Reaktionen auf AfD-Hochstufung: Journalisten einverstanden, Juristen kritisch

Die Hochstufung der AfD vom Verdachtsfall zur gesichert rechtsextremistischen Bestrebung hat viele Reaktionen ausgelöst. Bei den deutschen Systemmedien herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Hochstufung absehbar war und wenig überraschend. Differenzen gibt es eher in der Frage, ob nun ein Verfahren für ein Parteiverbot der konsequente nächste Schritt sein müsste. Ein wenig anders beurteilen den Vorgang verschiedene deutsche Juristen.

Einer von ihnen ist der Volker Boeme-Nessler, Professor u.a. für Öffentliches Recht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Für ihn sind insbesondere die behaupteten Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung schwer nachvollziehbar, wie er in einer Geschichte von 20minuten.ch ausführt: «Blosses Reden reicht nicht, um gegen die Verfassung zu verstossen. Es braucht aktives, aggressives Handeln gegen die Demokratie – und das sehe ich nicht.»

Kritik kommt von Boehme-Nessler auch an der Geheimhaltung des Gutachtens von 1100 Seiten, das zu der Hochstufung geführt haben soll. «Eine derart weitreichende Entscheidung muss transparent begründet sein. Der Verfassungsschutz ist keine unabhängige Instanz, sondern eine weisungsgebundene Behörde unter dem Innenministerium». Doehme-Nessler sieht deshalb in der Hochstufung «ein durchsichtiges Manöver von SPD-Innenministerin Faeser, um Gegner und Wähler einzuschüchtern», sagt er. Ein ausführliches Interview mit Boehme-Nessler findet sich auf dem Youtube-Kanal von Apollo News.

Prof. em. Dietrich Murswiek: Der Staatsschutz bringt da zwei Begriffe durcheinander

Ähnlich argumentiert in der NZZ (hinter Bezahlschranke) der Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek in einem lesenswerten Interview. Der emeritierte Professor für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Freiburg, selbst einst CDU-Mitglied, hatte vor einigen Jahr gar ein Gutachten zur AfD geschrieben, in welchem er zwar einzelnen Exponenten der AfD Äusserungen zugeschreiben hatte, die im Konflikt mit der freiheitlichen demokratichen Grundordnung der Bundesrepublik stünden. Darauf angesprochen meint er: «Das Ergebnis meines Gutachtens war, dass der allergrösste Teil der vom Verfassungsschutz zitierten Äusserungen zu Unrecht als Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gewertet wurde.

Einzelne verfassungsfeindliche Äusserungen können nicht die Verfassungsfeindlichkeit der Partei begründen.» Dass der Verfassungsschutz insbesondere auch im kürzlichen Bundeswahlkampf neue Erkenntnisse gewonnen haben könnte, lässt Murswiek nicht gelten: Er könne aus der Pressemitteilung des Verfassungsschutzes nicht erkennen, dass die Behörde seit der Einstufung der AfD als Verdachtsfall substanziell neue Erkenntnisse gewonnen hätte. Für ihn erweckt die Kommunikation eher den Eindruck,  «als habe der Verfassungsschutz in seinem Gutachten lediglich noch viel mehr solcher Äusserungen zusammengetragen, die sich schon bisher als ungeeignet erwiesen haben, die Verfassungsfeindlichkeit der AfD zu belegen.»

Auch im Kerngehalt des Anschuldigungen des Verfassungsschutzes ist der Verfassungsrechtler nicht einverstanden: Den Vorwurf an die AfD, ihr ethnisch-kulturelles Volksverständnis sei verfassungswidrig, weist Murswiek von sich: «Dem so verstandenen Volk gehören Menschen an, die die für das jeweilige Volk charakteristischen Merkmale wie Sprache, Abstammung, gemeinsame Geschichte und Kultur, erfüllen beziehungsweise sich diesem Volk zugehörig fühlen. Wer beispielsweise aus der Türkei eingewandert ist, kaum oder gar nicht deutsch spricht und sich weiterhin als Türke (und nicht als «Kartoffel») fühlt, gehört dem so verstandenen deutschen Volk nicht an. Dies festzustellen ist keine verfassungsfeindliche Ausgrenzung.»

Dass der Verfassungsschutz das anders sehe, liege daran, dass er fälschlicherweise zwei Volksbegriffe miteinander vermenge. «Der Begriff des ethnisch-kulturellen Volkes steht aber neben dem Begriff des Staatsvolks und ist nicht mit diesem identisch. Mit Blick auf die AfD wird häufig suggeriert, sie wolle, dass die deutsche Staatsbürgerschaft nur den ethnisch Deutschen zusteht. Tatsächlich aber hat die AfD erklärt und öffentlich versichert, dass sie alle eingebürgerten Migranten zum deutschen Staatsvolk zählt und diese daher dieselben Rechte haben wie die ethnisch Deutschen.»

