Der Verein «Öffentlichkeitsgesetz.ch» kann einen Erfolg vor dem Zürcher Verwaltungsgericht vermelden. Im Streit um die Herausgabe von Sitzungsprotokollen und weiteren Unterlagen entscheidet das Verwaltungsgericht in Urteil VB.2024-00742, dass der Kanton Zürich Informationen aus der interkantonalen Gesundheitsdirektorenkonferenz GDK herausrücken müsse. Der Kanton Zürich – und mit ihm weitere Kantone aus der GDK – hatten sich sieben Jahre lang dagegen gewehrt.
«Der Öffentlichkeitsgrundsatz dient der Transparenz der Verwaltung und soll das Vertrauen der Bürger in die staatlichen Institutionen und ihr Funktionieren fördern; er bildet zudem eine wesentliche Voraussetzung für eine sinnvolle demokratische Mitwirkung am politischen Entscheidfindungsprozess und für eine wirksame Kontrolle der staatlichen Behörden», schreib das Verwaltungsgericht in seinem Urteil VB.2024-00742, gefällt in der Besetzung Tamara Nüssle, Reto Häggi Furrer und Martin Bertschi. Um diesem Grundsatz zu genügen, hatten der Bund und auch die meisten Kantone in den letzten Jahren suksessive das Öffentlicheitsprinzip oder eben den Öffenlichkeitsgrundsatz in ihren Verfassungen und Gesetzen verankert. – Als letzter Mohikaner nun sogar auch noch der Kanton Luzern, der sich mit mehr Einsicht in die Verwaltungstätigkeit lange schwer tat.
Alleine, die konkrete Umsetzung ergibt regelmässig Stoff für Rechtsverfahren. Immer wieder werden Fälle bekannt, wo Medienhäuser erst nach längerem Kampf vor Ombudsstellen, Datenschutzbeauftragten oder Gerichten Daten ausgehändigt erhalten. Wie in dem jetzt rechtskräftig abgeschlossenen Fall. Er geht zurück auf eine Eingabe vom 25. September 2018. Damals ersuchte der Verein Öffentlichkeitsgesetz.ch die Zürcher Gesundheitsdirektion um Einsicht in Unterlagen zu den Sitzungen des Vorstands der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK). Darunter beispielsweise Sitzungsprotokolle.
Diese interkantonalen Konferenzen sind unter demokratischen Aspekten problematisch, weil gemeinsame Entscheide aller Kantone eine Art indirektes Bundesrecht schaffen, ohne dass die Entscheide der Kantone aber den Überprüfungsmechanismen und direktdemokratischen Instrumenten wie z.B. dem fakultativen Referendum unterstehen würden. Je nach Gesetzgebungsstufe ist es teilweise enorm aufwändig, Beschlüsse interkantonaler Gremien umzustossen. Welche Macht gerade die Gesundheitsdirektorenkonferenz in der Praxis haben kann, zeigte sich während der Coronazeit, als der Bundesrat ohne das «OK» der GDK kaum Massnahmen durchsetzen konnte.
Überwiegende öffentliche Interessen?
Die Zürcher Gesundheitsdirektion – 2018 noch unter der Führung von FDP-Regierungsrat Thomas Heiniger – lehnte das Einsichtsbegehren von «Öffentlichkeitsgesetz.ch» ab. Zankapfel war zunächst §23 Abs. 1 des Informations- und Datenschutzgesetzes IDG des Kantons Zürich. Der Paragraf erlaubt es dem «öffentlichen Organ» (also den verschiedenen Ämtern, Direktionen, Gemeinden, Regierungen, etc.), die Bekanntgabe von Informationen zu verweigern, «wenn ein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse» der Veröffentlichung entgegensteht. Eine durchaus interpretationswürdige Bestimmung, wie die Praxis immer wieder zeigt.
Konkretisiert wird die Bestimmung dann beispielsweise in §23 Abs. 2 lit. d IDG. Ein Grund für eine Verweigerung sei , wenn die Bekanntgabe «die Beziehungen unter den Gemeinden, zu einem anderen Kanton, zum Bund oder zum Ausland beeinträchtigt.» Die Bestimmung wird gerne so ausgelegt, dass Informationen nur schon dann nicht mehr herausgegeben werden müssen, wenn ein Gemeinwesen oder Dritte involviert sind, die selbst nicht vom Öffentlichkeitsprinzip erfasst sind. – Ansonsten würde ja, so die Argumentation, dieser Partei ohne Rechtsgrundlage das Öffentlichkeitsprinzip aufs Auge gedrückt. Mit den Worten des Verwaltungsgerichts: «Hier gilt es zu vermeiden, dass eine Person über öffentliche Organe im Kanton Zürich an Informationen gelangt, an die sie beim Ersteller der Information rechtskonform nicht gelangen könnte.»
