Seit seinem Amtsantritt im Januar bricht US-Präsident Donald Trump am laufenden Band amerikanisches Recht und tritt die Verfassung mit Füssen – ohne dass sich bislang seine Parteikollegen im Kongress gegen ihn gewandt hätten. Jetzt könnte sich das Blatt wenden. Grund sind Trumps Verquickungen mit Jeffrey Epstein, einem verurteilten Sexualstraftäter, der über Jahre einen Sexhändlerring unterhalten und Minderjährige zur Prostitution gezwungen hatte.
Seit gestern ist Feuer im Dach, bei Republikanern und Demokraten gleichermassen. Die Social Media Posts überschlagen sich, US-Nachrichtensender berichten pausenlos. Grund sind über 23’000 Seiten an Material über das Verhältnis zwischen dem verurteilten Sextäter Jeffrey Epstein und US-Präsident Donald Trump, darunter viele E-Mails. Sie scheinen Trump in eine grössere Regierungskrise zu stürzen als alle seine bisherigen Aktionen.
Während die amerikanischen Medienbetriebe mit Hochdruck daran arbeiten, das Material zu sichten, sind erste Informationen an die Öffentlichkeit gelangt. Sie zeigen vor allem eines: Anders als Donald Trump behauptet hatte, waren der Sexualstraftäter Epstein und Trump nicht nur flüchtige Bekannte, sondern best Buddies, und das über mehr als ein Jahrzehnt. Trumps Name käme in den Unterlagen hundertfach vor, berichten Medienschaffende, die sich durch den Datenberg kämpfen. Und mehr als das. Anders als Trump stets behauptet hatte, soll er auch sehr wohl von den kriminellen Machenschaften Epsteins gewusst haben.
In einer der E-Mails schrieb Epstein am 31. Jnauar 2019 an den Journalisten Michael Wolff, Trump habe selbstverständlich über die Mädchen Bescheid gewusst («of course he knew about the girls», er habe ja seine Lebenspartnerin explizit gebeten, damit aufzuhören. In der Öffentlichkeit behauptete Trump noch vor kurzem, er habe von den pädophilen Neigungen Epsteins keine Ahnung gehabt.
23´000 Seiten Unterlagen – und da ist noch mehr
Das inkriminierende Material wurde gestern von einer Parlamentskommission veröffentlicht – und nächste Woche könnte es noch dicker kommen: Dann steht eine Abstimmung darüber an, ob die «Epstein-Files» insgesamt veröffentlicht werden sollen. Das Weisse Haus wehrt sich nach Kräften dagegen – wie Medien berichten, soll zum Beispiel Justizministerin Pat Bondi höchstpersönlich versucht haben, eine Republikanerin umzustimmen, welche sich auf die Seiten der Demokraten geschlagen hat und für die Veröffentlichung stimmen will. FBI-Direktor Kash Patel hatte sich schon früher bei einer Anhörung vor einem Parlamentsausschuss lächerlich gemacht, als er sich in Widersprüche verstrickte auf die Frage, wie oft der Name Donald Trump denn in den Akten zum Epstein-Fall vorkämen.
Verschiedene Abgeordnete der Republikaner erinnern daran, dass es Trump höchstpersönlich gewesen sei, der in seinem Wahlkampf versprochen hatte, diese Daten zu veröffentlichen. Sie stehen unter Druck ihrer Wählerschaft, die einfordert, dass das Wahlversprechen nun auch umgesetzt wird. Interessant und aus europäischer Perspektive auf den ersten Blick vielleicht überraschend erscheint, dass die MAGA-Basis, die Trump bisher alles durchgehen liess und weiterhin zu ihrem Idol hielt, bei der Epstein-Frage sensibel reagiert. Bei Vorwürfen von Pädophilie oder Sex mit Minderjährigen scheint auch für die MAGA-Bewegung eine rote Linie überschritten zu sein.