Steinhöfel: Eine Staatskrise steht im Raum

Deutliche Worte kommen auch von dem prominenten deutschen Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel, der sich seit Jahren für die Meinungsfreiheit einsetzt «Was da vorgefallen ist, ist in meiner Sicht ein Beleg dafür, dass die Gefährdung der Demokratie von innen kommt und Nancy Faeser gibt dieser Gefahr ein Gesicht.» Für ihn zeigt das Vorgehen des BfV, dass der Staat instrumentalisiert werde, um die stärkste Opposition oder den stärksten politischen Gegner auszuschalten.» Steinhöfel sieht gar eine «Staatskrise» heraufziehen.

Auch andere Stimmen

Allerdings: Unter den deutschen Juristen gibt es durchaus auch Stimmen, welche ein Verbot der AfD fordern. Ende November 2024 sandten 17 Professorinnen und Professoren eine 12-seitige Stellungnahme an den Bundestag, zuzüglich einer «Materialsammlung» im etwa selben Umfang. Der Text ist auf der Seite des deutschen Verfassungsblogs nachzulesen und besteht im ersten Teil aus einer theoretischen Abhandlung darüber, welche Voraussetzungen für ein Parteiverbot erfüllt sein müssen. Zwar argumentieren die Autoren stets, die behaupteten Voraussetzungen seien erfüllt; als Belege führen sie allerdings nur in allgemeiner Weise und summarisch die von ihnen beigebrachten Fundstellen verschiedener Aussagen von AfD-Repräsentanten.

Eine juristisch saubere Subsumption, warum welche der konkreten Fundstellen die behaupteten Tatbestandsmerkmale erfüllen sollten, liefert der Text allerdings meist nicht, sondern behauptet an vielen Stellen lediglich, die Voraussetzungen seien erfüllt, ohne jedoch – wie es sich für juristische Schriften gehört – die Behauptungen auch zu belegen.

Beispielsweise behauptet das Papier,  die Partei würde mit dem Mittel der «plausiblen Bestreitbarkeit» arbeiten und gezielt mit einer mehrdeutigen Sprache arbeiten, um dann die sprachlichen Interpetationsmöglichkeiten zu nutzen, um eine verfassungsfeindliche Auslegung zu bestreiten. Wörtlich: «Es handelt sich nicht mehr um Einzelfälle von Zweideutigkeit, sondern um strategisch gesetzte Zweideutigkeit, die sich zur verfassungsfeindlichen Eindeutigkeit verdichtet.» Auch hier behauptet der Text aber lediglich, ohne irgendetwas zu beweisen.

Unter den Unterzeichnern finden sich zwar einige Verfassungsrechtler oder Inhaber von Lehrstühlen für öffentliches Recht, allerdings auch viele andere aus anverwandten Rechtsgebieten wie Eruoparecht, Rechtsphilosophie, Verwaltungswissenschaften usw.

 

Presseschau: So kommentieren die Medien die Hochstufung der AfD zur «gesichert rechtsextremistischen Bestrebung»

DIE WELT

In der Wochenendausgabe der bürgerlichen WELT kommentiert Ulrich Kraetzer den Entscheid und hält ihn inhaltlich für «folgerichtig». Die AfD habe die Grenze zum Extremistischen längst überschritten. «Der brandenburgische AfD-Landtagsabgeordnete Dennis Hohloch sagte, Multikulti bedeute nicht nur „Identitätsverlust“ und „Verlust der Heimat“ – sondern auch „Mord, Totschlag, Raub und Gruppenvergewaltigung“. Wer verbal dermaßen pauschal auf andere Bevölkerungsgruppen eindrischt, sollte sich nicht wundern, wenn der Verfassungsschutz der AfD nun eine „kontinuierliche Agitation gegen bestimmte Personen oder Personengruppen“ bescheinigt», so der Kommentator. Das Beispiel, dass Kraetzer anführt, wurde gestern offenbar vom Verfassungsschutz an verschiedene Medienschaffende durchgestossen.  Das offizielle Gutachten, das rund 1100 Seiten umfassen soll, hat der Verfassungsschutz nicht offengelegt, was die WELT kritisch anmerkt:  «In einem demokratischen Staat, der nicht auf Untertanen, sondern auf mündige Bürger setzt, muss eine Behörde Mittel und Wege finden, über die Gründe für eine derart schwerwiegende Maßnahme transparent zu informieren.

BILD

Auch Bild-Kommentator Jan W. Schäfer sieht in dem Entscheid keine Überraschung: «Zu oft fielen AfD-Politiker wie Höcke oder Krah mit verstörenden Aussagen auf – ohne parteiinterne Konsequenzen. Die AfD-Spitze hat sich diese derbe Polit-Klatsche insofern selbst zuzuschreiben.» Überraschend ist für die BILD hingegen der Zeitpunkt: «Ausgerechnet am letzten Arbeitstag verkündet Innenministerin Faeser die AfD-Entscheidung. Sie setzt den künftigen Kanzler Merz und die eigene SPD gehörig unter Druck.» Der BILD-Politikchef rät allerdings nicht zum Verbot, sondern zu einer anderen Strategie: «Statt also ein Verbot anzustreben, sollten Union und SPD ganz zügig die Ursachen für den AfD-Höhenflug angehen. Und Politik machen, damit die AfD überflüssig wird. Dazu gehören Kehrtwenden bei Asyl, Stütze, Steuern, Sozialabgaben.»

