weiterhin aussprechen werden, zeigen die nächsten Wahlen.
Für alle, die das Bundesgerichtsurteil gegen Pierre Maudet gelesen haben, muss klar sein, dass der Anfangsverdacht einer unerlaubten Vorteilsannahme in den Walliser Fällen gegeben ist. Eine Strafuntersuchung müsste die logische Folge sein. Ob die Walliser Staatsanwaltschaft aber die Kraft hat, gegen Mitglieder der Regierung zu ermitteln, von der sie selbst eingesetzt worden ist? Dass sie sich dem Vorwurf der Begünstigung aussetzt, wenn sie es nicht tut, macht die Sache nur noch brisanter.