Dunkelkammer GDK
Im vorliegenden Fall machte die Gesundheitsdirektion gemäss Urteilstext allerdings primär geltend, «mit der Bekanntgabe der strittigen Informationen würden die Meinungsäusserungen der dem Vorstand angehörenden Regierungsvertreter und damit der Meinungsbildungsprozess offengelegt, was die in der GDK als Austausch- und Koordinationsforum gepflegte Kommunikation massgeblich erschweren würde.»
Dieser Haltung schlossen sich auch diejenigen Kantone an, die sich gegenüber der Zürcher Gesundheitsdirektion in einer Vernehmlassung äusserten. Sie argumentierten, der Meinungsbildungsprozess innerhalb der Regierungen sei ja auch nicht vom Öffentlichkeitsprinzip erfasst, dementsprechend müsste die Konferenz der kantonalen Regierungsvertreter ebenfalls vertraulich diskutieren und Informationen austauschen können. Das Verwaltungsgericht sieht es aufgrund dieser Stellungnahmen verschiedener Kantone als erstellt an, dass eine Herausgabe die Beziehungen zwischen den Kantonen tatsächlich beeinträchtigen würde. Das vorgebrachte private Interesse an einer Herausgabe wiege in der Interessensabwägung demgegenüber zu leicht, findet das Gericht.
Meinungsbildung vertraulich, Entscheide öffentlich
Das gilt indes aber nur für den Meinungsprozess selbst, nicht aber für die von der GDK gefällten Beschlüsse. «Diesen Beschlüssen sind weder Rückschlüsse auf den vorgelagerten Meinungsbildungsprozess, der zum jeweiligen Beschluss geführt hat, noch individuelle Meinungsäusserungen, Voten oder Haltungen einzelner Kantonsvertreter zu entnehmen», schreibt das Verwaltungsgericht und sieht deshalb «kein überwiegendes öffentliches Interesse, das der Bekanntgabe entgegenstünde». Es entschied deshalb, dass dem Verein «Öffentlichkeitsgesetz.ch» Einsicht in die Beschlüsse der Protokolle zu gewähren sei. Die Gerichtskosten von CHF 1’595 wurden beiden Parteien je zur Hälfte auferlegt.
Verein Öffentlichkeitgesetz.ch spricht von «Wegweisendem Urteil»
Der beschwerdeführende Verein «Öffentlichkeitsgesetz.ch», der das Urteil am 19. Dezember 2025 – und nach Eintreten der Rechtskraft – publik gemacht hat, schreibt in einem Blog auf seiner Internetseite von einem «wegweisenden Urteil». Bislang habe die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), wie andere interkantonale Konferenzen auch, selbst entschieden, welche Beschlüsse sie veröffentlichte. «Nun müssen diese Beschlüsse zugänglich gemacht werden.» Das Urteil setze damit ein klares Signal für mehr Transparenz – über den konkreten Fall hinaus.
Dazu zeichnet Martin Stoll von Öffentlichkeitsgesetz.ch die Stationen des siebenjährigen Rechtsweges nach, auf dem sich die kantonalen Stellen mit Händen und Füssen respektive allerlei juristischen Ausflüchten gegen mehr Transparenz gewehrt hatten. Ein erstes Einsichtsgesuch der Streiter für mehr Transparenz war 2018 noch daran gescheitert, dass sich die Zürcher Gesundheitsdirektion als unzuständig erklärt hatte, weil sie «kein kantonales Organ» sei. Das Verwaltungsgericht kam ein erstes Mal zum Zug, zog den Verwaltungsjuristen die Ohren lang und zwang die Gesundheitsdirektion im Mai 2020, das Gesuch gemäss dem IDG zu behandeln. Die Zürcher Regierung zog den Entscheid nach Lausanne weiter, das Bundesgericht bestätigte allerdings, dass die Zürcher Gesundheitsdirektion das Gesuch nach kantonal-zürcherischem Recht behandeln müsse. Man schrieb unterdessen den Juni 2021.
