Schriftliches Churer Urteil: Befürchtungen bestätigt

Das schriftliche ergangene Urteil gegen den Bündner Vergewaltigungsrichter bestätigt die schlimmen Befürchtungen, die man in der Sache haben musste und belegt, was in Graubünden bereits im Nachgang zur Hauptverhandlung vor dem Regionalgericht Plessur zu einer Demonstration von über 200 Personen geführt hatte: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Oder etwas konkreter: Sitzt ein Richterkollege auf der Anklagebank, kann er mit der vollen Milde seiner Kollegen rechnen.

Die drei Richter Bettina Flütsch, Paul Schwendener und Hermi Saluz haben in diesem Prozess in mehrfacher Hinsicht bewiesen, dass sie der Sache nicht gewachsen waren. Und das in einem Fall, bei dem von Anbeginn weg klar war, dass er schweizweite Aufmerksamkeit haben wird. Wenn sie es nicht einmal bei einem solchen Fall hinbekommen, wie geht es dann wohl bei anderen Fällen zu und her, mag man sich fragen. Bei Fällen, denen keine kritische Aufmerksamkeit durch die Öffentlichkeit zukommt?

Aber konkret: Schon während der Hauptverhandlung stellten sich Fragen: Etwa, als Richter Hermi Saluz das Opfer fragen liess, warum sie nicht einfach die Beine zusammengepresst habe, denn seiner Meinung nach sei es dann für einen Mann nicht möglich, in die einzudringen. Saluz übrigens ist Mitglied derselben Ortspartei der CVP/Mitte, deren Ortsparteipräsident der Beschuldigte in früheren Jahren einmal war. Der typische Bündner Filz also. – Aber nein, selbstverständlich kein Ausstandsgrund.

Einmal in der Schweizer Strafgerichtsbarkeit dürfte dann gewesen sein, dass in der Hauptverhandlung die Ticker-Berichterstattung durch den BLICK-Reporter Thema wurde und das hohe Gericht den Reporter rüffelte, weil er berichtet hatte, der Beschuldigte hätte ein Bild seiner Familie vor sich hingelegt. Die Kritik durch die Vorsitzende Richterin Flütsch erweist sich als richterlicher Dünkel ohne sachliche Rechtfertigung. Falls überhaupt, liesse sich eher hinterfragen, ob der BLICK-Reporter einem PR-Stunt des Angeklagten aufgesessen war. Aber lassen wir das.

Schliesslich zum schriftlichen Urteil selbst, das statt nach den gesetzlich vorgeschriebenen drei Monaten nun ziemlich genau ein Jahr nach der Hauptverhandlung erfolgte – ein weiterer Kritikpunkt an den Richtern Flütsch, Saluz und Schwendener. Nicht nur, dass dadurch das Leid des Opfers unnötig verlängert wird, weil es nie mit dem Vorfall abschliessen kann. Das Regionalgericht offeriert damit dem Beschuldigten im weiteren Prozessverlauf einen zusätzlichen Strafrabatt, denn es ist notorisch, dass Strafen für Taten, die schon lange zurückliegen, aufgrund der Verfahrensdauer weiter gesenkt werden. Mit anderen Worten: Das Gericht hat dem Angeschuldigten auch damit einen Dienst erwiesen.

Das nun vorliegende Urteil rechtfertigt die lange Verzögerung materiell in keiner Weise: Über zwei Drittel der Schrift fasst das Urteil Aussagen zusammen, die von den Beteiligten zu grossen Teilen bereits vor der Hauptverhandlung in den polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Einvernahmen gemacht worden waren. Effizient organisierte Gerichte schreiben diese Zusammenfassungen bereits vor der Hauptverhandlung, damit es im Anschluss schneller geht.

Die rechtliche Würdigung der Aussagen aus dem Verfahren fällt dann bescheiden aus, insbesondere bei der Strafzumessung. Wesentliche Elemente, die gemäss Lehre und Praxis zur Würdigung z.B. der objektiven Tatschwere gehören, werden gar nicht abgehandelt. Zum Beispiel die massiven Folgen der Tat für das Opfer, die unter diesem Aspekt zu berücksichtigen wären.