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

Für Roland Preuss von der linken SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG ist die AfD zurecht als rechtsextrem eingestuft worden: «Das Problem ist nicht, dass sich hier ein Inlandsgeheimdienst die Wahrheit zurechtbiegen würde. Das Problem ist, dass sich die AfD hemmungslos immer weiter radikalisiert hat. In dieser Partei sinniert man ungestraft über angebliche „Messermigranten“, über den „Volkstod“ der Deutschen oder die „Umvolkung“ durch Zuwanderer, politische Wettbewerber werden als Feinde mit einer „globalistischen“ Agenda gezeichnet, was eine antisemitische Chiffre ist, parlamentarische Regeln missachtet. Schon 2017, beim ersten Einzug in den Bundestag, hat der damalige Spitzenkandidat Alexander Gauland den Ton vorgegeben. „Wir werden sie jagen“, rief er mit Blick auf die Regierung Angela Merkels. Die heutigen Parteichefs Alice Weidel und Tino Chrupalla haben diese Radikalisierung laufen lassen oder sogar befördert.»

NZZ

Anders der Tonfall in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. Berlin-Korrespondent Oliver Maksan sieht «Deutschland auf dem Weg in die Sackgasse». Wörtlich: «Dem intransparenten Verfahren zum Trotz feiern weite Teile der deutschen Öffentlichkeit die Einstufung dennoch als Sieg der wehrhaften Demokratie und eines funktionierenden Rechtsstaats. Tatsächlich dürfte es sich um einen Pyrrhussieg handeln.» Die Entscheidung des Inlandgeheimdienstes, die auch für die NZZ nicht überraschend erfolgte, werde eine Reihe von Entwicklungen in Gang setzen, «an deren Ende die politische Polarisierung Deutschaldns auf die Spitze getrieben sein wird. Das Vertrauen weiter Teile der Bevölkerung in die Demokratie dürfte hingegen einen neuen Tiefpunkt erreichen. Diese Entscheidung könnte einen Teil der Wähler dauerhaft vom Staat entfremden.» Maksan erwartet, dass der Druck auf Merz, ein Verbotsverfahren einzuleiten, nicht zuletzt durch den Koalitionspartner SPD jetzt deutlich zunehmen würde.

Titelbild: Wider die Meinungs- und Satirefreiheit: Der Bamberger Amtsrichter Martin Waschner (links), der Bamberger Staatsanwalt Alexander Baum.

Was gehört zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO)

 

Der Begriff fällt immer wieder im Zusammenhang mit der Debatte um die AfD: Sie würde gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung agitieren?

Gemäss deutscher Verfassungslehre ist darunter die «unabänderliche Kernstruktur des Gemeinwesens» zu verstehen, und das «unabhängig von seiner gegenwärtigen Ausprägung durch en Verfassungs- und den einfachen Gesetzgeber.»

Mit anderen Worten: Die freiheitlich demokratische Grundordnung umfasst den innersten Kern des deutschen Grundgesetzes, das damit quasi in drei Kreise aufgeteilt werden kann:

Die freiheitlich-demokratische Grundordnung kann als innerster Kern verstanden werden.  Darum herum folgt ein nächster Kreis von Bestimmungen mit einer Anzahl von Paragrafen, die unabänderlich in der deutschen Verfassung stehen: Es sind dies die Artikel 1 bis 20 des Grundgesetzes sowie die Bestimmungen, welche die Gliederung des Bundes in Länder und deren grundsätzliche Mitwirkung bei der Gesetzgebung regeln. Nach Art. 79 Abs. 3 GG können diese Bestimmungen, anders als andere Artikel des Grundgesetzes, auch durch das Parlament nicht abgeändert werden. Bei den restlichen Artikeln des Grundgesetzes ist dies nach Art. 79 Abs. 2 des deutschen GG mit einer Zweidrittelsmehrheit von Bundestag (Volkskammer) und Bundesrat (Länderkammer) möglich.

Rechtsstaatlichkeit, Demokratieprinzip und Menschenwürde

Der Begriff der «freiheitlichen demokratischen Grundordnung» findet sich in verschiedenen Artikeln des deutschen Grundgesetzes wieder, allerdings, ohne dass der Inhalt des Begriffs an irgendeiner Stelle klar definiert wäre.  Die FDGO ist deshalb auslegungsbedürftig.

Das hat das deutsche Bundesverfassungsgericht (BVerG) in Köln im Rahmen des Verfahrens um Parteienverbot gegen die NPD im Jahr 2017 zuletzt ausführlich getan und schreibt dort wörtlich das Folgende:

Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG umfasst nur jene zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind.

a) Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit.

b) Ferner ist das Demokratieprinzip konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG).

c) Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind schließlich die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich erfordert die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen vorbehalten ist.“

 

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