Die Zürcher Gesundheitsdirektion, unterdessen unter der Direktion von Natalie Rickli (SVP), bockte weiter. Erst im März 2022 gab die Direktion gewisse Dokumente – Traktandenlisten und Einladungen – mit Schwärzungen heraus, Einsicht in die Protokolle verweigerte sie aber weiterhin. Erwartungsgemäss schütze der Gesamtregierungsrat den Entscheid der Gesundheitsdirektion, und erst der erneute Gang vor Verwaltungsgericht brachte dem Verein «Öffentlichkeitsgesetz.ch» schliesslich sieben Jahre später das Einsichtsrecht in die Beschlusslagen der Protokolle.
Titelbild: Öffentlich wird nur, was der Obrigkeit gefällt. Sieben Jahre wehrte sich die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich – mit den anderen Kantonen im Schlepptau – gegen mehr Transparenz und die sinngemässe Anwendung des Öffenlichkeitsprinzips auf ihre Arbeit. Symbolbild: KI (OpenAI)
Kommentar: Eine Schande
Der siebenjährige Streit um die Protokoll der GDK ist eine Schande. Sieben Jahre und vier Instanzen benötigte es, um am Ende zu einem Urteil zu kommen, zu dem man mit gesundem Menschenverstand auch in sieben Minuten kommen kann. Zwar mag man beim ersten Hinsehen noch ein gewisses Mass an Verständnis dafür aufbringen, dass die Damen und Herren Regierungsräte sich zieren, dass man ihre Diskussionen und den Meinungsbildungsprozess innerhalb ihrer Gremien öffentlich macht. Dass sich die Kantone aber auch dagegen wehrten, dass die reinen Beschlüsse der interkantonalen Gremien öffentlich sein müssen, dafür gibt und gab es schlicht kein redliches Argument. Der Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichts ist denn auch nur zu begrüssen und in seiner Klarheit juristisch vollständig überzeugend.
Das Versteckspiel der Regierungsräte wirft dagegen neue Fragen auf – beim zweiten Hinsehen bis zu der, ob die Vertraulichkeit des Meinungsbildungsprozesses in der heutigen Zeit wirklich noch angemessen ist. Fragt man bei Politikern nach, erscheinen die angeführten Gründe dafür oft eher peinlich. Angesprochen auf den Sinn des Kommissionsgeheimnisses, erklärte ein Ständeherr beispielsweise, nur das Kommissionsgeheimnis erlaube es ihm, in den Verhandlungen auch «dumme Fragen» zu stellen. Was im Klartext nicht mehr heissen kann, als dass sich die Damen und Herren Politiker wohl dafür schämen müssten, wie unvorbereitet und unbedarft sie in diesen Sitzungen auftreten, wenn nicht nur die Beschlüsse, sondern auch der Verlauf der Sitzungen publik würde.
Dass es auch anders geht, zeigt, siehe da, ausgerechnet die vielgescholtene Justiz. Naja. Wenigstens im Ansatz. Und zwar mit den öffentlichen Verhandlungen am Bundesgericht. Wenn auch nur vereinzelt, so zeugen sie doch immerhin von einem Mut, der in der Politik offenkundig fehlt.
§ 23 Informations- und Datenschutzgesetz des Kantons Zürich(IDG ZH)
1 Das öffentliche Organ verweigert die Bekanntgabe von Informationen ganz oder teilweise oder schiebt sie auf, wenn eine rechtliche Bestimmung oder ein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegensteht.
2 Ein öffentliches Interesse liegt insbesondere vor, wenn:
- a. die Information Positionen in Vertragsverhandlungen betrifft,
- b. die Bekanntgabe der Information den Meinungsbildungsprozess des öffentlichen Organs beeinträchtigt,
- c. die Bekanntgabe der Information die Wirkung von Untersuchungs-, Sicherheits- oder Aufsichtsmassnahmen gefährdet,
- d. die Bekanntgabe der Information die Beziehungen unter den Gemeinden, zu einem anderen Kanton, zum Bund oder zum Ausland beeinträchtigt,
- e. die Bekanntgabe die zielkonforme Durchführung konkreter behördlicher Massnahmen beeinträchtigt.
3 Ein privates Interesse liegt insbesondere vor, wenn durch die Bekanntgabe der Information die Privatsphäre Dritter beeinträchtigt wird