Aber auch in subjektiver Hinsicht: Die Ausführungen, die das Urteil unter diesem Kapitel enthält, deuten klar auf eine mittelschwere Tatbegehung hin. Der Täter hatte sich einfach geholt, was er wollte, obwohl das Opfer klar zum Ausdruck brachte, dass sie keine sexuellen Handlungen mit ihm will. Er hatte ihr den Ausgang versperrt, sie festgehalten und an die Türe gedrückt, trotz mehreren Aufforderungen, aufzuhören, weitergemacht, kein Kondom benützt und damit sowohl eine Schwangerschaft wie die Übertragung von Krankheiten in Kauf genommen. Dazu hatte er seine Machtposition als Vorgesetzter brutal ausgenutzt. Warum das Gericht nach der Auflistung all’ dieser Punkte dazu kommt, dass es dennoch von einer «leichten» Tatbegehung ausgeht? Warum hat es den Verzicht auf ein Kondom nicht als strafverschärfend berücksichtig, obwohl die jüngere Rechtsprechung des Bundesgerichts das explizit verlangt? Es bleibt das Geheimnis der drei Richter Flütsch, Schwendener und Helmi. Eine saubere Subsumtion findet nämlich nicht statt. – Darunter verstehen die Juristen eine Argumentationstechnik, bei der genau beschrieben wird, welches Tatbestandsmerkmal warum zu der juristischen Würdigung führt.

Weiter bleibt vollständig unverständlich, wie das Gericht die Tatsache, dass der Beschuldigte während des laufenden Verfahrens (!) gegen dasselbe Opfer (!) noch einmal(!) mit Vorsatz (!) delinquierte, nicht als strafschärfend beurteilt – und ihm darüber hinaus ohne gutachterliche Grundlage trotz dieses Vorgangs auch noch eine gute Prognose stellt. 

Stattdessen gibt das Gericht grosszügige Rabatte. Für die lange Verfahrensdauer (welche sich die Bündner Staatsanwaltschaft anlasten lassen muss und die das Regionalgericht mit seiner gesetzeswidrigen Verzögerung beim schriftlichen Urteil weiter fortsetzt) und für eine mediale Vorverurteilung, die «massiv» gewesen sei. Auch dieser Strafrabatt ist nicht nachvollziehbar. Der fehlbare Richter war zu keinem Zeitpunkt namentlich oder mit Bild in den Medien dargestellt worden, obwohl Medienrechtler schon früh die Auffassung vertraten, dass eine namentliche Nennung aufgrund der Stellung des Beschuldigten rechtlich unbedenklich wäre. Dass er der CVP-/Mitte-Partei angehört, womit er für einen weiteren Kreis identifizierbar wurde, hat er einzig seiner Verteidigerin Tanja Knodel zu verdanken, die das in einer Medienmitteilung selbst offenlegte. Zudem hätte eine genaue Auseinandersetzung mit der Berichterstattung ergeben, dass der Beschuldigte und die Frage nach dessen Schuld gar nicht im Zentrum des medialen Interesses stand: Die Medienberichterstattung hatte vielmehr den Schlendrian bei der Bündner Staatsanwaltschaft zum Thema, die das Verfahren verlauerte, sowie den Bündner Justizfilz. 

Kurzum: Die schriftliche Urteilsbegründung bestätigt den Eindruck, den Laien wie Fachleute bereits nach dem mündlich ergangenen Urteil hatten: Das Richtergremium mit Bettina Flütsch, Paul Schwendener und Hermi Saluz hat alles dafür getan, um dem Kollegen Richter eine unbedingte Gefängnisstrafe zu ersparen. Dass es auf eine Freiheitsstrafe von 23 Monaten erkennt – ab 24 wäre eine bedingte Aussprechung nicht mehr möglich – hat mehr als nur ein «Gschmäckle». Die drei Richter haben dem Vertrauen in die Rechtsprechung auf jeden Fall schweren Schaden zugefügt und sich selbst disqualifiziert.

Die nächste Bewährungsprobe für die Bündner Justiz steht mit dem Berufungsverfahren aber erst noch an. Das Kantonsgericht wird dann die Möglichkeit haben, die Fehler des Regionalgerichts bei der Strafzumessung zu korrigieren – oder die Bündner Justiz vor den Augen der Schweizer Öffentlichkeit vollends zu blamieren.

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