(Noch?) keine Hinweise auf strafbare Handlungen
Aus den bislang bekannt gewordenen Unterlagen ergeben sich allerdings keine direkten Hinweise auf ein mögliches strafrechtlich relevantes Verhalten Trumps. In einer der E-Mails von Epstein an Maxwell vom 2. April 2011 schrieb dieser: «Ich möchte, dass Du Dir bewusst bist, dass der Hund, der nie gebellt hat, Trump ist. NN (Name eines Opfers) hatte Stunden mit ihm in meinem Haus verbracht – er wurde nie erwähnt.« (Gemeint: von der Polizei bei den Verhören). Der Satz von Epstein wird von den Medien dahingehend interpretiert, dass Trump stets geschwiegen hatte, weil er genau wusste, was vor sich ging und vielleicht auch selbst beteiligt war – so, wie der Hund nicht bellt, wenn sein Besitzer ein Verbrechen begeht. An verschiedenen Stellen äussert sich Epstein auf jeden Fall nicht sehr vorteilhaft über Trump. An Kathy Ruemmler, eine Rechtsanwältin, die während Barack Obamas Präsidentschaft im Weissen Haus gearbeitet hatte, schrieb Epstein: «Ich weiss, wie schmutzig Donald ist.» («i know how dirty donald is»). Es ging in diesem E-Mail-Verkehr über die Schweigegeldzahlungen von Trump an eine Prostuierte, die er aus einem falschen Konto heraus finanzierte – und wofür er später verurteilt wurde.
Das alles mag nicht eben für Trump sprechen und ihn auch wieder einmal der Lüge überführen – aber daran ist nichts Neues. Seine Sprecherin Karoline Leavitt behauptete denn auch gestern bereits, die Unterlagen würden gar nichts beweisen ausser, dass Trump sich nichts habe zuschulden kommen lassen. – Doch wenn dem so wäre und auch die vollständigen «Epstein-Files« nicht mehr zutage fördern würden: Warum wehrt sich das Weisse Haus dann mit Händen und Füssen gegen eine Veröffentlichung der vollständigen Unterlagen in dem Fall?
Was alles enthüllen die Unterlagen?
Die amerikanische Öffentlichkeit verspricht sich von der Veröffentlichung aber auch Transparenz darüber, wer sonst noch alles aus der amerikanischen High-Society mit dem strittigen Financier mehr als nur geschäftlich verkehrt hatte. Bekannt ist, dass Epstein beispielsweise auch mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, Bill Clinton, Woody Allen, Harvey Weinstein, Rupert Murdoch, Michael Bloomberg, Richard Branson, Michael Jackson, Alec Baldwin, Robert F. Kennedy Jr., Ehud Barak, Tony Blair oder Bill Gates in Kontakt gestanden hatte. Nur beruflich? Auch Geheimdienstkontakte wurden Epstein nachgesagt, insbesondere zum isrealischen Mossad. Und eine dem dissidenten früheren russischen Oligarchen Michael Chlodorkowski nahestehende Publikation namens DOSSIER CENTER sagte Epstein auch Kontakt nach Russland nach.
Viele dieser Kontakte stammen aus einer Zeit, als gegen Epstein und seine Lebenspartnerin Ghislaine Maxwell bereits Vorwürfe wegen Sexualstraftaten erhoben worden waren. Seit Jahren geistert zudem durch die Medien, dass auf diversen Grundstücken und in Häusern von Epstein versteckte Kameras aufgefunden worden seien, mit denen Epstein womöglich die sexuellen Ausschweifungen prominenter Persönlichkeiten mit minderjährigen Frauen aufgezeichnet hatte. Das auf jeden Fall vermutet die Künstlerin Maria Farmer, die Epstein beschuldigte, sie missbraucht zu haben.
Die fliessende Grenze zwischen Realität und Verschwörungserzählungen
Die offene Frage: Ist das alles eine Verschwörungserzählung? Oder befinden sich Beweismittel in den Akten, den legendären «Epstein Files«, die deshalb nicht veröffentlicht werden, weil sie zu viele aus der US-amerikanischen Elite mit in den Abgrund reissen würden – und darunter auch Donald Trump? Oder weil dadurch geheimdienstliche Verstrickungen offengelegt würden, wie sie sich Hollywood nicht besser ausdenken könnte? Die Epstein Saga bietet auf jeden Fall viel Raum für Fantasien und Spekulationen. Und das beginnt schon beim Umgang der Justiz mit dem Finanzier und Unternehmer.
Erstmals sollen Epstein und Maxwell im Sommer 1996 zwei Schwestern vergewaltigt haben – eine war zum Tatzeitpunkt erst 15 Jahre alt. Trotz einer Anzeige wurde nicht gegen den mächtigen Financier und seine Partnerin ermittelt. Schon hier stellt sich die Frage: Warum? Die Schauspielerin Maria Farmer berichtet, sie habe mehrfach versucht, die Untersuchungsbehörden zu alarmieren und stiess regelmässig auf taube Ohren.
Als im März 2005 die Eltern eines 14-jährigen Mädchens eine Anzeige wegen sexueller Gewalt gegen ihre Tochter eingereicht hatten, wurde schliesslich doch erstmals breiter ermittelt. Allerdings auch erst nach einigen Ungereimtheiten: Der Polizeichef der zuständigen Polizei von Palm Beach FL warf dem Staatsanwalt vor, den Beschuldigten mit Samthandschuhen anzufassen. Der Polizeichef holte deshalb das FBI, das in der Folge Berichte erstellte und junge Mädchen ab 14 Jahren identifizierte, die mutmassliche Opfer von Epstein geworden waren. Es ist die Rede von 50 mutmasslichen Opfern, fünf sagen unter Eid aus, andere sollten noch befragt werden.
Epstein gelingt es allerdings, eimem Verfahren wegen sexueller Gewalt an Minderjährigen vor einem US-Bundesgericht auszuweichen, indem er sich 2007 in einem Deal mit der Staatsanwaltschaft von Miami der erzwungenen Prostitution einer Minderjährigen für schuldig bekennt. Mit dem Deal werden die Anklagen wegen Menschenhandels und sexueller Ausbeutung aufgehoben, für die Epstein lebenslang hätte ins Gefängnis wandern können. Stattdesssen erhält Epstein 18 Monate Freiheitsstrafe – mit 12 Stunden Freigang, um in seinem Büro zu arbeiten. Nach 13 Monaten wurde er wegen guter Führung entlassen. Auch alle anderen Anschuldigungen und auch die FBI-Ermittlungen wurden als Teil dieses Deals eingestellt, ebenso erhalten «alle potentiellen Komplizen respektive Mittäter» strafrechtliche Immunität. Namentlich genannt werden sie nicht. Und wieder stellt sich die Frage: Warum? Und: Werden mit der Immunität der Mittäter vielleicht hochrangige Personen vor Strafverfolgung geschützt, wie der MIAMI HEROLD in einem Artikel vermutet?
Von wegen Besserung
Doch Epstein hörte auch nach der ersten Verurteilung nicht auf. Auf seiner Privatinsel Little Saint James in der Karibik soll er auch weiterhin regelmässig Orgien mit Minderjährigen und jungen Frauen veranstaltet haben, sein Privatjet hatte den inoffiziellen Namen «Lolitta Express« erhalten. Am 6. Juli 2019 wird er bei der Einreise am Flughafen Teterboro verhaftet und im Metropolitan Correctional Center in Manhattan in Untersuchungshaft versetzt. Dieses Mal ist es die Staatsanwaltschaft von New York, welche Epstein vorwirft, zwischen 2002 und 2005 in New York und Florida einen Ring zur sexuellen Ausbeutung von Jugendlichen betrieben zu haben, die Mädchen zur Prostitution verleitet und sexuell ausgebeutet zu haben.
Interessant: Der Staatsanwalt Alexander Acosta, der Epstein 2007 in Florida den Deal verschafft hatte, war unterdessen zum Arbeitsminister in der ersten Trump-Regierung aufgestiegen. Als im Zuge der neuen Untersuchung der frühere Deal wieder an die mediale Oberflächte gerät, tritt Acosta innerhalb von Wochenfrist zurück. Nicht zuletzt wohl auch unter dem Eindruck, dass 2019 ein Bundesgericht die damals für alle Mittäter und Helfershelfer ausgehandelte Immunität aufgrund schwerer Verfahrensfehler wieder aufgehoben hatte.
Die neuerliche Verhandlung gegen Epstein in New York beginnt am 20. Juli 2020. Am 23. Juli wird Epstein bewusstlos in seiner Zelle gefunden, mit Verletzungen am Hals. Am 10. August wird er erneut nicht ansprechbar in seiner Zelle gefunden, im Spital kann nur noch sein Tod festgestellt werden. Ein Tag, nachdem sein Zellengenosse in eine andere Zelle verlegt und Epstein allein in seiner Zelle zurückgeblieben war. Es entbrennt ein Streit unter Gerichtsmedizinern, ob Epstein tatsächlich Suizid begangen hatte oder die Auffindemerkmale nicht eher für eine Strangulation sprächen. Deshalb ranken sich bis heute auch um den Tod Epsteins Legenden, auch wenn später eine Untersuchungskommission des Justizministeriums die Suizidthese bestätigte. Die NEW YORK TIMES hat die letzten Tage Epsteins in einem ausführlichen Beitrag nachgezeichnet und stützt die Suizid-These.
Die Rolle von Ghislaine Maxwell
Während Epstein selbst niemanden mehr belasten und auch zu seinen E-Mails über Trump nicht mehr befragt werden kann, ist seine frühere Lebensgefährtin Ghislane Maxwell immer noch eine Gefahr für alle Involvierten. Maxwell war es gelungen, sich in Bradford im Bundesstaat New Hampshire längere Zeit zu verstecken. Am 2. Juli 2020 wurde sie dort aber vom FBI verhaftet. Sie wurde von der Bundesanwaltschaft in Manhattan wegen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, der Rektrutierung Minderjährige für die sexuellen Handlungen von Epstein und für Menschenhandel mit Kindern angeklagt. Am 29. Dezember 2021 wurde sie in fünf von sechs Anklagepunkten verurteiltt, am 28. Juni 2022 wurde das Strafmass auf 20 Jahre Freiheitsstrafe festgelegt – sowie USD 750’000 Geldstrafe. Eine Berufung gegen das Urteil scheiterte im September 2024.
Maxwell musste zunächst in der Federal Correctional Institution in Tallahassee FL einsitzen, seit 1. August jetzt im Federal Prison Camp in Bryan TX. Es bietet mithin die angenehmste Form des Strafvollzugs in den USA an. Drei Wochen nach der unbegründeten Umplatzierung wurde Maxwell von Bundesgeneralanwalt Todd Blanche vom Justizdepartement längere Zeit befragt. In ihren Aussagen, die schriftlich dokumentiert sind, entlastete sie Trump mehrfach und sagte aus, sie hätte ihn nie bei irgendwelchen sexuellen Handlungen, bei Massagen oder in einem unangemessenen Umfeld. beobachtet. «Wann immer ich zugegen war, verhielt er sich unter allen Aspekten wie ein Gentleman.»
Auf entsprechende Fragen verneinten sowohl Maxwells Anwälte als auch das Justizdepartement, dass Maxwell irgendwelche Hafterleichterungen oder gar eine Begnadigung in Aussicht gestellt worden seien. Auch Trump verwarf diese Idee, als er darauf angesprochen wurde, wobei kritische Medien anmerkten, Trump sei wohl bewusst, dass er mit einer Begnadigung zum aktuellen Zeitpunkt auch bei seinen letzten Anhängern auf völliges Unverständnis stossen würde und wohl deshalb – wenigstens zum aktuellen Zeitpunkt – davon absehe.
Titelbild: Die mutmassliche Verwicklung von Donald Trump in die Machenschaften von Jeffrey Epstein ist immer wieder Gegenstand von Demonstrationen. Unser Titelbild stammt von einer Kundgebung anlässlich des Besuchs von Donald Trump in London am 17. September 2025. (c)imago-images.de
Der Fall Epstein in den Medien
Der Fall Epstein hat weltweit wie kaum ein anderer für Medienaufmerksamkeit gesorgt. Der Vorgang, dass ein reicher Financier mit besten Beziehungen in die höchsten Kreise der USA junge Minderjährige jahrelang missbrauchen konnte, schockiert die Öffentlichkeit und beflügelt Verschwörungstheorien in die verschiedensten Richtungen. Die folgenden Beiträge beleuchten die Geschichte ausführlich:

TLC CRIME ist der deutsche Ableger eines «True Crime»-Privatsenders. Die über zweistündige Dokumentation zu dem Fall ist über Youtube frei verfügbar. Die Laufzeit beträgt mehr als zwei Stunden.

Auch NETFLIX hat über die Geschichte von Epstein ein eigenes Doku-Drama geschaffen (hinter Bezahlschranke).

Einer von Jeffrey Epsteins Freunden, der englische Prinz Andrew, geriet selbst massiv unter Druck. Virginia Giuffre beschuldigt ihn, sie als Minderjährige missbraucht zu haben. Andrew streitet die Anschuldigungen ab, in diesem Interview mit der BBC versucht er sich zu erklären. Der Befreiungsschlag misslingt, Kommunikationsspezialisten aus der ganzen Welt sind der Meinung, Andrew habe damit noch mehr Schaden angerichtet. 2022 einigt sich die englische Krone mit Giuffre auf die Zahlung von GBP 12 Mio., um einen Zivilprozess in New York zu vermeiden. Am 25. April 2025 nimmt sich Giuffre – gemäss offizieller Lesart – das Leben. Giuffres Vater ist überzeugt, dass seine Tochter «erwischt worden» sei. Virginia Giuffre hat ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben: NOBODY’S GIRL.
